Euskirchens Wirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert


Von Ludwig Beutin


Die Entwicklung der Wirtschaft


Die Wirtschaft mußte, nachdem mit der Reichsmark die neue Währung eingeführt war, neu beginnen. Es hieß jetzt wieder scharf kalkulieren, der Export stockte infolge der höheren Erzeugungskosten. Die Reparationen und die unvermeidlichen sonstigen durch die Niederlage im Krieg verursachten Kosten belasteten die deutsche Wirtschaft mit der schwersten Steuerlast, die in den Nationen zu tragen war. Die Absatzmärkte waren wiederzugewinnen. Dennoch regte sich das Leben neu. Man hat die Jahre von 1924 bis 1931 vielfach als die einer Scheinblüte bezeichnet. Richtig ist, daß es uns nur dadurch einigermaßen gut ging, daß ausländische Kapitalien in großer Menge nach Deutschland flossen. Aber schon die Art, wie sie angelegt wurden, kann man nicht durchweg als ungesund bezeichnen. Die Amerikaner, die Hauptgeldgeber, schätzten die Kraft der deutschen Wirtschaft hoch ein, höher als die Deutschen im allgemeinen, und sie sahen in der Anlage in deutschen Werten gute Sicherheit.

Daß anderswo in der Welt zu gleiche Zeit Vorgänge von Riesenmaß den Bau der Wirtschaft verwandelten, so daß die Krise unvermeidbar herankam, kann nichts daran ändern, daß in einem System der freien Weltwirtschaft die Kapitalhingabe an ein fleißiges und zukunftsfreudiges Deutschland eine gute und wirtschaftlich vernünftige Anlage bedeutete, Es sind mit den in die Verzweigungen der Banken und dann in die einzelnen Betriebe und Gemeinden fließenden Geldern die Werke instandgesetzt und rationalisiert worden, Rohstoffe wurden beschafft, es wurden die Löhne und Gehälter erhöht, so daß nach einem Jahrzehnt endlich der Zustand an Ernährung und Bekleidung wieder erreicht wurde, wie er einem europäischen Kulturvolk ansteht. Daß in der Lenkung oder wohl besser Nichtlenkung der Kapitalien große Fehler vorkamen, ist gewiß. An dem grundlegenden Fehler, den die Zeit beging, nämlich daß in einem wiederherzustellenden System der freien Verkehrswirtschaft nichtwirtschaftliche, politische Kräfte einen unheilvollen, unberechenbarer Einfluß übten, waren die Deutschen selbst am wenigsten beteiligt. Es wurden die Formen der freien Wirtschaft angewandt in einer politischen Welt, die völlig anders dachte und organisiert war - dies war die eigentliche Scheinblüte. Sie hat dennoch bei uns in Euskirchen dauernde Werte vielfacher Art geschaffen.

Sehen wir zunächst auf die Industrie. Ihr Hauptteil, die Textilindustrie, hatte durch Krieg und Inflation hin ihren Charakter festgehalten: sie umfaßte eine große zahl mittlerer Betriebe, nach wie vor unter der Leitung und im Besitz alter Tuchmacherfamilien. Die Zahl hatte sich gemindert, gegenüber den 18 Betrieben der Vorkriegszeit hatte die Kriegskonjunktur sei auf 21 gehoben, doch 1926 bestanden noch 14.

Die Firmen C. Lückerath und J. Ruhr hatten sich 1919 zusammengeschlossen. Das Produktionsprogramm hatte sich den veränderten Verhältnissen anpassen müssen. Die Militärtuchlieferungen waren zum größten Teil fortgefallen. Doch blieb ein Bedarf an Lieferungstuchen immer bestehen, die großen Kommunal- und Staatsbetriebe bleiben Abnehmer, die freilich in genau kalkulierendem Wettbewerb immer aufs neue gewonnen werden mußten. Auch der für Euskirchen bezeichnende Sonderzweig der Tuchlieferung für geistliche Orden wurde weiterhin gepflegt. Aber in der Hauptsache stellten die Fabriken nur Ziviltuch her und gingen mehr auch zu den feineren Sorten über.

Ein interessanter Versuch, den die Firma Koenen in Kuchenheim schon 1910 begonnen hatte, nämlich an die Tuchproduktion eigene Konfektion anzuschließen, erwies sich als erfolgreich und wurde zur dauernden Eigenart des Betriebes. Daß nun freilich die Periode der Rationalisierung und neuen Währung keineswegs nur eine der Blüte war, sondern zugleich ihre härteren Eigenschaften besaß, erkennt man aus der Zahl der Beschäftigten. 1922 waren es 1237 (wovon 155 Angestellte), 1926 aber nur noch 674, davon 105 Angestellte. Das sind bezeichnende Ziffern! Freilich hatte die Zeit die Metallindustrie noch härter angepackt. Sie arbeitete 1922 noch mit 1845 Kräften und 1926 waren es 136. Ein bedeutendes Werk hatte schließen müssen, die völlige Wandlung der Konjunktur zeigt sich hier besonders deutlich.

Die Zuckerfabrik hatte den ganzen Krieg durch und in den nachfolgenden Jahren schwer unter der Zwangswirtschaft gelitten, die den Rübenbau stark zurückgehen ließ. Die Bauern wichen in besser lohnende Produktion aus. Es wurde zeitweise Rohmaterial aus Holland ein- und Zucker dorthin wieder zurückgeführt, ein unmittelbarer Lohnveredlungsverkehr. Erst 1923, als die Zwangswirtschaft auch für Zucker aufgehoben wurde, normalisierten sich die Verhältnisse wieder, der Rübenbau stieg über die Vorkriegshöhe, die Fabrik nahm Erweiterungen vor und erhöhte ihre Kapazität auf 17.000 dz Rohrüben am Tage. 1929 wurden 1.135.000 dz Zuckerrüben verarbeitet. 1930 erreichte die Fabrik die höchste bis dahin verzeichnete Verarbeitung mit 1.805.000 dz. An der Zahl der Beschäftigten hatten die Dinaswerke einen sehr starken Anteil, dort arbeiteten 1926 rund 300 Menschen. Der Zahl nach stellte sich das Bild des industriellen Euskirchen so: es gab 14 Textilbetriebe, 2 keramische, 3 der Metallbranche, 6 Mühlen, Brauereien, Mälzereien, dann je einen der Zucker-, Kunstdünger-, Leder- und Bleiweißproduktion.


Die Entwicklung des Handwerks


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Entnommen: „650 Jahre - Stadt Euskirchen, 1302 - 1952, Festschrift zum Stadtjubiläum, 1952, Euskirchen


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