„Visitenkarte“ der ehemals blühenden Gemünder Eisenindustrie

Von Ernst Ludwig Haeger

Im Februar 1979 wurde das alte Hammerwerk des ehemaligen Eisenwerkes Mauel bei Gemünd abgebrochen. Das war für mich Anlaß, der heutigen Generation und der Nachwelt eine „Visitenkarte“ über die ehemals blühende Gemünder Eisenindustrie zu liefern, einschließlich der Nachfolgebetriebe bis auf den heutigen Tag.

Es ist ein Krankheitssymptom unserer heutigen Zeit, daß wir ohne Geschichtsbewußtsein leben. Die vergangenen Jahrzehnte waren auf vielen Gebieten von einer stürmischen Vorwärtsbewegung geprägt. Dadurch geraten aber Geschichte, Tradition und Kulturrelikte vergangener Zeiten in Gefahr, als nutzloser Ballast oder als Störfaktoren einfach beiseite gewischt zu werden.

In ganz besonderer Weise sind Bauwerke und Naturdenkmäler von dieser Einstellung betroffen.

Nun wissen wir aber heute nicht nur die Spezialisten des Geschichtsinteresses - die Historiker, sondern auch die Soziologen, die Seelsorger und die Ärzte, daß Geschichte Gedächtnis bedeutet. Eine Gesellschaft ohne Gedächtnis nimmt Züge des Unmenschlichen an - sie organisiert eine Barbarei; genauso wie der einzelne, der Erinnerungsschwund als eine Art Lebenserleichterung genießt.

Das Gedächtnis bedarf fester Anhaltspunkte, um nicht dem ihm entgegenwirkenden Trieb des Vergessens und Verdrängens zu erliegen. Die Gesamtheit dieser Anhaltspunkte ist die dem Gedächtnis anvertraute Geschichte, und ihre unentbehrliche Versinnlichung sind ihre Dokumente und Bauten.

Daher ist die vielberedete Zerstörung der Städte und Landschaften ein viel bedeutsamerer Vorgang als nur die nicht mehr rückgängig zu machende Anpassung an Wohn- und Arbeitsgebiete. Nein - sie vernichtet mehr und mehr die historische Substanz, das heißt jene Orientierungshilfen, auf die das menschliche Gedächtnis angewiesen ist.

So ist der oft ebenso verzweifelte wie vergebliche Kampf von einzelnen um das geschichtliche Detail - um ein Haus, eine Fassade, einen Park, einen Dachstuhl, ein Tor oder einen Turm nicht die Marotte von Geschichtsromantikern und Antiquitätsnarren, sondern konkreteste Form des Umweltschutzes.

Bisher haben weder Umweltforschung noch staatliche Ämter das Problem der technischen Geschichtsvernichtung gesehen und in ihren Gefahrenkatalog aufgenommen.

In Deutschland hat sich Ende 1979 an der Technischen Hochschule Darmstadt ein Fachbereich „Industriearchäologie“ gebildet. Mit Hilfe der Stiftung „Volkswagenwerk“ will sich dieser Fachbereich für die Erhaltung und Erforschung früher Zeugnisse der Industrialisierung einsetzen. Vor allem die Engländer, aber auch Franzosen und Belgier haben in ihren Ländern auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahren bereits beachtliches geleistet.

Technische Kulturdenkmäler - wie sie im Februar 1979 in Gemünd vernichtet wurden - sind in beispielhafter Form im Westfälischen Freilichtmuseum bei Hagen zusammengestellt worden. Entweder wurden sie naturgetreu wiederhergestellt oder in gut erhaltenem Zustand übernommen.

Weitere Anlagen, die an ihrem Ursprungsort sorgfältig restauriert und zu international bekannten Sehenswürdigkeiten wurden, sind die Wendener Hütte bei Olpe im Sauerland als älteste noch erhaltene Holzkohlen-Hochofenanlage in Deutschland; die Luisenhütte Wocklum bei Balve im Sauerland, ebenfalls eine Holzkohlen-Hochofenanlage mit Wasserkraft-Kolbengebläse.


