Noch keine Klarheit über die Unglücksursache am Drachenfels
Rundschau-Sonderseite vom 16. September 1958




Sechzehn Tote und 87 Verletze - Schwarzer Sonntag für Tausende von Ausflüglern - Wahrscheinlich Versagen der Technik und nicht der Menschen




Sechzehn Tote und 87 Verletzte - das ist die tragische Bilanz des entsetzlichen Unglücks, das sich am Sonntag gegen 18.45 Uhr auf der Drachenfelsbahn in Königswinter ereignete. Nach schwierigen Ermittlungen war es gestern nachmittag möglich, diese Zahlen bekanntzugeben.

Der Zustand vieler Schwerverletzter ist sehr ernst. Regierungspräsident Dr. Rieger ließ sich gestern an Ort und Stelle über die Zusammenhänge des Unglücks und die Hilfsmaßnahmen berichten. Ministerpräsident Dr. Meyers sandte Ministerialdirigent Beine zur Unfallstelle, um ein genaues Bild von der Katastrophe zu gewinnen.

Bilder des Grauens boten sich den Rettungsmannschaften an der Unglücksstelle




Fünfzehn Stunden nach dem entsetzlichen Unglück ,bestand noch Unklarheit über die Zahl der Verletzten und Toten. Vier Kriminalbeamte fuhren von Krankenhaus zu Krankenhaus, um Namenslisten der Verletzten aufzustellen. Zahlreiche Verletzte waren in der Nach in Bonner und Beueler Krankenhäuser gebracht worden. Nur wenige der Toten waren bis gestern mittag indentifiziert.

Die Schwierigkeiten resultierten vor allem daraus, daß die meisten Verunglückten keinen Personalausweis bei sich trugen. Erschütternde Szenen spielten sich im Polizeirevier in Königswinter ab. Angehörige suchten Auskunft über die Verunglückten zu bekommen. Ein belgischer Soldat erschien mit einem Transportfahrzeug, um die Leiche eines verunglückten beIgischen Staatsangehörigen abzuholen. In einem anderen Raum sichtete man die Gegenstände aus dem Besitz der Toten und Verletzten. Bleich und übernächtigt sah man die Beamten bei der Arbeit.

Bis drei Uhr nachts operierten die Ärzte im St.-Josefs-Hospital in Königswinter. Morgens um sechst standen sie erneut am Operationstisch. Bis gestern nachmittag dauerten die Operationen an. Der Chefarzt des Hospitals erklärte, daß 15 Verletzte sehr schwer danieder liegen. Es konnten keine Besuche zugelassen werden. Regierungspräsident Dr. Rieger, der die Verletzten besuchen wollte, wurde gebeten, davon abzusehen. In ihrem ganzen tragischen Ausmaß sind die Folgen des Unglücks noch nicht abzusehen.




Viele Schwerverletzte wissen noch nicht, daß ihre Angehörigen nicht mehr unter den Lebenden sind. Schwerverletzt liegt in einem Krankenhaus eine Frau, deren drei Kinder ums Leben gekommen sind, während das vierte mit dem Tode ringt. Der Mann liegt ebenfalls, allerdings nicht so schwer verletzt in einem Hospital.

Noch in der Unglücksnacht ließ der Aufsichtsrat der Drachenfelsbahn alle Krankenhäuser auffordern, die besten Ärzte und alle verfügbaren medizinischen Hilfsmittel zur Behandlung einzusetzen.

Wie ein Menetekel ragt d. Schornstein der Lok ins Bild - Sachverständige suchen




Die Kostenfrage habe hierbei völlig außer Betracht zu stehen. Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Kolping erklärte der (R): "Wir werden in großzügigstem Maße den Betroffenen helfen. Diese Hilfe wird keine Frage des Geldes, sondern der Erfordernisse sein."

Regierungspräsident Dr. Rieger: "Was zu tun ist, wird getan." Wie konnte das entsetzliche Unglück geschehen? Diese Frage beschäftigte unterdessen zahlreiche Experten an der Unfallstelle. Gegen 11 Uhr traf der Katastrophenbeaufrage des nordrhein-westfälischen Verkehrsministeriums Ministerialdirigent Beine am Unfallort ein. Staatsanwalt Engwitz gab einen ersten kurzen Bericht.

Die Experten hatten zu diesem Zeitpunkt festgestellt: Einhundertfünfzig Meter oberhalb der Stelle, an der der Zug gegen einen Baum prallte, war die mittlere Führungsschiene der Zahnradbahn deformiert. Diese Beschädigung entstand wahrscheinlich dadurch, daß die Zahnräder aus der Greifschiene gerieten. Wie es aber hierzu kam, Ist noch ungeklärt.




