Euskirchens Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert


Von Ludwig Beutin


Die Entwicklung des Einzelhandels


Der Einzelhandel nahm einen entsprechenden Aufschwung. Die Zahl seiner Betriebe hat sogar stärker zugenommen als die handwerklichen, nämlich von 150 im Jahre 1907 auf 208 1927, da sind 39 % Zuwachs (gegen die 17 % der Einwohnerzahl). Dabei stieg die Zahl der Kolonialwaren- und Feinkostgeschäfte weitaus am meisten, nämlich um fast das Dreifache, von 24 auf 70 Geschäfte. Vom Verbrauch her gesehen zeigt das ebenfalls gehobenen Anspruch an und auch den Zustrom vermehrter Kundschaft aus der Umgegend. Die Kaufgewohnheiten hatten sich völlig verändert, der Einkauf auf dem Markte, die unmittelbare Lieferung von Butter, Eiern, Milch, Gemüse durch die Bauern ist durch Krieg und Inflation zu einer überlebten, nie wieder in der alten Weise aufgenommenen Form geworden.

Aber freilich läßt sich aus dieser und mancher anderen Zahl auch ablesen, daß mancher Mann sich dem Einzelhandel zuwandte, der sonst in anderem Beruf tätig gewesen war, und daher ein so großes Angebot, daß man über die Existenzgrundlage ernste Gedanken hegen mußte. 1927 waren in den Geschäften des Einzelhandels 91 Gehilfen und 161 Lehrlinge tätig. Das heißt, die allermeisten waren Betriebe, in denen der Inhaber, oft mit Hilfe der Ehefrau, allein arbeitete. Es ist jene Welt der mit äußerstem persönlichen Fleiß, unter engem Anschluß an die genau bekannten Wünsche der Konsumenten, mit sparsamster Wirtschaftlichkeit geführten Kleinbetriebe, die dem Einzelnen seine Existenz sichern, die im Gesamtbau der Gesellschaft ihren notwendigen Platz besitzt.

Die Interessen von Handwerk und Einzelhandel wurden im Jahre 1924 organisatorisch zusammengefaßt durch die Gründung des „Mittelstandsamts Euskirchen E.V.“, in dem als Spitzenorganisation des Handwerks der Innungsausschuß, der 1925 gebildet wurde, der Einzelhandelsverband, der Wirteverein und verschiedene andere gewerbliche, über die Stadt hinausgreifende Vereine vertreten waren. Das Mittelstandsamt richtete eine Geschäftsstelle ein, der Abteilungen für Rechts- und Steuerberatung, für Versicherung, Werbung, Buchführung angegliedert wurden und der ein hauptamtlicher Geschäftsführer vorstand.

Einen aufschlußreichen Querschnitt durch das Euskirchener Wirtschaftsleben gab die Ausstellung, die im Jahre 925 mit der Verkehrs- und Heimatwoche verbunden war. Die Jahrtausendfeier der Rheinlande wurde mit dieser Leistungsschau des Gewerbefleißes zugleich als Ausdruck des Lebens- und Arbeitswillens betont. Zu den landwirtschaftlichen Maschinen er Firmen Niessen u. Rosenbaum und M. Eschweiler, den Erzeugnissen der Wagenfabrik M. Lückerath, der Westdeutschen Steinzeug-, Chamotte- und Dinaswerke (Steinzeugröhren, Gefäße für die chemische Industrie usw.), J. Esser (elektrische Apparate), der Rheinischen Metallgießerei Gebr. August (Rotguß) gesellten sich die in ihrer Vielfältigkeit wirkenden handwerklichen Erzeugnisse einer großen Zahl von Firmen, unter denen das Holzgewerbe einen hervorragenden Platz einnahm. Daß die Städtische Berufsschule mit einer historisch aufgebauten Schau der Textilmaschinen, mit Schülerarbeiten aller Art, daß auch der Katholische Gesellenverein mit ansehnlichen Schaustücken, Leistungen seiner Mitglieder, sich beteiligten, war ein Zeichen für die Stellung, die auch in einer Industriestadt das Handwerk in der Gegenwart innehat. Indem der Nachwuchs sorgfältig geschult wird, sichert der Stand seine tausendfache Leistung in ihrer typischen Art, der individuellen Arbeit am einzelnen Werkstück.


Die Zeit vor und während des 2. Weltkrieges


Zur Inhaltsübersicht

Zu den Euskirchenseiten


Entnommen: „650 Jahre - Stadt Euskirchen, 1302 - 1952, Festschrift zum Stadtjubiläum, 1952, Euskirchen


© Copyright 2000 wisoveg.de
Zur Homepage