Euskirchens Tuchmacher und ihre Arbeiter


Von Heinz Küpper



I. Die Euskirchener Tuchindustrie bis zum 19. Jahrhundert

Euskirchen, das schon im Jahre 1302 zur Stadt erhoben wurde, hat doch rund fünfhundert Jahre lang seinen dörflichen Charakter bewahrt und sich dann erst in den letzten 150 Jahren zu einem kleinstädtischen Gemeinwesen ausgedehnt. Verkehr und Industrie haben erst eine Stadt aus Euskirchen gemacht; negativ ausgedrückt heißt das, sie haben seine dörflichen oder, wenn man will, mittelalterlich-kleinstädtischen Wesenszüge zerstört, übrigens auch äußerlich: der wachsende Industrieort hat im Gegensatz zu seinen Nachbarstädtchen die ihn einengende Ummauerung bedenkenlos niedergelegt. So ist die Stadt, wie sie heute lebt, von der entscheidenden Umprägung bestimmt, die sich im 19. Jahrhundert an ihr vollzogen hat. Jedoch ist Euskirchen in aller Umprägung noch Kleinstadt geblieben, deren Lebensstil in die Industrie hineinwirkt. Das entspricht seiner geschichtlichen Entwicklung, in der sich Umwelt und Tuchmachergewerbe gegenseitig geformt haben.

Seit wann es in Euskirchen Tuchmacher gibt, läßt sich nicht genau feststellen. Im Jahre 1677 werden anläßlich einer "Volks- und Viehzählung" unter 489 Einwohnern 2 "Wüllenweber" erwähnt u. 1705 wurde eine "Wüllenweberzunft" gegründet (s. Renelt S. 7). Das ist sehr spät, wenn man bedenkt, daß von der Kölner und Aachener Tuchmacherei ganz abgesehen in Münstereifel seit mindestens 1339 eine hochgeschätzte Zunft und seit 1618 eine „Tuchfabrik“ der Kapuziner, die die gesamte kölnische Ordensprovinz mit Tuchen versorgten, bestanden (s. Renelt S. 3 ff.). Während also in näherer und weiterer Nachbarschaft die Tuchmacherei bereits seit rund hundert Jahren auch schon außerhalb der mittelalterlichen Bindungen in größerem Stile betrieben wurde, begaben sich die Euskirchener Tuchmacher in diese Bindungen als die ihnen selbstverständlichen hinein.

Zur näheren Kennzeichnung der „Wüllenweber“ seien Renelts allerdings auch auf den Anfang des 19. Jahrhunderts gemünzte Formulierungen zitiert: „Die Tuchmacherei in Euskirchen war, soweit sie sich nachweisen läßt, niemals reine Hausweberei, in der man also nur für den eigenen Bedarf Tücher herstellte. Zwar wurde sie ausschließlich bloß nebenbei betrieben, denn Ackerbau und Viehzucht waren die Hauptbeschäftigung der Euskirchener bis weit in das 19. Jahrhundert hinein, doch galt eben ihre erste Nebenbeschäftigung, die Weberei, soweit sie sich verfolgen läßt, in erster Linie dem Absatz an Tuchhändler und an die Verbraucher direkt, also letzten Endes dem Gelderwerb.“ (s. Renelt S. 10). „Das Handwerk in Euskirchen war eigentlich Markthandwerk, von dem man als von einem Unternehmen sprechen darf ... Das Kapitel dieser Markthandwerker bestand aus ihrem Werkzeug, also dem Webstuhl und dem Rohstoff, der Wolle.“ (s. Renelt S. 77).