Sie stehen zusammen und können die Tragweite des Unglücks noch nicht fassen

Fest steht: Die äußeren, normalen Räder des Zugers sind dann über die Eisenbohlen des Bahnkörpers gerollt. Sie haben deutlich Einbuchtungen hinterlassen. Es ist fast als ein Glücksumstand anzusprechen, daß der Zug in dem an der Böschung stehenden Baum ein unüberwindliches Hindernis fand. Unvermeidlich wären sonst alle Wagen in der darauffolgenden Kurve, die in einer Überführung mündet, abgestürzt. So aber konzentrierte sich das Unheil auf einen Wagen.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Bahngesellschaft erklärte der (R)




Der Lokführer habe in der ersten kurzen Vernehmung erklärt, er sei zunächst durch ein verdächtiges Geräusch aufmerksam geworden und habe dann die Bremse betätigt. Die Bremse habe jedoch keine Wirkung gezeigt. Darauf habe er den Heizer angewiesen. die zweite Bremse zu betätigen. In rasender Schnelligkeit sei dann das Unglück geschehen

Der Heizer sprang dann beim Durchfahren einer Unterführung ab, prallte gegen die Mauer und wurde getötet. Der Lokführer selbst steht noch unter der Schockwirkung des Unglücks und wurde deshalb noch nicht ausführlicher vernommen.

Sechs der tödlich verunglückten Fahrgäste haben nach Mitteilung von Staatsanwalt Engwitz seitlich des zertrümmerten ersten Wagens in der Böschung gelegen. Es ist bisher ungeklärt, ob sie aus dem Wagen geschleudert wurden oder den Versuch machten, abzuspringen.

Erster am Unfallort war der Gastwirt Schmitt vom Burghof. Er erklärte!, er sei durch ein merkwürdiges Rauschen aufgeschreckt worden, nach draußen gelaufen und habe sogleich den Eindruck gewonnen, daß er als einzelner hier nicht helfen könne. Er habe daraufhin sofort Polizei, Krankenhaus und Bahngesellschaft telefonisch von dem Unglück in Kenntnis gesetzt. Dann sei er zurückgelaufen und habe zuerst ein sechs- bis siebenjähriges Mädchen aus den Trümmern gezogen.

Die Hilfsaktion, die dann eingeleitet wurde, ist, wie sich jetzt übersehen läßt, in vorbildlicher Weise abgelaufen. Wenige Minuten nach dem Unglück traf zunächst die Feuerwehr von Königswinter ein. Dann trat das Rote Kreuz in Aktion. 20 Mann Bereitschaftspolizei, die beim Polizeirevier in Königswinter an den verkehrsreichen Wochentagen stationiert sind, eilten ebenfalls zur Unfallstelle. Die Bonner Polizei konnte, die der hauptsächliche Verkehrsstrom des Ausflüglerverkehrs abgeebbt war, einen großen Teil ihrer Kräfte ebenfalls wenig später zur Katastrophenstelle beordern.




Als die ersten Verletztentransporte am Krankenhaus in Königswinter eintrafen, standen die Ärzte am Eingang bereit, um die Verletzten schnellstmöglich zu betreuen und ihre Schmerzen zu lindern. Kurz nach dem Großalarm der durch eine Sirene ausgelöst wurde, waren auch ein evangelischer und ein katholischer Geistlicher zur Stelle

In den Gesichtern der vielen Helfer, die in der Nacht eingesetzt waren, spiegelte sich noch das furchtbare Erlebnis wider. Die Szenen, die sich am Unfallort abspielten, sind kaum wiederzugeben.

Ein belgischer Offizier, dessen Frau beide Beine verlor, fügte sich gefaßt in das grauenhafte Schicksal. Obwohl er in dem völlig zertrümmerten ersten Wagen gesessen hatte, blieb er unverletzt. Er wird als einer der Hauptzeugen bei der Klärung der Zusammenhänge des Unglücks angesehen.

Fotos: Munker 3, ap 2

Zwei der verunglückten Wagen, von denen der eine an einem Baum zerschellte




Die Unklarheiten, die längere Zeit über die wirkliche Zahl der von dem Unglück betroffenen bestanden, waren zu einem Teil auch darauf zurückzuführen, daß manche Verletzte durch Privatkraftwagen, die zur Unfallstelle gerufen wurden, abtransportiert wurden.

In einem Fall bestieg eine verletzte Kölner Ärztin den eigenen Kraftwagen und fuhr nach Hause. Von einem erheblich verletzten Mann wird berichtet, daß er ebenfalls ohne Inanspruchnahme fremder Hilfe zum nächsten Krankenhaus .lief.

In Presseveröffentlichungen war die Vermutung geäußert worden, daß die Bremsen der einzelnen Wagen des verunglückten Zuges nicht durch Schaffner besetzt waren.

