Euskirchens Tuchmacher und ihre Arbeiter


Von Heinz Küpper



VIII. Die Technisierung der Betriebe

Auch über diesen Punkt wissen wir schon viel, aber wir müssen noch einiges ergänzen. Für die Menschen- und Arbeitsverhältnisse ist es von größter Bedeutung, ob eine Industrie aus rein außermenschlichen Voraussetzungen, sagen wir Erdölvorkommen entsteht, oder ob sie entwickelt wird, indem sich in einer alten Umwelt vorhandene Handwerklichkeit mit Hilfe der Technik vervollkommnet. Bei solchen Industrien, und die Tuchindustrie gehört ganz dazu, wirkt, um es abkürzend mit Formulierungen von T. Heuß zu sagen, der „Technisierung des Humanen“ von vornherein die „Humanisierung des Technischen“ entgegen. Das trifft genau auf die verhältnismäßig kleinen Euskirchener Zustände zu. Die Mechanisierung ging, wie wir wissen, zuerst von den Hilfsgewerben aus und erfaßte ganz zuletzt den zentralen Arbeitsvorgang, die Weberei. Im Jahre 1853 wurde die erste Dampfmaschine in einer Spinnerei aufgestellt, der Ort, wo sie sich befunden hat, heißt heute noch „em Dämpes“.

Diese Einführung der Kraftmaschine hatte neben der Steigerung der Produktion auch den Zweck, von der Wasserkraft der Bäche unabhängig zu werden, bedeutete also technisch eine Loslösung von der Umwelt, die wirtschaftlich durch die Militärtuchlieferungen bewirkt wurde, indem die zivile Kundschaft der Umgegend immer mehr ausfiel. Aber diese Vorgänge der Loslösung hatten nur mittelbar und auf lange Sicht hin Einfluß auf die Stärke der Umwelt. 1859 gab es bereits 8 Dampfmaschinen in Euskirchener Tuchfabriken (S. 289). Aber erst in diesem Jahr kamen die ersten mechanischen Webstühle aus Chemnitz nach Euskirchen. Renelt berichtet darüber: „Sie wurden zunächst von einer Familie aus Billig bedient; als diese jedoch aus Euskirchen Anfang 1860 auszog, war guter Rat teuer ... die Euskirchener Weber ... sträubten ... sich derartig, auf ihnen auch nur versuchsweise Platz zu nehmen, daß schließlich nichts anderes übrig blieb, als die Maschinen vorläufig unbenutzt stehen zu lassen ... (vgl. Renelt S. 21).

Um diese Zeit waren aber im Gebiet des Zollvereins schon 11,1 % aller Webstühle Kraftstühle (vgl. Renelt S. 21). Es zeigt sich, daß in Euskirchen trotz der acht Dampfmaschinen in den hilfsgewerblichen Anlagen das Handwerkliche und die Umwelt bei der Weberei noch den Ausschlag gaben. Hinzu traten wirtschaftliche und technische Erwägungen, die die Anschaffung der mechanischen Webstühle verzögerten. Die Handwebstühle bildeten eine bedeutende Kapitalanlage (vgl. Renelt S. 21), die nicht ohne weiteres aufgegeben werden konnte, und außerdem waren sie anfangs den mechanischen Stühlen bis zu deren Verbesserung im Hinblick auf die Qualität des Tuches überlegen (vgl. Renelt S. 34 f). Trotzdem setzten sich bis zum Ende des Jahrhunderts die mechanischen Webstühle durch, zumal die Arbeiter bald herzhaft an sie herantraten, das anfängliche Sträuben war physisch bedingt gewesen und hatte keineswegs einen sozialen oder gar maschinenstürmerischen Hintergrund.

Als die Weberei aber erst einmal mechanisiert und zentralisiert war, zog sie die Hilfsgewerbe immer mehr an sich, so daß zuletzt die Volltuchfabriken zustande kamen und wie die kleinen Handwebereien mit 1-2 Stühlen auch die kleineren hilfsgewerblichen Anlagen eingingen. Spätestens ab 1872 war die Volltuchfabrik die führende Betriebsform in Euskirchen (vgl. Renelt S. 34 und Stadtarchiv A. 112).


Bevölkerungsbewegung

Ehe wir ihre Personalverfassung näher skizzieren, müssen wir noch einen kurzen Blick auf die Bevölkerungsbewegung der Stadt werfen. Mitte der 50er bis Anfang der 60er Jahre waren noch „Fabrikarbeiter“ aus Euskirchen in die benachbarten Großstädte abgewandert (Stadtarchiv A. 423). Offenbar war also die Euskirchener Industrie, worauf ja auch die sonstigen geschilderten Vorgänge dieser Jahre hinweisen, den großstädtischen kapitalistischen Industrieformen noch sehr unähnlich. 1881 ist es umgekehrt, jetzt ziehen die Euskirchener Fabriken Arbeiter an, wie aus einem Sanitätsbericht hervorgeht. Es heißt da: „Diese Leute bringen selten viel mit außer einer großen Zahl von Kindern.“ (Stadtarchiv A. 414) Woher sie kamen, ist nicht zu ersehen, wahrscheinlich aus ärmeren Landgemeinden der weiteren Umgebung, besonders Eifeldörfern. Sie stellten jedenfalls die Tagelöhner. Deren Zahl wird aber auch noch von einer anderen Seite her vermehrt.

Schon 1872 ist in einem bürgermeisterlichen Bericht die Rede vom Rückgang der Landwirtschaft, „da die Arbeiter in die Fabriken gehen und dort mehr verdienen.“ (Stadtarchiv A. 414). Das gilt für die Stadt und auch für einige stadtnahe Dörfer. Inzwischen (1881) war Euskirchen auch Eisenbahnknotenpunkt geworden (Näheres Hardt a.a.o.). 1889 beschäftigte es in 18 Tuchfabriken 1051 Arbeiter (Renelt S. 33). Seine Einwohnerzahl hatte sich von 4.176 im Jahre 1861 erhöht auf 6.891 im Jahre 1880 und sollte 1900 bereits 10.286 betragen (nach H. Houben a.a.o.). Das ist zwar viel, hielt sich aber immer noch im Rahmen der Kleinstadt, die einer Verproletarisierung der zugezogenen und erst recht der einheimischen Arbeiter entgegenwirkte.


IX. Die Personalverfassung einer Tuchfabrik um 1895

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Entnommen: Heimatkalender für den Kreis Euskirchen 1955


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