Niederembt hatte ein halbes Jahrhundert einen eigenen Bahnhof - Leute nannten die Bahn „Amelner Johännchen“


Alle hatten für erste Zugfahrt gespart

Von Heinz-Ludwig Kanzler ©

Zeitungsartikel Kölnische Rundschau vom 22. und 26. Juli 2000

Elsdorf-Niederembt. Als der erste Zug in den Bahnhof einlief, wartete schon ganz Niederembt auf ihn. Alle wollten die eiserne Maschine sehen, die sie künftig ruck-zuck nach Bedburg oder Ameln bringen würde. Jeder im Ort, so berichtete der Heimatkundler Peter Daniels in seinem Nachlass, hatte gespart, um einmal mit der Bahn fahren zu können.

Keine Märsche mehr im strömenden Regen oder unter brennender Sonne zu den Fabriken, Ausflüge mit Kind und Kegel zu Onkel Heinz und Tante Gerda nach Bedburg, das waren verlockende Aussichten. Zumindest für alle, denen es nicht an Geld fehlte.

Doch es gab damals, vor mehr als 100 Jahren, offenbar auch Menschen, die gehörigen Respekt vor der neuen Technik hatten. Peter Daniels hat diese Ängste in einem Gedicht beschrieben: „Anfangs, do waren die Lück noch bang, zu fahren ob dem Eisenstrang. Jeder sät, wat soll dat jeffe, hoffentlich blieve mir am levve.“

Bis zum Jahr 1953 hatte Niederembt seinen eigenen Bahnhof, der an der Strecke Bedburg-Ameln lag. „Amelner Johännchen“ nannte der Niederembter Volksmund die Bahn.

Die ersten Abschnitte der Eisenbahnlinie auf der Strecke Bedburg - Ameln nahm die Kreisbahn 1898 in Betrieb. Die Strecke bis Niederembt war im Juli fertig, die Strecke bis Kirchherten im Oktober 1898. Ende 1899 schließlich war die 13,7 Kilometer lange Eisenbahntrasse komplett bis nach Ameln ausgebaut. Bis 1912 fuhr das „Amelner Johännchen“ schmalspurig, danach wechselte es auf die Regelspur.



Die Postkarte von 1912 zeigt das Dorf Niederembt und seinen Bahnhof. Die Karte ist im Besitz des Archives der Gemeinde Elsdorf.
Postkartenansicht Gemeindearchiv Elsdorf
Repro: Kanzler

Auf der Strecke von Bedburg nach Ameln fuhren die Dampfloks Personen- wie auch Güterzüge. Wie Heinz Daniels 1978 in der Kölnischen Rundschau berichtete, gab es außerdem „gemischte Züge“, also Güterzüge, die auch Personen beförderten. Zur Zuckerfabrik in Ameln existierte eine eigene Zufahrt für die Eisenbahn. In Bedburg stiegen die Reisenden nach Bergheim oder Köln um, in Ameln ging es weiter nach Jülich. Das „Amelner Johännchen“ wurde am 17. März 1953 stillgelegt, da sich die Eisenbahnstrecke nicht mehr rentierte.




Postkartenausschnitt
Postkartenausschnitt Gemeindearchiv Elsdorf
Repro: Kanzler

Zum Niederembter Bahnhof gehörte auch eine Gastwirtschaft. Beide Gebäude lagen ein Stück nördlich der Ortschaft in Verlängerung des heutigen Etgendorfer Weges, rund 15 Minuten Fußweg von Niederembt entfernt. „Mein Großvater Andreas Gronendahl hat die Wirtschaft 1900 gebaut“, erzählt Marlene Wiedenhöft.

Morgens gegen 9.30 Uhr kam der Güterzug. „Die Oberembter Bauern brachten ihr Gemüse zum Bahnhof, wo es in die Waggons verladen wurde“, sagt Marlene Wiedenhöft. Früher gab es am Etgendorfer Weg eine Molkerei, die ihre Milch ebenfalls zum Bahnhof brachte. Die Bauern verluden im Niederembter Bahnhof ihre Rüben, die das „Amelner Johännchen“ zu den Zuckerfabriken in Ameln und Bedburg transportierte. „mit Pferden hätte das zu lange gedauert“, sagt Marlene Wiedenhöft.




Vor 100 Jahren wurde die Gastwirtschaft gegenüber dem Niederembter Bahnhof gebaut. Die Linden, die der Wirt Andreas Gronendahl damals pflanzte, stehen heute noch vor dem Gebäude er ehemaligen Gaststätte.
Foto 1902: Marlene Wiedenhöft, Elsdorf
Repro: Kanzler


Gaststätte profitierte von den Fahrgästen

Von ihrem Bahnhof aus fuhren die Niederembter zur Arbeit - zur Zuckerfabrik in Ameln, nach Bedburg zu den Wollbetrieben, den Linoleumwerken oder der dortigen Zuckerfabrik. Das „Amelner Johännchen“ brachte die Schülerinnen und Schüler, zu denen damals auch Marlene Wiedenhöft gehörte, zum Bedburger Gymnasium oder zur Berufsschule nach Bergheim.

„Es war immer viel Betrieb auf dem Bahnhof“, berichtet Marlene Wiedenhöft. Die Wirtschaft ging deshalb gut. Die Leute nannten sie: „Bei Gronendahls an de Bahn“. Die Gaststätte hatte einen Tanzsaal, und auch die Mitglieder des Quartettvereins hielten dort ihre Proben ab.

