Nachrichtenblatt
2/01 - Das Historische Foto
Eine
Utopie der 50er Jahre
Von Prof. Dr. Klaus Groß
Wenn Sie, liebe Leser, vermuten, das Bild [rechts] zeige den Transrapid 05, der auf der internationalen Verkehrsausstellung 1979 in Hamburg seine Runden drehte, dann liegen Sie falsch. Zwar ist auch der nun schon längst Historie, aber das Foto von Peter Böhm (Sammlung Reuther) ist über 20 Jahre älter. Es zeigt einen Triebwagen der ALWEG-Bahn auf der Teststrecke in Köln-Fühlingen am 23.7.1957, dem Eröffnungstag dieser zweiten Kölner Teststrecke.
Foto:
Peter Boehm - Sammlung Reuther
Die ALWEG-Bahn ist eine einschienige Sattelbahn. Die Tragräder, luftbereifte Doppelräder, laufen auf der Oberseite eines Betonbalkens, während seitlich je zwei, ebenfalls luftbereifte Führungsräder pro Fahrwerk für die Querführung sorgen. Obwohl als Hochbahn entwickelt, kann sie auch als Oberflächenbahn oder im Tunnel geführt werden. Benannt wurde die ALWEG-Bahn nach ihrem Initiator und Förderer, dem schwedischen Industriellen Axel Lennart Wenner Gren, der die Bahn von einem deutschen Ingenieur-Team in Köln zur Einsatzreife entwickeln ließ.
Ursprünglich war als Einsatzgebiet eher der Hochgeschwindigkeits-Fernverkehr vorgesehen. In einem Eisenbahnbuch von 1955 lautete eine Kapitelüberschrift zur ALWEG-Bahn: Heute Utopie, morgen vielleicht schon Wirklichkeit: Mit 400 Stundenkilometern nach Madrid, wobei Hamburg der Ausgangspunkt sein sollte. Wie beim Transrapid zerplatzten die Träume, und übrig blieben ein paar Anwendungen im Nahverkehr, insgesamt aber immerhin noch mehr, als bei den staatlich geförderten 70er-Jahre-Entwicklungen C-Bahn, H-Bahn und M-Bahn zusammen.
Zurück nach Köln: Der auf dem Foto dargestellten Teststrecke in Fühlingen war ein kleinerer Testring mit außerordentlich stark geneigten Kurven vorausgegangen, eben im Hinblick auf die angepeilten hohen Geschwindigkeiten. Auch sollte hiermit die behauptete absolute Entgleisungssicherheit demonstriert werden. Man konnte nämlich das Fahrzeug in dieser extremen Schräglage anhalten, ohne dass es von der Fahrbahn kippte. Dieses erste Testfahrzeug war im Maßstab 1:2,5 gebaut - der Testfahrer konnte seinen Platz im Cockpit nur in mehr oder weniger liegender Position einnehmen. Diese erste Versuchsstrecke war im Oktober 1952 eröffnet worden.
Sie musste 1957 der im Foto dargestellten Teststrecke im Maßstab 1:1 weichen. Bei dem von Linke-Hoffman-Busch in Salzgitter gebauten Fahrzeug handelt es sich um einen Doppeltriebwagen mit einer Kapazität von 200 Personen. Jede Sektion ist 11 m lang; Höchstgeschwindigkeit: 80 km/h Einem Insiderbericht zufolge soll der Fahrkomfort etwas rumpelig gewesen sein. Verständlicherweise fehlten bei diesem damals neuen Verkehrsmittel Erfahrungen hinsichtlich der Fahrwerksabstimmung. Dennoch: bei seinem Besuch im Oktober 1957 auf der Anlage soll sich der damalige Bundeskanzler Adenauer beeindruckt gezeigt haben. Bleibenden Eindruck muss die Anlage im Folgejahr auch auf Walt Disney gemacht haben - er sorgte schließlich für den ersten Anwendungsfall.
Führen wir aber zunächst die Chronik der Kölner ALWEG-Bahn zu Ende: die deutschen Verkehrsbetriebe zeigten kein Interesse, vom bewährten Zweischienensystem abzugehen; die Aussage des KVB-Vorstandssprechers Prinz sind in dem Metrorapid-Beitrag in diesem Heft zitiert. So ist die Teststrecke schließlich im Oktober 1967 sang- und klanglos abgerissen worden, um in Teilen dem Fühlinger See Platz zu machen, auf dessen Grund noch einige Stützen und Fahrbahnbalken liegen sollen. Bis vor einigen Jahren waren nahe dem See noch einige Stützenfundamente am Rand eines Ackers zu erkennen.
Mitte 1959, also ein Jahr nach dem Besuch von Walt Disney auf der Versuchsanlage, wurde eine ALWEG-Bahn im Vergnügungspark Disneyland in Betrieb genommen, die aber von Fachleuten nicht als ernsthafter Anwendungsfall anerkannt wurde. Die erste richtige Anwendung gab es 1961 in Turin. Auf der Ausstellung zum 100-jährigen Bestehen der Republik ging eine 1,2 km lange ALWEG-Bahn-Strecke in Betrieb. Ein Jahr später folgte in den USA in Seattle eine 1,6 km lange Strecke, die die Innenstadt mit dem Weltausstellungsgelände verband. Diese Strecke ist bis heute in Betrieb; es gibt sogar - wieder oder immer noch - eine Initiative, die diese Strecke als Keimzelle eines aufzubauenden Netzes sieht.
