Kölnische
Rundschau vom 21. Oktober 1949
Umsteigebahnhof Horrem
Horrem. Leider zu oft sah man in den letzten Wochen auf dem Bahnsteig 2 des Bahnhofs Horrem Reisende mit langen Gesichtern: Der Anschlußzug nach Bergheim oder Mödrath oder Ameln hatte den Zug von Köln nicht abgewartet und man mußte sich wohl oder übel auf eine lange Wartezeit einrichten oder versuchen, im Anhalteverfahren zum erstrebten Ziel zu kommen. Allzuoft fielen harte Worte und mancher Streit konnte erst im Büro des Amtsvorstehers des Bahnhofs Horrem geschlichtet werden. Der Verdruß über den verpaßten Anschluß aber blieb und wurde mit hinausgenommen und als Mißstimmung über die Bahn in den Kreis hineingetragen. Die Objektiven aber fragten sich: Höhere Gewalt oder Verschulden?
Eine Redaktion hat teil am öffentlichen Leben, wenn alle Geschehnisse des täglichen Lebens sich widerspiegeln in den Posteingängen. So häuften sich in den letzten Wochen die manchmal sachlichen, manchmal aber auch im ersten verständlichen Zorn geschriebenen Zuschriften über die versäumten Zuganschlüsse auf dem Bahnhof Horrem. Manche forderten im Ton des allzu gerechten Kaufmanns Shylock im Kaufmann von Venedig öffentliche Anklage, andere klagten nur, daß durch solche Mißstände das an sich schon schwere Leben den armen Reisenden noch schwerer gemacht werde. Was tun?
Wir haben zuerst einmal die Person von der Sache getrennt und glaubten dann, der letzteren mehr zu dienen, wenn wir mit der zuständigen Stelle des Bahnhofs Horrem selbst Rücksprache nehmen und an die berechtigten Wünsche der Reisenden dort an der zuständigen Stelle direkt vertreten würden. Also machten wir uns auf den Weg und erhielten folgende sachliche Auskunft:
Die Abfahrzeiten der Züge sind im Fahrplan bis auf die Minute aufeinander abgestimmt. Das greift ineinander wie das Räderwerk einer guten Uhr. Eine Stockung kann leicht das ganze Getriebe in Unordnung bringen. Wo erst noch 10 Reisende wegen eines verpaßten Anschlusses schimpfen, könnten vielleicht im Falle des Abwartens eines Zuges auf anderen Bahnhöfen 100 und mehr Reisende schimpfen, weil ihnen nun wiederum andere Anschlüsse entgehen. So sind die einzuhaltenden Wartezeiten je nach Fahrplan genau festgelegt und dürfen im Interesse der Reisendenmehrheit nicht überschritten werden. Denn allzu leicht könnte das Übel, das den Reisenden eines Bahnhofs geschieht, sich auf eine Serie von Bahnhöfen mit ihren Reisenden übertragen. Das ist einleuchtend - aber:
Ja, auch das aber hat seine Berechtigung. In einzelnen Fällen sind die vorgesehenen Wartezeiten nicht eingehalten worden. Es geschah nicht aus Böswilligkeit oder wildgewordenem Bürokratismus, sondern einfach aus menschlicher Unvollkommenheit. Ein neuer Beamter auf fremdem Posten - eine junge Kraft, die im Übereifer des Guten zuviel tat - eine übergroße Häufung dienstlicher Obliegenheiten - das Ende: eine ernste dienstliche Verwarnung. Der Amtsvorstand des Bahnhofs Horrem hat sich der Sache so ernstlich angenommen, daß er glaubt zusagen zu können, daß sich solche Fälle nicht mehr wiederholen.
Auch unsere neugetaufte Bundesbahn wird von Menschen getragen. Wir wissen alle um die menschliche Unzulänglichkeit und das Wort: Wer ohne Fehl ist, werfe den ersten Stein ... gilt uns allen. Auf den guten Willen allein kommt es an und wir sind überzeugt, daß dieser im vorliegenden Fall reichlich vorhanden ist. Also schließen wir Frieden miteinander: die Reisenden mit dem Bahnhof Horrem. Und sollte uns einmal durch eine übergroße Verspätung unseres Zuges der Anschlußzug entwischen, wollen wir versuchen, uns zu freuen, daß andere Reisende auf anderen Bahnhöfen von unserem Mißgeschick nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. (Demjenigen aber, der sich wirklich noch freut, wenn sein Anschlußzug fort ist, dem wollen wir den ersten Preis für Objektivität und Selbstbeherrschung zusprechen.)
erka