Der Vater von Marlene Wiedenhöft, ein gelernter Metzger, war gezwungen, seinen Beruf aufzugeben, weil er die Wirtschaft von seinem Vater übernehmen mußte. Er hatte sich selbst das Klavierspiel beigebracht und unterhielt so seine Gäste. Auf der Fuhrwerkswaage, die er sich angeschafft hatte, wurden die Wagen mit Gemüse, Briketts, Stroh oder Schrott gewogen.



Teil 2: Das Ende des Bahnhofs vom 26. Juli 2000

Nach dem Krieg reisten hungrige Städter und Flüchtlinge mit dem „Amelner Johännchen“ an

Für drei Groschen nach Bedburg

Eine schnelle Bahn war das „Amelner Johännchen“ nie. „Aber die Leute hatten ja damals Zeit“, erzählt Marlene Wiedenhöft, die in der Gaststätte gegenüber dem Niederembter Bahnhof aufwuchs. Das „Amelner Johännchen“ war eine der vielen gemütlichen Bimmelbähnchen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im damaligen Kreis Bergheim verkehrten.

Am 7. April 1942 begann Hans Brand seine Lehre bei der Bahn - Im Bahnhof seines heimatortes Niederembt. Seine Aufgaben: den Bahnsteig kehren, das Klo sauber machen. Bis Oktober war er dort beschäftigt, dann wurde er nach Ameln versetzt. „Der Niederembter Bahnhof unterstand zunächst Ameln, später Bedburg“, erzählt Hans Brand.

Der ehemalige Eisenbahner erinnert sich, daß er und seine Frau sonntags zu Fuß nach Bedburg gingen, um sich im Kino einen Film anzusehen. „Wir wollten die drei Groschen für den Zug sparen“, sagt Hans Brand. Um nach Hause zu kommen, fuhren sie dann doch wieder mit dem „Amelner Johännchen“. Er erinnert sich auch, daß es in Niederembt in der Nachkriegszeit zehn Gastwirtschaften gab, die er noch fast alle mit Namen nennen kann.

Während dies Kriegs montierte die Wehrmacht Geschütze auf die Eisenbahnwaggons am Niederembter Bahnhof, „Wir mußten die Fenster aufmachen, denn wenn die Geschütze feuerten, gingen die Scheiben kaputt, wenn die Fenster zu waren“, erzählt Marlene Wiedenhöft. Der Keller des Bahnhofs diente den Bewohnern der Wirtschaft als Luftschutzbunker.

Als die Wehrmacht auf dem Rückzug war, wurde die Jülicher Eisenbahnverwaltung in den Niederembter Bahnhof verlegt. Als die Amerikaner immer näher rückten, flohen die Beamten. Sie hinterließen ganze Waggons mit Konservendosen und anderen Lebensmitteln. Von ihnen lebten auch die deutschen Soldaten, die auf ihrem Rückzug durch Niederembt kamen, erinnert sich Marlene Wiedenhöft.

Die Amerikaner, so berichtet sie weiter, richteten in der Gastwirtschaft der Gronendahls ihre Kommandantur ein. In den Scheunen brachten sie ihre kleinen Kettenfahrzeuge unter. Für die Familie des Hauses blieb nur ein Zimmer übrig. Dort wohnten die Gronendahls mit einem Polen, einer Untermieterin und einer Schar Hühnern. Vor der Tür stand ein Doppelposten Wache.



Bahnhof im Winter: Am 17. März 1953 wurde die Strecke Bedburg-Ameln eingestellt, Niederembt verlor seinen Bahnhof
Foto 1953: Marlene Wiedenhöft, Elsdorf
Repro: Kanzler

Nach dem Krieg schnaufte die Dampflok des „Amelner Johännchen“ wieder von Bedburg nach Ameln und zurück. Die Reisenden mußten sich zunächst mit Viehwaggons begnügen, wie sich Marlene Wiedenhöft erinnert. Da Niederembt einen Bahnhof hatte, reisten viele Städter zum Finkelbach. Sie kamen, um auf den Feldern zu hacken oder um Kartoffeln und andere Lebensmittel zu „kötten“. Abends kehrten sie nach Hause zurück.

„Die Züge waren voll, denn die Städter hatten ja Hunger“, sagt Marlene Wiedenhöft. Das „Amelner Johännchen“ brachte auch Flüchtlinge aus dem Osten nach Niederembt. Von dort wurden sie in das Lager in der Elsdorfer Zuckerfabrik gebracht.

Als nach dem Krieg der Zugverkehr auf der Strecke immer mehr abnahm, zog die Bahn ihre Beamten aus Niederembt ab. „Der Bahnhof wurde in eine Agentur umgewandelt“, berichtet Hans Brand. Familien, die in die Bahnhofswohnung einzogen, übernahmen den Dienst. Marlene Wiedenhöft und Hans Brand erinnern sich an die Familien Ludwig, Gutrath und zuletzt Frantzen. Diese hatten die Aufgabe, so berichtet Marlene Wiedenhöft, die Weichen umzustellen, wenn der Güterzug kam, Fahrkarten zu verkaufen und die Zugabfahrt zu regeln.

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