Erlebnisse eines Buirer Eisenbahners in seiner 50-jährigen Dienstzeit
von Peter Müllenmeister




7. Der 16. Nov. 1944 - Bombardierung der Städte Düren, Jülich und Euskirchen, Bf Buir als End- später Frontbf., Evakuierung des Dürener Raumes bis zur Eifel.




Am 16. Nov. 44 kurz nach Mittag war Fliegeralarm. Der Himmel war schwarz von Fliegerverbänden, die an diesem Nachmittag die Städte Düren, Jülich und Euskirchen bombardierten und in Schutt und Asche legten. Der Angriff dauerte mehrere Stunden, es war ein Donnern und Getöse, als sei über Düren ein schweres Gewitter gewesen. Man konnte hier den schwarzen Rauch der brennenden Stadt Düren von unserem Bahnhof Buir aus gut sehen und wir ahnten das Schlimmste. Als etwas Ruhe eingetreten war und die Flieger sich verzogen hatten, ging ich zum Fahrdienstleiterbüro. Meine Angehörigen und die Familien unserer Hausnachbarn wagten sich nicht nach draußen. Die Bewohner der Nachbarhäuser, die regelmäßig bei Fliegeralarm unseren Luftschutzkeller aufsuchten sowie ein Weichenwärter mit seiner Frau, die ein alleinstehendes Bahnwärterhaus, 2 km vom Bf entfernt bewohnten, blieben auch vorerst im Keller. Das letztgenannte Eisenbahnerehepaar kam täglich gegen 17 Uhr zum Bf und wartete ob Fliegeralarm kam oder nicht bis zum frühen Morgen ehe sie nach Haus gingen.

Ich ging zum Fahrdienstleiterbüro um zu sehen, ob der Angriff auf Düren Auswirkungen auf unseren Bf hatte. Wir stellten fest, daß sämtliche Telefon- und Telegrafenleitungen Richtung Düren tot waren, d.h., wir hatten keinerlei Verbindung mehr mit Düren. Inzwischen kam ein motorisierter Kleinwagen aus Richtung Sindorf bei uns an, der zu seinem Heimatort Düren fahren wollte. Da unser Unfallmeldebereich bis zur Blockstelle Merzenich, 5 km Richtung Düren reichte und keine Verbindung mit Düren bestand, fuhr ich als Leiter der Unfallmeldestelle Bf Buir mit dem Kleinwagen bis zur Blockstelle Merzenich. Wir hatten damit gerechnet, unterwegs Bombeneinschläge zu finden, jedoch die Gleise waren bis zur Blockstelle Merzenich intakt. Das Dienstgebäude der Blockstelle war 10 m hoch. Wir gingen nach oben, der Blockwärter war geflüchtet bei dem Angriff. Von oben hatten wir eine gute Aussicht auf die Stadt Düren und Umgebung. Überall wo man hinsah, sah man Rauch, Brände und Flammen, vom Süden Dürens, wo die Kasernen standen bis weit nach Birkesdorf nur ein Flammenmeer. Alle Gebäude des Dürener Vorbahnhofs, die ich von meiner früheren Tätigkeit im Bf Düren kannte, brannten restlos. Vom Lokschuppen und der Wagenreparaturwerkstätte sah man noch Explosionen und hörte schwere Detonationen, scheinbar von brennbaren Flüssigkeiten Benzin, Öl oder anderen Fässern, die in der Werkstätte lagerten.

Einige 100 m von der Blockstelle entfernt, waren die Gleise der Strecke Köln-Aachen und die Abzweigung der Strecke Düren-Neuß Angriffsziel gewesen. Die Schienen standen hoch, die Signale waren umgekippt, die Telefonmaste mit Leitungen rechts und links der Bahn lagen zum Teil quer auf den Schienen, so weit man sehen konnte, ragten verbogene Schienen in den Himmel. Es war uns klar, daß dort in absehbarer Zeit kein Zug mehr fahren würde. Der Kleinwagenführer fuhr mit mir wieder zurück nach Buir und stellte dort seinen Wagen ab.

Meine Arbeit war nun, die vorgeschriebenen Unfallmeldungen schleunigst an die Eis.-Dir.-Köln zu erstatten. Dort war von dem Angriff auf Düren und andere Städte einiges bekannt geworden, aber von den Auswirkungen hatte man keine Vorstellung. Von diesem Tage an war der Bahnhof Buir für lange Zeit End- und später Frontbahnhof der Strecke Köln-Aachen. Bei dem Angriff auf Düren sind zahlreiche Personen aus Buir und Umgebung, die an dem Tage in Düren beschäftigt oder zu tun hatten, ums Leben gekommen. Viele bleiben verschüttet, denn die Stadt war ein einziger Trümmerhaufen. Nach einigen Tagen trafen politische Leiter der N.S.D.A.P. Aus Berlin und Sachsen hier ein und organisierten die zwangsweise Evakuierung der Bewohner von Buir, Manheim, Morschenich und den Raum um Düren herum. Vom 19. oder 20.11.44 an wurden täglich von Einbruch der Dunkelheit bis in die späte Nacht drei Flüchtlingszüge mit je 1200 Personen verladen. Bei völliger Verdunkelung war dies eine aufregende Arbeit für uns am Bahnhof, denn die Züge mußten an die Bahnsteige rangiert werden, um gefahrloses Einsteigen zu ermöglichen. In einem großen Lager der Buirer Malz- und Spritfabrik war von den pol. Leitern ein Verpflegungslager errichtet worden. Dort erhielten die Flüchtlinge, die oft weit herkamen, Marschverpflegung. Nach ein paar Tagen war das Bahnhofsgelände und die Umgebung des Bfs (Straße zur Brennerei, Straße zum Güterschuppen sowie die Ladestraße) vollständig durch Flüchtlinge verstopft.