Schmelzöfen: Die Öfen sind so niedrig, daß man von Hand vom Hüttenflur aus die Erzbeschickung und die Holzkohle in die Ofengicht schütten kann (Arbeiter am linken Bildrand). Der rechts stehende Arbeiter stößt mit einer Eisenstange in die Stichöffnung. Das Ofengas geht in mächtigen Rauchwolken unter das Hüttendach und zieht aus dem offenen Dachfirst ab. Holzschnitt aus Georgius Agricola, De re metallica, 1556.
So könnte der „Hitzerich“ in Mauel ausgesehen haben.

Die Erhaltung dieser Kulturdenkmäler wurde ermöglicht durch Förderkreise, Industriestiftungen und durch Einzelpersonen.

Im ehemaligen Kreis Schleiden gab es allein an der Olef von Hellenthal bis Gemünd 9 Reitwerke, bestehend aus Holzkohlen-Hochofen, Frischfeuer, Hammerfeuer und Schlackenpochwerk. Hier wurde Eisenerz geschmolzen und zu Stabeisen verarbeitet. Außerdem gab es in Hellenthal und Gemünd je einen Bandhammer zur Weiterverarbeitung des geschmiedeten Eisens.

Von all diesen Zeugnissen der damals - vor 1860 - hochentwickelten Eisenindustrie ist in unserem Gebiet auch nicht die geringste Spur der Nachwelt erhalten geblieben. Was nicht zerstört wurde, ist in den Jahren danach spurlos beseitigt worden.


Röststadel: Die Röststadel für das Rösten des Steins waren den hier abgebildeten Stadeln für das Rösten von Erzen ähnlich. A: Brennender Stadel; B: Vorbereitung eines Stadels für die nächste Röstcharge; C. Erzhaufen; D und E: Hölzer. Holzschnitt aus Georgius Agricola, De re matallica, 1556. So könnte die „Roiste“ in Mauel ausgesehen haben.

So soll die folgende Beschreibung dem Leser wieder vor Augen führen, wo einst Gemünder Fabrikanten und Bürger „Geschichte gemacht“ haben und was heute aus deren Arbeitsstätten geworden ist. In sechs Kapiteln werden die früheren Werksstandorte bestimmt und die Werksentwicklung chronologisch beschrieben:


Standorte und Entwicklungsgeschichte

  1. Die Eisenerzschmelze von 1425 in Mauel.

  2. Das Gemünder Reitwerk (Holzkohlen-Hochofen mit Schmiede) von 1486 am Hermann-Kattwinkel-Platz.

  3. Das Eisenwalz- und Schneidwerk (auch „englische Drahtfabrik“ und „Marienhütte“ genannt) von 1763 auf dem „Büllenbenden“, dort wo heute die Grundschule steht.

  4. Das Röhrenwerk von Albert Poensgen in Mauel.

  5. Die Rohstoffe Eisenerz und Holzkohle.

  6. Kupfermühle mit Kupferwalzwerk unterhalb von Malsbenden.


Quellenangaben

Wilhelm Günther: Eisenbergbau und Eisenindustrie im Gemünder Raum bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Heimatkalender Kreis Schleiden 1953.
Die mittelalterlichen Territorien im Nordwesten des Kreises Schleiden und die Anfänge Gemünds. Schleiden 1956.
Zur Geschichte der Landschaft um den Stausee Schwammenauel. Schleiden 1963.
Zur Geschichte der Eisenindustrie in der Nordeifel. Rheinische Vierteljahresblätter, Bonn 1965.
Lutz Hatzfeld: Die Begründung der deutschen Röhrenindustrie durch die Fa. Poensgen & Schöller, Mauel. Wiesbaden 1962
Die Handelsgesellschaft Albert Poensgen. Köln 1964.
Ernst Ludwig Haeger: Aus den Erinnerungen eines Eifeler Eisenhüttenmannes. Heimatkalender Kreis Schleiden 1967.
Eisen- und Stahlerzeugung an Urft und Olef in napoleonischer Zeit. Heimatkalender Kreis Schleiden 1970.
Kölnische Rundschau, Ausgabe Gemünd: Juni und Juli 1966; Februar 1979.

Fotos und Reproduktionen: Kreisbildstelle - Heinz-Josef Weingarten und Jürgen Reiher

Kreis Euskirchen - Jahrbuch 1982

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