Der
Bagger hat sich bereits bis zur Mitte von Bottenbroich durchgefressen
Die großen Reserven an Braunkohle, die im Tagebau gewonnen werden können, liegen um Fortuna und Frimmersdorf, aber auch sie werden eines Tages erschöpft sein. Auch dann ist es noch möglich, mit Hilfe besonders großer und leistungsfähiger Bagger, wie sie jetzt schon überall auftauchen, an die tieferen Flöze zu gelangen. Hierbei wird dann allerdings eine starke Erdschicht teilweise bis zu 150 Meter Mächtigkeit abzuräumen sein, um die Flöze freizulegen. Die jüngsten unserer heutigen Leser werden den Tag erleben, da an der Ville die letzte Tonne Braunkohle im Tagebau ausgebaggert und zu Briketts gepreßt sein wird. Was dann? Keine Angst, es wird keine Pause geben, es wird kein luftleerer Raum entstehen, und die Brikettierwerke werden auch nicht einen Tag feiern müssen, im Gegenteil; denn bis dahin wird der Tiefbau alle seine Kinderkrankheiten überwunden haben und der Kreis Bergheim wird dann ein zweites Ruhrbecken sein, mit Fördertürmen und einer Anzahl von Beschäftigten, die etwa der heutigen Ruhrbelegschaft gleichkommen dürfte. Dieses Zukunftsbild ist keineswegs zu optimistisch und übertrieben, denn weit mehr als 1000 Bohrungen, die überall im Kreise Bergheim und in den Randgebieten durchgeführt wurden, haben ein deutliches Bild von der Lage im Erdinnern ergeben. Man weiß genau wie die Flöze liegen und verlaufen, man kennt ihre Mächtigkeit und kann errechnen, daß es Milliarden Tonnen wertvollster Braunkohle sind, die hier lagern. Bergheim mit seinem ganzen Kreis liegt gerade in der Mitte dieses reichsten Braunkohlenvorkommens.
Bei Morschenich im Kreise Düren
werden die Arbeitsmethoden für den Braunkohlentiefbau erprobt.
Die Flöze sind ja durchweg viel mächtiger als die
Steinkohlenflöze. Und dann ist die Braunkohle stark
wasserführend. Es müssen Wetterung und Versteifung studiert
und erprobt werden, die Sachverständigen stehen vor ganz neuen
Dingen, aber sie werden alle Schwierigkeiten meistern, und nicht erst
unsere Nachkommen, sondern auch wir schon werden den
Braunkohlen-Tiefbau als Selbstverständlichkeit ansehen, neben
dem herkömmlichen Tagebau.
Vom
Hügel grüßt die Kirche [Königshoven kurz vor
bevor die Bagger kamen]
Vorerst aber werden noch manche Gebiete ihr jetziges Gesicht verändern. So ist in diesem Augenblick der Bagger dabei, das Dorf Bottenbroich wegzuräumen. Vor wenigen Tagen ist die Kirche verschwunden, womit etwa die Hälfte des 587 Einwohner zählenden Dorfes bereits weggebaggert ist. Bei Grefrath entsteht das Dorf Neu-Bottenbroich. Die Gemarkung Bottenbroich hatte nicht soviel wertvolles Ackerland wie das am Nordrand des Kreises gelegene Dorf Königshoven, dessen Kirche auf einem Hügel liegt und weithin die Gegend beherrscht. Auch hier wurde und wird gebohrt, auch hier sind die Jahre einer alten Dorfsiedlung gezählt. Genau wie Bottenbroich ist Königshoven fränkischen Ursprungs. Königshoven soll zwischen Bedburg und Kaster neu entstehen. Ein mächtiger Bagger erhebt sich dicht neben der Straße von Harff nach Grevenbroich, ein Ungetüm aus Stahl und Kraft, dabei ein Wunderwerk deutscher Technik. Mit Hilfe eines solchen Roboters wird sich die vielumstrittene Frage des Abräumens von Kulturboden sich glatt durchführen lassen, es wäre ja schade um den schönen und äußerst fruchtbaren Mergel.
An verschiedenen Stellen, so bei Grefrath, hat man weite Strecken wieder mit solch gutem Abraum bedeckt. Sobald sich dieser Grund gesetzt hat, kann er, nach Einplanung durch besonders starke Pflüge, wieder nutzbar gemacht werden. Die unter der Ackerkrume lagernden Erdschichten bis zu den Braunkohlenflözen sind ja meist tertiäre Sandschichten, die so gut wie unfruchtbar bleiben, daher ist die besondere Behandlung und Wiederauflage der alten Erdoberschicht von größter Wichtigkeit und wird sehr begrüßt. Die letzten 50 Jahre haben das Antlitz der Landschaft im Kreise Bergheim entscheidend verändert,das Vordringen zu den viel reicheren, ja für mehrere Jahrhunderte genügenden Tief-Flözen wird die Erdoberfläche nicht mehr umwandeln, sondern ihre Ackerkrume unangetastet lassen. Die Riesenbagger werden dann nicht mehr eingesetzt werden können, die Förderung wird mehr und mehr die menschliche Kraft mit Kleinmaschinen beanspruchen, statt der 30.000 Mann Belegschaft in allen Gruben der Ville, werden es wohl 300.000 Menschen sein, die unmittelbar an der Kohle und für die Kohle tätig sein werden. Vielleicht wird dann auch der alte Plan eines "Braunkohlenkreises" verwirklicht, wer weiß. Für den Kreis, der auf der Braunkohle sitzt und lebt, hätte dies unerhörte Vorteile, weil Verwaltung und damit Steuern an Ort und Stelle wären, alles zentralisiert.
Heute hat Bergheim eigentlich sehr wenig von seiner Braunkohle, denn die Steuern werden in Köln bezahlt, am Sitz der Verwaltung. Der Fortschritt läßt sich nicht aufhalten. Ein kurzer Rückblick auf die verflossenen hundert Jahre im Kreis Bergheim läßt erkennen, welch ein Wandel hier geschah. Damals, um 1850 etwa wurden an mehreren Stellen die flachliegenden Flöze abgebaut, erst später ging man zum Gruben- oder Tunnelbau über, eine recht primitive Arbeitsweise. Die so gewonnene Braunkohle wurde meist nach Köln gefahren und an Ort und Stelle, vor dem Haus des Käufers, naß in eine Form gepreßt und im Keller zur Trocknung aufgeschichtet; dies waren die "Klütten". Erst der Einsatz von Baggern ermöglichte den raschen Aufschwung der Förderung und die Massenherstellung von billigen Briketts. In zehn oder zwanzig Jahren wird wohl die Tiefbau-Förderung alles übertroffen haben, was man heute noch als kühnen Zukunftstraum bezeichnen könnte. Dann wird auch der Kreis Bergheim nicht mehr der Mann auf dem eingefrorenen Vermögen sein, sondern wider einer der reichsten Kreise Deutschlands, wenn nicht gar der reichste.
P.C.E