Acht zusätzliche Bremser auf Waggondächern
von Gudrun Klinkhammer










Die Steigung Schmidtheim stellte an die Bahn bis zur Einführung der Luftdruckbremse besondere Anforderungen

Dahlem. Kein Mondlicht, nur Dunkelheit. Verbissen kämpft sich ein Zug durch dichtes Schneetreiben, Eiszapfen hängen von den Wagendächern. Die Gefällestrecke zwischen Schmidtheim und Jünkerath ist berüchtigt. Mehrere Männer, dick vermummt, klettern von hinten schweigend auf einige Wagendächer. Kälte klirrt. Mit dem Rücken zur Fahrtrichtung nehmen sie den ungemütlichsten Platz ein, den der Zug zu bieten hat. Unterste Touristenklasse ist der pure Luxus gegen diesen Sitz.

Es handelt sich hierbei nicht um den Anfang eines neuen Eifelkrimis, sondern um die Beschreibung eines ausgestorbenen Berufes, der von 1870 bis 1920 in der Eifel stellenweise Leben und Ladung retten konnte: Der Beruf des „Bremsers“. Da es die Luftdruckbremse noch nicht gab, mussten alle Züge von Hand gebremst werden. Auf den Dächern verschiedener Waggons saßen die Bremser und bedienten die Kurbel nach Auftrag des Lokführers, der das Anziehen und Lösen der Bremse durch einen Pfiff mit der Dampfpfeiffe anzeigte. Auf einem Zugdach bei flotter Fahrt und bitterer Kälte durch die Nacht, ohne Schutz - ein Traumjob sieht anders aus.

Gefällestrecken waren für die Bahn neuralgische Abschnitte. Auf dem Streckenabschnitt zwischen Schmidtheim und Jünkerath mussten aus bremstechnischen Gründen die Güterzüge zu den planmäßigen Bremsern acht zusätzliche erhalten, um einen mehr oder weniger gefahrlosen Betrieb zu garantieren. Trotzdem geschah es immer wieder, dass Züge wegen unsachgemäßer Bremsung „durchgingen“. Um sie dann doch zum Halten zu bringen, leiteten die Stellwerker sie in Jünkerath auf die Ahrstrecke um, wo sie dann spätestens in der Steigung hinauf nach Hillesheim zum Stehen kamen.





Vor allem im Winter war die Arbeit der Bremser hart verdientes Brot. Mit dem Rücken zur Fahrtrichtung hockten sie eingemummt auf ihren abenteuerlichen Arbeitsplatz. Sobald der Lokführer sein Pfeifsignal gab, mussten die Bremser die eiskalten Kurbeln der Bremsen betätigen. Zeichnung eines unbekannten Künstlers



Viele solcher Geschichten weiß der Dahlemer Hermann Klinkhammer zu berichten. 1927 in Dahlem geboren, kam er als Junghelfer schon früh zur damaligen Reichsbahn, dann verschlug ihn der Krieg nach Wilhelmshaven. Den Reichsarbeitsdienst verrichtete er dort bei der Marine. Nach Kriegsende begann der Wiederaufbau auch bei der Eisenbahn.

Hermann Klinkhammer war nach seiner Ausbildungszeit bei der Bahn in Jünkerath 37 Jahre lang als Fahrdienstleiter tätig und daher ganz nah am Geschehen. Um in der ersten Zeit von Dahlem nach Jünkerath zu kommen, durfte er etwas nie vergessen: einen Extra-Pass. Dahlem lag in der englischen Zone und Jünkerath in der französischen, und die Kontrollen waren streng.

Kesselwagen mit Wein oder lebenden Fischen

Neben den Personenzügen wurde der Jünkerather Bahnhof von sehr vielen Güterzügen angefahren. Der Rangierbetrieb war enorm, der Transport auf der Schiene bevorzugter als heute. In den 50er Jahren arbeiteten auf dem Bahnhof Jünkerath 80 Menschen. Heute sind es keine 20 mehr. Damals bekam man die Fahrkarte noch nicht von einem Automaten entgegengespuckt.

