Euskirchens Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert


Von Ludwig Beutin


Die Zeit vor und während des 2. Weltkrieges


Das Ganze der Euskirchener Wirtschaft überblickend stellt man fest, daß sie ihre in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkriege gewonnene Struktur bewahrt und weiter entwickelt hatte. Sie war daran, die schweren Rückschläge wieder wettzumachen, die der Krieg ihr zugefügt hatte. Daß freilich hier noch vieles zu tun war, bewiesen die Zahlen der Erwerbslosen auch in der Zeit der relativ günstigsten Konjunktur. Am 1. Juli 1926 zählte man in der Stadt 826 Hauptunterstützungsempfänger und dazu 126 Notstandsarbeiter, am 1. Juli 1927 noch 314 Erwerbslose und 78 Notstandsarbeiter. Die Stadt vergab eine große Anzahl von Notstandsprojekten.

Gegenüber der Vorkriegszeit sind die wirtschaftlichen Wechsellagen schärfer gegeneinander abgesetzt, der Gegensatz zwischen guten und schlechten Konjunkturen ist heftiger geworden, die Zeitspannen wurden kürzer. Nicht nur die stark erhöhte Mechanisierung der Erzeugung, damit ihre größere Empfindlichkeit gegen die Lage der Märkte, wirkte sich aus. Einen hervorragenden Anteil daran, den ganzen Bau labil zu machen, hatten auch die politischen Kräfte. Die Unsicherheit wurde in Deutschland auch während der Aufschwungperiode lebhaft empfunden. Da Beispiel unserer Stadt erweist ja, daß keineswegs schon der wünschenswerte Zustand wieder erreicht war. Die deutsche Wirtschaft und die Politik sind den Gefahren gegenüber nicht blind gewesen, sie konnten den allgemeinen Optimismus der Welt nicht teilen, selbst wenn die Erfolge des Fleißes sichtbar waren. Schon das Jahr 1929 begann wieder mit unheilvollen Ereignissen. Aber erst 1931 brach dann die Krise mit voller Wucht auch über Deutschland herein.

Keine Stadt, kein Betrieb, kein einzelner Mensch konnte sich ihr entziehen. Jeder ältere Mensch erinnert sich noch der düsteren Stimmung, die sich im Sommer 1931 über Stadt und Land lagerte. Ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie eng und schicksalvoll auch die kleinere Stadt in die Weltwirtschaft eingefügt ist, bietet die Zuckerindustrie. Auf dem Weltmarkt, in gewissen Grenzen auch auf dem deutschen war der Zuckeranbau so gestiegen, daß es in der Weltkrise zu einem ungeheuren Preissturz kam. Der deutschen Wirtschaft bot sich neben handelspolitischen Maßnahmen die Produktionsbeschränkung als wichtigster Ausweg.

Der Zuckerrübenanbau und die Verarbeitung wurden kontingentiert, die Euskirchener Fabrik erhielt 1941 rund 53 % des Vorjahrsumfanges zugeteilt, nämlich 1,1 Millionen dz. Jahre hindurch wurde diese Kontingentierung durchgeführt, um nicht die Preise völlig zu stürzen, dadurch die Produktion wirtschaftlich unmöglich zu machen. Dann, von 1936 an, wirkte sich die schärfere Sperrpolitik des Reiches aus, die Nachfrage zog an, nicht nur nach Zucker, sondern auch nach einheimischen Futtermitteln, der Rübenbau wurde gelockert und gesteigert, bis 1949 der frühere Gipfel abermals übertroffen wurde mit 1.980.000 dz Verarbeitung im Euskirchener Werk. Bis 1943 hielt sie sich mit rund 1,7 Millionen dz einigermaßen konstant.

In jenen Jahren der Depression liegen gewiß manche Wurzeln des Unglücks, das über uns gekommen ist. Die Zahl der Erwerbslosen in der Stadt stieg, wie überall, so an, daß kein Ausweg offen schien. Die Schwere der Krise wurde dadurch erst so lastend, daß jeder Berufsstand und Produktionszweig gleichmäßig getroffen war, so wie jedes Land der Welt. Geduld, Weisheit, tiefe Einsicht in die Vorgänge waren notwendig, um allmählich die Not zu überwinden. Die Ansprüche an die Lebensführung, die ohne Zweifel zu hoch geschraubt worden waren, mußten von jedem eingeschränkt werden. Es ist wohl leicht, hernach Maßregeln zu ersinnen, aber doch muß man rückschauend sagen, daß dem deutschen Volke die Geduld und die zugleich erforderliche weitschauende Planung fehlten. Es ist psychologisch sehr verständlich - das Volk hatte schon lange Leidenszeiten hinter sich. In die Verzweiflung darüber, daß aller Fleiß nun doch zu nichts anderem führen sollte als zu neuer Einschränkung, daß die Hebung der Produktion nach kurzer Zeit umschlug in unverkäufliche Überproduktion, daß die ausländischen Gläubiger in wirtschaftlich unsinniger Weise ihre Gelder zurückverlangten - in diese Lage brach die demagogische Propaganda vor. Trotz allem widerstand das Rheinland ihr am längsten.

Es ist hier zu bitteren Erinnerung nicht der Platz. Man hört zuweilen Argumente wie diese: die Arbeitslosigkeit sei nach 1933 in kurzer Frist beseitigt, der Arbeitsfriede sei gewahrt worden; es seien Häuser, Siedlungen, Fabriken gebaut worden; und viel dergleichen. In der Tat: die Tuchfabriken beschäftigten, als der zweite Weltkrieg ausbrach, wieder 1515 Menschen, mehr als je zuvor. Die Ziffern der Zuckererzeugung sprechen ihrerseits deutlich. Aber wenn man von einer Scheinblüte sprechen will, dann war es diese Konjunktur, die großenteils planmäßig auf den Krieg ausgerichtet war. Die Uniformen, die Waffen, Fahrzeuge wurden produziert, mit denen ihre Erzeuger bald in die Nachbarländer einmarschieren sollten; finanziert wurde alles durch eine nicht allzu gut getarnte Inflation; der Markt war durch Preis- und Lohnstopp außer Kraft gesetzt, der Friede wurde gewaltsam und nicht durch Einigung erzielt. Genug davon. Wir haben einen ungeheuren Anschauungsunterricht genossen.


Die Nachkriegszeit


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Entnommen: „650 Jahre - Stadt Euskirchen, 1302 - 1952, Festschrift zum Stadtjubiläum, 1952, Euskirchen


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