Der Betriebsleiter der Drachenfelsbahn Nitsche äußerte demgegenüber: "Das stimmt nicht. Die Untersuchungen haben inzwischen bestätigt, daß die Bremsen der einzelnen Wagen angezogen waren.“

Hierzu wurde von anderer Seite erklärt, die Schaffner seien - ähnlich wie der Heizer - abgesprungen. Die letzte technische Überprüfung der Zahnradbahn fand, wie Betriebsleiter Nitsche erklärte, Ostern 1958 statt. Eine solche Überprüfung werde alljährlich vor Saisonbeginn vorgenommen.

Das Deprimierende des Geschehens spiegelt sich auch im Ortsbild von Königswinter deutlich. Der sonst so fröhliche und von vielen Reise- und Ausflüglergruppen aufgesuchte Ort wirkt still und ernst. An verschiedenen Stellen sieht man Omnibusse parken, deren Insassen darauf warten, Näheres über ihre verunglückten Mitreisenden zu erfahren.




Zeugen für Unglücksursache gesucht

Über Unfallursache oder eventuelle Schuldfrage beim Unglück der Drachenfelsbahn könne im Augenblick noch nichts gesagt werden, erklärte Staatsanwalt Walter Engwitz gestern nachmittag auf einer P r e s s e k o n f e r e n z im Bonner Landgericht. Er wurde am Sonntag kurz nach dem Unfall von der örtlichen Polizei in Königswinter zur Unglücksstelle gerufen. Das Bild, das sich ihm geboten habe, sei grauenvoll gewesen. Er habe noch in der Nacht einen Sachverständigen für Bahnfragen zugezogen, der auch gestern noch mit den Ermittlungen der Unfallursachen beschäftigt gewesen ist. Er habe zu klären, warum Lok und Wagen aus den Zahnrädern gesprungen seien.

Es sei bisher auch nicht festgestellt worden, ob die Bahn überbesetzt gewesen ist, da einTeil der Unverletzten nach dem schweren Unfall "panikartig" die Unfallstelle verlassen hätte. Die Zahl der Leicht und Schwerverletzten beläuft sich nach neuesten Mitteilungen auf 87. Wahrscheinlich stammt die größte Zahl der Toten und Verletzten aus dem ersten und zweiten Wagen. Die Identifizierung der Toten erweise sich deshalb als schwierig, da die meisten keine Personalpapiere bei sich getragen hätten.

Nach den Ausführungen des Staatsanwaltes unterliegt die Zahnradbahn regelmäßigen Kontrollen. Ob die Immer durchgeführt worden sind, werde noch zu prüfen sein. Aufsichtsbehörde für diese Bahn ist das Landesverkehrsministerium. Der Lokführer und zwei noch lebende Schaffner sind erst informatorisch vernommen worden. Danach soll der Lokführer ein Notsignal gegeben und die Schaffner die Bremsen ihrer Wagen betätigt haben. Die Lokomotive sei für drei Wagen zugelassen gewesen und der Lokführer schon zehn Jahre im Dienst.

Um etwa feststellen zu können. ob die Unfallbahn überbesetzt gewesen ist, bittet die Staatsanwaltschaft alle, die an der Fahrt teilgenommen haben, sich zu melden.




Die Liste der Toten

Von den 16 Todesopfern, die das Königswinterer Zahnradbahnunglück gefordert hat, konnten bis gestern abend 13 identifiziert werden. Es sind: Jeanne Degreef, 74 Jahre, Brüssel 36, Boulevard Lambermont; Adrienne Christiane Hoeven (Geburtsdatum steht nicht genau fest), Brüssel 36, Boulevard Lambermont; Louis Engelen (Geburtsdatum steht nicht fest, vermutlich belgischer Soldat), Lüdenscheid, Kaserne; Frau Roland (Belgierin), Lüdenscheid, Bachstr. 11; Wwe. Marianne Weilers geb. Lohmar, 73 Jahre, Köln-Brück, Im Bruchfeld 14; die Schwestern Gabriele (2 Jahre) und Hannelore Burgmer (10 Jahre) und Frau Katharina Burgmer, Köln-Riehl, Riehler Gürtel 80; Frau Anna Sühs geb. Severin, 55 Jahre Essen-West, Schülerpatt 114; Kaufmann Julius Heimes, 22 Jahre, Bracht bei Kempen, Niederrhein; Frau Magdalena Wiemer geb. Schäfer, 31 Jahre, Siegburg, Katharinenstraße 22; Christiane Feldmann, 4 Jahre Niedermendig, St.-Barbara-Str. 7; Klara Hentschel, Berlin (weitere Personalien sind nicht bekannt).




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