Die Güterwaggons hatten oft interessante Ladungen. In großen Kesselwagen ließen sich die Franzosen zur Besatzungszeit den Rotwein aus ihrem Heimatland kommen. Die Verplombung dieser Kessel hielt in der Regel äußerst gut - an den roten Saft war „schwer rankommen“.

Einmal kam es in Jünkerath sogar zu fliegenden Fischen. Ein Waggon mit frischen Fischen musste auf seiner Reise von Dänemark ins Saarland in Jünkerath umgekuppelt werden. Von dem Rangierhügel in Jünkerath setzte sich der Waggon in Bewegung, weil der Hemmschuh nicht fest saß. Mit Wucht knallte der Waggon auf eine stehende Waggonreihe. Das Wasser aus dem oben offenen Aquarium schwappte über und zwischen den Gleisen zappelten plötzlich die Fische. Bei vielen Bahnarbeitern soll es noch am gleichen Abend frischen Fisch gegeben haben.

1986 wurde der Verein der Eisenbahnfreunde Jünkerath gegründet. Hermann Klinkhammer wirkte und wird darin als treibende Kraft. Ihm liegt sehr viel daran, der Nachwelt die Entwicklung der Eisenbahn in der Eifel ab 1846 zu überliefern. Der Broschüren hat er in den letzten 20 Jahren mit Daten, Erzählungen und Illustrationen zusammengestellt: über die Bahnstationen Dahlem, Lissendorf und Jünkerath.

In einem dieser Hefte beschreibt er in Mundart seine erste Fahrt mit der Bahn von Dahlem nach Lissendorf, um in Steffeln eine Verwandte zu besuchen. Als der kleine Hermann in dem schaukelnden Zug von Fenster zu Fenster sprang, verlor er einen Zahn. Heute zieht kaum 200 Meter von seinem Haus der elegante „Talent“ fast geräuschlos seine Bahn. Früher kämpften hochbeladene Güterzüge mit Kurven und Steigung, ächzten und stampften durch die „Prärie“.

Auch die zu Beginn erwähnte Geschichte der Bremser steht in einem seiner Hefte. Dagegen gestaltet sich die heute übliche Bahnfahrt zu einem Kinderspiel. Aus gesundheitlichen Gründen fährt Hermann Klinkhammer kaum noch mit dem Zug, die Abfahrts- und Ankunftszeiten sowie die Verbindungszüge zum Beispiel nach Stuttgart nennt er jedoch wie aus der Pistole geschossen. Schade, dass man so menschliche Auskünfte heute auf den Bahnhöfen kaum noch bekommt.








Quelle: Kölnische Rundschau vom 29. Dezember 2000
Archiv: Anton Könen Mechernich









Sammlung Anton Könen, Mechernich

- Die Euskirchener Kreisbahn
- Volkswirtschaftl. Artikel, Aufbau der Rheinischen Bahn, Verstaatlichung und Eifelbahn 1853 - 1875
- Die Rheinische Bahn - Bekanntmachungen und kleine Artikel von 1846 - 1933
- Inserate rund um die Rheinische Bahn und Eifelbahn 1865 - 1922
- Bau der Strecke Düren - Euskirchen - Call - Schleiden - Hellenthal 1867 - 1914
- Weiterführung in die Eifel und Weiterführung nach Münstereifel betreffend
- Französische Besatzungszeit und Artikel 30er Jahre
- 40er Jahre und Artikel der Nachkriegsjahre
- 50er und 60er Jahre, Artikel der 70er Jahre bis 2004

Zur allgemeinen Wisoveg-Sammlung rund um Wirtschaft und Verkehr im Kreise Euskirchen und der Eifel - aus Heimatkalendern, Zeitungen und Büchern.

© Copyright wisoveg.de