Anordnung
der Räder bei der ALWEG-Bahn
Ebenfalls bis heute in Betrieb ist eine 13,1 km lange Strecke, die den Flughafen Tokio mit der Innenstadt verbindet und zur Olympiade 1964 eröffnet wurde. In Japan gibt es noch einige weitere Anwendungen, darunter die zur Weltausstellung 1970 in Osaka errichtete Bahn. Die jüngste auf ALWEG-Technik basierende Einschienenbahn, die Las Vegas Monorail, ist seit 2000 (!) in Bau.
Die Frage, weshalb die ALWEG-Bahn keine größere Verbreitung gefunden hat, hat der frühere KVB-Chef Prinz für den Nahverkehr im wesentlichen mit der fehlenden Kompatibilität mit bestehenden Systemen beantwortet. Bleibt zu klären, weshalb es nicht eine einzige Hochgeschwindigkeitsstrecke für den Fernverkehr gegeben hat. Schließlich krebste die Eisenbahn in den 50er Jahren in Europa noch an den Folgen des Krieges: die DB war gerade dabei, Strecken wieder für 140 km/h Höchstgeschwindigkeit herzurichten. Ein überlagertes Hochgeschwindigkeitsnetz zwischen wenigen Metropolen hätte damals vermutlich Sinn gemacht und den aufkommenden Flugverkehr begrenzen können. Der Hauptgrund ist sicher bei den Kosten zu suchen, die zusätzlich zu den Mitteln für den Wiederaufbau der für die übrigen Verkehre unverzichtbaren Eisenbahn aufzuwenden gewesen wären.
Abgesehen davon hat es auch technische Probleme gegeben, die den Durchbruch verhindert haben. Gummi auf Beton hat mehr als den 10-fachen Rollwiderstand, verglichen mit Stahl auf Stahl bei der Eisenbahn. Auch der erhebliche Reifenabrieb ist ein Problem, mit dem z.B. die Pariser Metro auf ihren Pneu-Strecken heute noch zu kämpfen hat. Und ein Verkehrsmittel, bei dessen Prototyp der Fahrkomfort nicht überzeugt, hat es schwer, sich durchzusetzen, wenn die Eisenbahn mit den damals neuen TEE-Zügen Standards setzt.
Lassen Sie sich, liebe Leser, abschließend in die Utopien der 50er Jahre entführen, mit einem Zitat von Werner Büdeler aus dem schon erwähnten Kapitel des Buches Junge, das ist Tempo - Eisenbahnen, und nehmen Sie teil an der Eröffnungsfahrt der ALWEG-Bahn Hamburg - Madrid:
Abwechselnd blickt Günther Weißmann auf die Uhr und auf den Geschwindigkeitsanzeiger. Es ist sein persönlicher Ehrgeiz, mit dieser Fahrt einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen. Man kann es ihm ohne weiteres zutrauen, denn Günther Weißmann ist ein alter Hase bei der Leitschienenbahn. Er war schon dabei, als das erste Versuchsmodell auf einer bescheidenen Versuchsstrecke von siebzehnhundert Meter Schienenlänge in Köln lief. Später hatte er einen ALWEG-Zug auf der Kurzstrecke im Ruhrgebiet gefahren. Diese Bahn verbindet alle Ruhrstädte miteinander. Sie reicht bis nach Bonn herunter und hat das Verkehrsproblem an Ruhr und Rhein gelöst. Die dichte Zugfolge, das schnelle Anfahren der Züge und die hohe Reisegeschwindigkeit haben die neue Bahn schnell zu einem populären Verkehrsmittel gemacht. Ähnlichkeiten mit modernen Politiker-Wunschträumen sind durch die Auswahl des Zitats bedingt und gewollt.
Noch ein Hinweis zum Schluss: am Sonntag, den 7.10. von 11 bis 17 Uhr ist eine ALWEG-Bahn-Ausstellung in Köln-Bilderstöckchen (im alten Bahnbetriebswerk Nippes) zu sehen.
kg
Literatur zu Thema Metrorapid und ALWEG-Bahn:
Buyken, Hartmut: Rapid-S-Bahn statt Metrorapid, PRO BAHN Zeitung 21(2001)1 (H.85), 31.35
Stieglitz, Oliver: PRO BAHN zum Metrorapid, PRO Bahn - Nordrhein-Westfalen-Info, März 2001
Johannsen, Arne B. et.al: Vorstudie über eine ALWEG-Bahn für die Strecke Köln-Stadtmitte - Köln-Nordstadt, Düsseldorf 1966
Rößler, Karlheinz / Schraven, David: Verschiedene Aufsätze zu Metrorapid in NRW, taz-nrw. Nr. 51 vom 3. Mai 2001, Seite 2+3
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Chancen und Risiken des Metrorapid, im Landtag Nordrhein-Westfalen, Fachanhörung am 1. Februar 2001
Reinhard Krischer: ALWEG-Archiv http://hometown.aol.com/alwegbahn/myhomepageindex.htm
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