Mit Volldampf durch den Kreis - 150 Jahre Eisenbahn - Teil 3



Die „Wiever“ wußten immer das Neueste
Kölner Stadtanzeiger vom 12.12.1985

Erinnerungen an Euskirchener Kreisbahn und „Flutsch“

Von Helmut Weingarten


Vor der Jungfernfahrt der „Flutsch“, der kleinen Eisenbahn, die von Liblar über Lechenich nach Euskirchen fuhr, stellten sich Lokführer, Schaffner und Fahrgäste auf dem Bahnhof Mülheim zum Gruppenfoto. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1895.

Wie es zu dem Namen „Flutsch“ kam,weiß niemand mehr. Der Lechenicher Historiker Dr. Karl Stommel meint: „Das ist eine volkstümliche Bezeichnung wie Feuriger Elias.“ „Flutsch“, das war eine jener Kleinbahnen, die nach dem preußischen Bahngesetz vom 28. Juli 1892 wie Pilze aus der Erde schossen. Das Bähnchen fuhr von Liblar über Lechenich bis Euskirchen und gehörte zur Euskirchener Kreisbahn. Für diese Bahn erteilte die Kölner Regierung am 18. April 1984 die Konzession.

Wenige Tage später versammelten sich am Staatsbahnhof Liblar die Honoratioren, um den ersten Spatenstich für die neue Strecke zu tun. Auch diese Eisenbahn II. Ordnung mit ihrer Ein-Meter-Spur war von Bedeutung für die wirtschaftliche Erschließung der Region. Landwirte etwa transportierten mit ihr Zuckerrüben.

Von Liblar zuckelte die Bahn über Frauenthal und Lechenich bis Erp. Hier gab es eine Rübenverladeanlage. Über Niederberg führten die Schienen bis zum Knotenpunkt Mülheim-Wichterich, wo sich die Strecke teilte. Eine Linie endete in Euskirchen, eine zweite in Zülpich.

Viele Schüler benutzten die „Flutsch“, um zum Gymnasium nach Euskirchen zu gelangen. Oder sie fuhren bis Liblar, um hier Anschluß nach Brühl und Köln zu bekommen. „Vor Lechenich bimmelte die Bahn. Dann sprangen die Schüler aus dem Bett und rannten zum Bahnsteig am Bürgermeisteramt in der Stadtmitte“, erinnert sich eine ältere Lechenicherin.

Bei Stammfahrgästen warteten Lokführer und Schaffner schon einmal ein paar Minuten. Mit den offiziellen Haltepunkten nahmen die Zugbegleiter es ebenfalls nicht so genau. Sie bremsten auf Wunsch auch an einem Gutshof.

Es war ein „gemütlicher Betrieb met dem Bähnchen“, erinnert sich Ernst Schmitz vor 20 Jahren im Euskirchener Heimatkalender. Morgens, erzählte der Autor, fuhren die „Wiever“ mit Eier, Speck, Butter und Gemüse zum Markt in die Stadt. Von ihnen erfuhr man das Neueste aus den Orten: wer mit wem „ging“, wo Nachwuchs zu erwarten war oder Nachbarn gestorben waren.


Das Streckennetz der früheren Euskirchener Kreisbahn zeigt diese Karte. In der Mitte ist die Linie der „Flutsch“ (gestrichelt) erkennbar, die von Liblar durch Lechenich und Erp zum Knotenpunkt Mülheim-Wichterich und weiter nach Euskirchen führte.

Im Winter war die Fahrt mit dem Bähnchen weniger gemütlich. Die Öfen in den Personenwagen wurden mit „Klütten“ geheizt. Diese Aufgabe war allein dem Zugführer vorbehalten. Doch frierende Fahrgäste schoben bisweilen schnell einen Extra-Brikett nach. Dürftig war auch die Beleuchtung. Karbidlampen spendeten ein schummriges Licht.


Nur das ehemalige Bahnhofsgebäude der Euskirchener Kreisbahn in Erftstadt-Erp erinnert heute noch daran, daß hier einmal Züge fuhren.
Bild/Repro: H. Weingarten

Manchmal waren die Weichen falsch gestellt. Dann mußten Beamte wie Fahrgäste die Waggons wieder auf das rechte Gleis schieben. Man kannte sich ja von den täglichen Fahrten, und die Fahrgäste wußten, wer „d'r ahle Schäfer“, „d'r Brenner“ oder „d'r Loose“ waren. Und wenn sie mit den Bediensteten einmal einen Schabernak trieben, dann wußten sie auch: einige von denen wußten sich ihrer Haut handfest zu wehren.


Zu Teil 4 der Serie
Zurück zur Serienübersicht

© Copyright 2001 Helmut Weingarten
©
Copyright 2001 wisoveg.de

Zur Homepage