Euskirchens Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert


Von Ludwig Beutin


Die Entwicklung des Handwerks


Wir sagten schon, daß Euskirchen in sinnvoller Zusammenarbeit mit der Industrie ein vielfaches Handwerk entwickelte. Es litt mehr als die Industrie unter den Kriegs- und Nachkriegserscheinungen, da es von Natur auf den heimischen Markt angewiesen ist. Mit diesem steht und fällt es. Seit der Jahrhundertwende war, zunächst von unternehmenden Leuten, bald aber durch Erfolg und Notwendigkeit in breitester Linie aufgenommen, eine Wandlung der handwerklichen Arbeitsweise eingetreten, die den ganzen Stand tief umgewandelt hat. Die Maschine hielt ihren Einzug. Schon der Gasmotor hatte vorgearbeitet, aber erste die Elektrizität brachte den großen Umschwung. Kleingeräte aller Art und jeder Zwecksetzung wurden dem Handwerker unentbehrlich, im ganzen weniger eigentliche Maschinen als verbesserte, mechanisierte Handwerkszeuge. Mit neuen Bedürfnissen kamen neue Berufe auf. Man denke allein an das Fahrrad, dann aber in weit auffälligerem maße beanspruchte der Kraftwagen neue Arbeitsweisen auch des Handwerks.

Man denke daran, wie plötzlich in wenigen Jahren der Rundfunk aufkam. Die Installation nahm mit der Elektrizität einen neuen Aufschwung. Das Baugewerbe, immer ja mit seinen mannigfachen Anforderungen eine Schlüsselindustrie allerwichtigster Art, bildete viele Hilfsmaschinen aus. 1926 war keiner der 36 Bäckerei- und Konditoreibetriebe der Stadt mehr ohne Kraftbetrieb, die Hälfte besaß Dampfbacköfen. Das Fleischergewerbe hatte sich ebenfalls größtenteils mit Maschinen versehen. Das Handwerk hatte sich durchgreifend rationalisiert und mechanisiert, und es konnte nicht ausbleiben, daß in Ausbildung, Ansprüchen und gesellschaftlichem Stande eine durchgreifende Wandlung eintrat.

Vergleichen wir die Zahlen. Die Zahl der Handwerksbetriebe betrug 1907: 253 und 1927 : 398. Im einzelnen gab es:




107

1927



Im Rohbau- u. Ausbaugewerbe
Holzgewerbe
Metallgewerbe
Bekleidungsgewerbe
Lebensmittelgewerbe
in verschiedenen Gewerben

33
33
29
89
45
24

64
51
58
121
65
39







Stellte sich also die allgemeine Zunahme auf 57 % gegenüber dem Stand von 1907, so überschritten die Baugewerbe und Metallgewerbe diesen Satz wesentlich. Daß etwa die Schuhmacher an der Zunahme keinen Anteil hatten, ist ebenso bezeichnend wie die Verdoppelung der Friseurbetriebe. Vergleichen wir mit diesen Ziffern die der Bevölkerung: 1901 wurden in Euskirchen 12.412 Einwohner in 2.375 haushalten gezählt, 1925 14.547 Einwohner in 3.392 Haushalten. Das sind rund 17 % bei den Einwohnern, aber rund 42 % bei den Haushalten. Diesen zum kleineren und besonders zum Einpersonenhaushalt zielenden Wandel muß man beachten, wenn man beide zahlen, die der Handwerksbetriebe und die der Einwohner, zu kombinieren unternimmt. Man könnte ja von der zweifellosen Tatsache, daß sich die Zahl der Betriebe weit stärker vermehrt hat als die Zahl der Konsumenten, auf die Übersetzung des Gewerbes schließen.

Allein dies wäre viel zu einfach - obwohl oft so argumentiert wird. Denn vieles ist zu bedenken. Zunächst der angedeutete Wandel der Ansprüche aller Art, das Aufkommen ganz neuer Bedarfsrichtungen, die Intensivierung anderer; die gleiche Zahl der Menschen beschäftigt eine ungleich größere Zahl der Handwerksberufe als früher. Das ist ein unbedingt bejahenswerter Zug, denn er hat zu seinem wesentlichen Inhalt Bereicherung des Lebens an Wertender Lebensführung, der äußeren Erscheinung, der Wohnung, des geselligen Daseins. Sodann aber ist zu sagen, daß sich der Kundenkreis ja längst nicht mehr auf die Stadt allein ,sondern weit über das Land erstreckt. So kommt man der Frage nach dem Bedarf und damit der wirtschaftlich besten Zahl der ihm dienenden Betriebe mit solchen einfachen Messungen nicht näher. Schon die Zahl der 322 Gehilfen und 436 Lehrlinge des Handwerks im Jahre 1926 zeigt, daß hier zu den wirtschaftlichen auch wichtige soziale Belange zu wahren sind.

Die Organisation des Handwerks wurde vorangetrieben. Zum Teil greift sie über die Stadt hinaus und umfaßt den Kreis Euskirchen mit, aber es ist doch die Kreisstadt ihr eigentlicher Schwerpunkt. 1927 bestanden zwölf Innungen, teils in der Form der Zwangsinnung, teils als freie Innungen. Es waren dies die

Zwangsinnung der Bäcker und Konditoren, Schneider-Zwangsinnung, Zwangsinnung für das Schmiedehandwerk, Zwangsinnung der Stellmacher und Wagenbauer (alle diese für den Kreis); Friseur-Zwangsinnung Euskirchen, Freie Fleischinnung, Freie Maler- und Anstreicherinnung, Freie Innung der Schlosser und Maschinenbauer, Freie Innung der Gas-, Wasser- und Elektroinstallateure, Freie Schuhmacherinnung, Freie Innung der Damenschneiderinnen.


Die Entwicklung des Einzelhandels


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Entnommen: „650 Jahre - Stadt Euskirchen, 1302 - 1952, Festschrift zum Stadtjubiläum, 1952, Euskirchen


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