Allerdings muß man das Wort „Unternehmen“ nicht mißverstehen. Unternehmer im modernen und auch im Sinne der merkantilen Verleger und Kaufleute waren die Euskirchener Tuchmacher des 18. Jahrhunderts keinesfalls. Man kann sie besser (im Sinne von E. Michel) als „Preiswerker“ bezeichnen, d.h. als Handwerker, die zwar für den Markt produzierten, aber für Arbeitsordnung und Sozialethos die Bindungen des Mittelalters noch innehielten. Die erste Bindung bestand nach Michel in der auch von Renelt charakterisierten (S. 77) Familienverfassung, die zweite in der Genossenschaft (Zunft, Innung) und der Stadt. Michel bemerkt dazu: „Beide (Zunft und Stadt) leisten einen Teil der Überlegungen und Einrichtungen, die später der Unternehmer übernimmt.“

Es ist jedoch zweifelhaft, ob dies in Euskirchen zutraf, dazu waren im 18. Jahrhundert die Stadt und die Weberzunft darin zu unbedeutend. Noch 1801 gab es nur 14 Webermeister, darunter 9 Wüllenweber, in der Stadt (nach Beutin S. 287;a.a.O.). Josef Franke berichtet in seinem Aufsatz über das Kapuzinerkloster in Euskirchen eine bezeichnende Einzelheit (a.a.O. S. 117): Als die „Tuchfabrik“ des Münstereifeler Konvents 1771 abgebrannt war, habe sich der Rat der Stadt Euskirchen an den Landesherrn Karl Theodor, Herzog von Jülich, und anschließend an den Provinzial des Ordens gewandt mit der Bitte, eine Tuchfabrikation im Euskirchener Kloster einzurichten, da die übrigen Jülicher Mithauptstädte diese und jene fördernde Einrichtung besäßen, Euskirchen aber „nur Ackerbau“ habe und daß durch Mißernten Not und Armut der Bevölkerung steige. Karl Theodor erklärte sich damals in der genannten Bitte für nicht zuständig, aber von seiner Seite, also von außen her, im Zuge der merkantilen Wirtschaftspolitik der Zeit scheint doch das Gewerbe in Euskirchen gehoben worden zu sein.

1774, also drei Jahre später, seien „sieben auswärtige Händler mit Wollentuch und allerlei Stoffen“ als Bürger in Euskirchen ansässig geworden (Gissinger S. 326). Gissinger und Renelt schrieben dies dem allgemeinen, durch die landesherrliche Fürsorge und die lange Friedenszeit (seit 1763) bedingten wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt zu, aber der Hinweis Frankes dürfte diese Vorstellung einschränken. Die erwähnten Tuchhändler scheinen jedenfalls keinen Fernhandel auf der Basis eines Verlagssystems betrieben zu haben. Wenn sie wirklich mit solchen Absichten in Euskirchen ansässig geworden waren, so hat die Stadt sie sehr rasch assimiliert, d.h. aus den Tuchhändlern wurden wahrscheinlich Tuchmacher wie im Falle der Gebrüder Weber, die zuerst in der Umgebung, dann in der Stadt Euskirchen ansässig wurden und später beim Ausbau der Industrie eine führende Rolle spielten (Renelt S. 11).

Die Nachbardörfer Kuchenheim und Stotzheim waren um 1800 als Tuchmachermanufakturorte bekannter als Euskirchen (Renelt S. 5). Sie waren wohl auch auf Münstereifel zentriert, von woher mit dem Wasserlauf der Erft die Tuchfabrikation dorthin gelangt war. Renelt führt die alten Bezeichnungen „Tuchfabrikmühle“ und „Lohnspinnerei“ (S. 9) an, aber auch diese kleinen Manufakturen dürften sich in Arbeits- und Menschenordnung nicht erheblich von den Werkstätten der Euskirchener Tuchmacher unterschieden haben. So wird man zusammenfassend sagen können, daß der Merkantilismus des 18. Jahrhunderts die Euskirchener Tuchindustrie in ihrem Zustand zwar gefördert habe, aber sie nicht aus dennoch mittelalterlichen Bindungen hinaus in die ihm typischen Formen des Verlagssystems und der Manufaktur überführen konnte. Dazu war erstens die Basis zu schmal und zweitens fehlte die Initiative von den Tuchmachern selbst her, die keine unternehmerischen Kaufleute, sondern kleine Ackerbauern und Handwerker nebenbei waren und dadurch nicht ihren alten Stand überschritten.


II. Der Wendepunkt zur neuen Entwicklung

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Entnommen: Heimatkalender für den Kreis Euskirchen 1955


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