Kölnische Rundschau vom 22. Juni 1948

„Zügig“ durch den Kreis Bergheim

Ab Köln 7.14 Uhr ...
... schon in Köln fing es an: eine junge Frau suchte „Kippen“ auf den Gleisen des Bahnsteigs 5b. Und jagdeifrige, aber zum persönlichen Suchen etwas schüchterne Männer, zeigten ihr vom Bahnsteig die einzelnen, mehr oder weniger hellen Punkte. Man Könnte darüber streiten, ob es sich hier um eine ehemalige „Boscoverkäuferin“ handelt, die den leidenden Rauchern kurz nach der Reform noch dienen will, oder ob sie nur beim „Familien-Einkauf“ war.

über Ehrenfeld ...
... Hier stellte man einen erheblichen Ausfall der sonst üblichen Hamsterreisenden fest. (Sperrgebiet - Währungsreform?) ...

über Lövenich ...
... durch die Wände dank „Kassandras“ Ruf: „Die Drecksäcke: die kriejen de Zijarett och noh de Reform, un vermaggeln se!“ - Im übrigen zogen sich auch noch plastische Wolken am Horizont zusammen und bald regnete es. - Das Getreide steht hier genau so gut wie in Bergheim. So gut, daß ich mein letztes Butterbrot um 7.32 Uhr verzehrte ...

über Königsdorf ...
... Immer noch im „Kölner-Land“. Das ist das einzige, was man hier Besonderes feststellen kann ...

nach Bergheim ...
... Im Bergheimer Zug fällt angenehm auf, daß die Jungens, die zur Schule fahren, doch noch höflich sind und den Erwachsenen Platz machen. - Und es fliegen einem längst vergessene Vokabeln wie „laudo“, „laudatus sum“ und „laudavi“ an den Kopf.

Im Martins-Werk ...
... Dort warte ich auf Herrn Direktor Meyer. Und in der Wartezeit teilt man mir eine Schreibmaschine zu, um folgendes zu notieren:

Vor einiger Zeit schon wurden den Flüchtlingen im Kreise Berechtigungsscheine zugeteilt. Darauf sollten sie Frauenjacken und Herrenjanker erhalten. Leider war die „Größe“ dieser Gegenstände nur für 15jährige bestimmt, so daß man auch hier wieder eine schöne Hoffnung zu Grabe tragen mußte. Glessen, Fliesteden und Büsdorf wurde 1 (ein) Kinderbett zugeteilt, zwei Stühle und ein Kleiderschrank (Bei 180 Flüchtlingen). Den 8 Gemeinden im Amtsbezirk sollen 28 Schrubber zugeteilt worden sein: Glessen selber sah noch keines dieser Instrumente. (Vielleicht macht man damit erst mal die Büroräume sauber?)

Von angeblich 9100 Rasierklingen hat man bis dato noch keine zu sehen bekommen: geschweige, sich damit rasiert. - Für den Ort Glessen wurde ein Ofen bei einer Zahlung von 15 Mark zugeteilt. Vor einiger Zeit rauschte die Meldung von der „Siedlungsaktion“ durch den Blätterwald. Seitdem ist es ziemlich still um die Sache geworden: denn die Ortsvorsteher sagen, daß ihnen kein Gemeindeland zur Verfügung stehe, aus dem sie den Grubenarbeitern und Flüchtlingen Zuteilungen machen könnten. Und zwangsweise könnten sie nichts unternehmen - daß sei Sache des Amtes Bergheim. Und Bergheim schweigt.

Vom Martins-Werk erfuhren wir, daß es eine Tochtergesellschaft der „Aluminium-Industrie AG Neuhausen“ ist. Man arbeitet jedoch hier vollkommen unabhängig und beschäftigt 600 Arbeiter gegen 1400 vor dem Kriege. Etwa 200 Flüchtlinge fanden hier ein gutes Brot: denn jeder Arbeiter erhält Deputate und von dem Schweizer Mutterwerk geschenkte Lebensmittel.

Über die Arbeit selbst erfuhren wir durch Direktor Meyer, daß man das Permit zur Fabrikation nur erteilt hat auf Grund der noch lagernden Vorräte an Bauxit. Bauxit ist der Rohstoff zur Herstellung von Aluminiumoxyd, dem Vorprodukt des Aluminiums.

Die Rückstände -, die „rote Erde“ oder der „Rotschlamm“ -, den wir in der Nähe des Werkes allgemein sehen, wird in Ichendorf weiter verwertet oder kommt in die Farbmittel-Industrie und zur Eisenverhüttung.

Der Arbeitsgang des Werkes teilt sich auf in zwei Gänge: den größten Anteil hat hierbei zurzeit die Chemie-Industrie. Die Tonerdehydrate dienen als Ausgangsstoffe zu weiterverarbeitenden Erzeugnissen für die Papier-Industrie, die pharmazeutische Industrie, bei der Herstellung von Buna und - last not least - im Haushalt als essigsaure Tonerde.

Das zweite Absatzgebiet - der Aluminiumsektor - bestimmte früher die Hauptrichtung des Verkaufs. Während in der Chemie-Industrie aus den Produkten dieses Werkes u.a. auch noch Schleifscheiben hergestellt wurden, erzeugt die Aluminium-Industrie aus Tonerde das Rohmetall, welches seinerseits an die Halbzeugwerke weitergeht.

Beim Abschied erfuhren wir noch zwischen Tür und Angel, daß die Produktion zur Zeit etwa 2.000 t im Monat beträgt. Das sind zwar nur 20 % der Friedenserzeugung: doch es wird gearbeitet! -

Als wir aus dem großen Tore schritten, sahen wir nicht nur die roten Halden und die emsig laufenden Hängebahnen: sondern auch den blauen Himmel.

- nst -

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