Sogar das Überholungsgleis 3 und die Bahnsteige waren vollgestopft, so daß bei Fliegeralarm kein Mensch wußte, wo er hingehen konnte. Hierdurch war der Eisenbahnbetrieb abends sehr behindert, denn jeder hatte für sein Gepäck irgend ein Fahrzeug, z.B. Fahrrad, Handwagen, Kinderwagen, Sportwg., Fahrstühle oder andere fahrbare Gegenstände bei sich. Vor dem Bereitstellen eines Flüchtlingsleerzuges mußte ein Eisenbahner mit einer Warnglocke mehrmals die Bahnsteige und Gleise abgehen, um die Flüchtlinge zu warnen. Das Gedränge beim Einsteigen kann sich jeder vorstellen, der mal mit einer Masse gereist ist. Hier war jeder bedacht, fortzukommen, je eher desto besser. Nach der Abfahrt eines Flüchtlingszuges, der bei völliger Verdunkelung und oft bei Fliegeralarm abgefertigt wurde, mußte jeder diensttuende Eisenbahner unserer Dienststelle die Bahnsteige und Gleise räumen, denn Fahrzeuge konnten nicht mitgenommen werden. Später konnten jedem Zug 3 Güterwagen mit großem Gepäck angehängt werden, jedoch keine Fahrzeuge außer Kinderwagen, die der Beförderung von Kindern dienten. Am Schluß der Evakuierung von Buir aus am 27.11.44 lagen in der Nähe des Güterschuppens und am Ende der Ladestraße bis 10 m hoch gestapelte Fahrzeuge aller Art. Es waren Haufen so groß wie Zweistockhäuser.

Eines Tages bemerkten wir im Warteraum eine ältere Frau liegend auf einer Bank. Sie war tot und hatte am Vortag längere Zeit dort gesessen. Bei der Verladung eines Flüchtlingszuges mußte ich dutzendmal über Gleis 1 u. 2 die Rückseite eines Zuges kontrollieren und trat jedesmal über einen vermutlichen Sack, mehr konnte ich in der Dunkelheit nicht erkennen. Als ich am anderen Morgen bei Helligkeit mal nachsah, um was es sich gehandelt hatte, ich dachte, beim Einsteigen habe jemand sein Gepäck verloren, bemerkte ich, daß dort eine ältere Frau lag, die scheinbar beim Einsteigen tot getrampelt wurde. Bahn- und Militärpolizei übernahm das Weitere.

Die Flüchtlingszüge konnten ca. 1200 Personen aufnehmen. Als am ersten Tag durch den Ansturm von schätzungsweise über 2000 Personen große Schwierigkeiten bei der Abfertigung der Züge auftraten und viele Leute auf den Trittbrettern standen, die trotz Bitten und Flehen ihre Plätze nicht räumen wollten, wir aber den Zug in dieser Art der Besetzung nicht abfahren lassen durften, mußte ich die Bahn- und Mil.-Polizei um Hilfe bitten. Diese waren nur mit äußerster Energie in der Lage, die Leute von den Trittbrettern herunterzuholen, denn es hätten bei der Durchfahrt durch den damaligen Horremer Tunnel (1620 m lg.) Tote und Verletzte geben könne, und man hätte uns die Schuld zugeschoben. Erst nach einiger Zeit konnte der Zug abfahren, nachdem eine Menge Leute zurückbleiben mußte, um den späteren Zug zu benutzen. Um solche Schwierigkeiten zu vermeiden und das Abfertigen der Flüchtlingszüge geordnet durchzuführen, sprach ich mit dem Gruppenleiter der Pol.- Leiter der NSDAP, er möge mit seinen Leuten die Zugangsstraßen zum Bahnhof absperren lassen und ca. 1200 Personen auf das Bahnhofsgelände durchlassen, die dann für einen Zug ausreichten. Zunächst hatte ich Schwierigkeiten mit dem Herrn, der nicht kommandiert werden wollte. Doch als ich darauf bestand, den Zugang zum Bahnhof nur soviel Personen zu gestatten wie ein Zug fassen konnte, bemühte sich der Herr, seine Belegschaft (50 Mann) entsprechend einzuteilen, denn in der Umgebung des Bfs war genügend Platz für die 3-4000 Personen, die täglich abgefahren wurden. Auch war mehr Schutz gegen die Sicht der Flugzeuge bei dem täglichen Fliegeralarm, der damals Regel war.

Inzwischen wurden jedem Flüchtlingszug 3 Güterwagen mit großem Gepäck angehängt. Um zu gewährleisten, daß das Gepäck eines Flüchtlings bestimmt mit seinem Zug wegging, waren wir froh, daß die Verladung der Züge besser klappte als am ersten Tag.

An den ersten Tagen stiegen die Leute in die Züge ein, ihr Gepäck blieb jedoch zurück, während bei manchen Personen das Gepäck abrollte, die Leute selbst keinen Platz im Zuge erhielten und zurückbleiben mußten. Nach Tagen erhielten wir Nachricht über unanbringliches Gepäck, daß am Zielbf. lag und nicht abgeholt wurde, weil der Eigentümer mit einem anderen Zug abgefertigt wurde, der in einer ganz anderen Gegend endete. Wir hatten viel Schreiberei.




Teil 8 - Gefangennahme eines abgeschossenen engl. Flugzeugpiloten 1942

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