Kölnische
Rundschau vom 17. Februar 1948
-
-
Die Not im
Eifeler Grenzland
-
-
Eindrücke von einer Fahrt in
den Eifeler Irsen-Sack
-
w-gs Monschau, im Februar.
Wir sind nach Rötgen, Raeren und Losheim gefahren. Erlebten
Seltsamkeiten der Grenzziehung in wirtschaftlicher,
verkehrspolitischer und besitzrechtlicher Hinsicht. In dem schon
nach 1918 zerschnittenen Losheimer Bezirk sind neuerdings wieder
unhaltbare Verhältnisse entstanden. Die Bauern sind von ihrem
Besitz in vielen Fällen abgeschnitten, wissen keinen Ausweg, um
die Gemarkungen zu bestellen. Denn das nahe Drüben liegt
zurzeit noch unerreichbar fern. Die Menschen der Nordeifel harren
auf eine Auflockerung der Grenzverhältnisse.
-
-
Ein Sprung gen Süden. Dahin, wo
sich westlich von der ehrwürdigen Abteistadt Prüm der sog.
Irsen-Sack um Leidenborn befindet, wo deutsches
Grenzland in die Ardennenstriche hineinbeult und ins nördliche
Luxemburg spitzt. Es ist ein vergessenes Stück Erde, zerfetzt
und zerschlagen vom Krieg, der sich im Herbst 1944 hier noch einmal
austobte. Da gingen die einst so schmucken und zwischen Waldhügeln
kuschelnden Dörflein in Schutt und Asche unter. Menschen, die
ihre Heimat unter keinen Umständen verlassen wollten, kamen um.
Die dem Inferno Entgangenen verkrochen sich in Keller, Bunker und
Höhlen, vegetierten dahin in einem Chaos des Grauens und der
Verwüstung. Das war in Hollmilch und Brandscheid so, in
Lützenkampen, Levenich und Kesfeld; Groß-Kampenberg und
Harspelt machten keine Ausnahme. Kurzum, in zahlreichen zwischen
Schnee-Eifel und Ardennen liegenden Dörfern des Irsen-Sacks
gingen Tod, Not und unsagbares Leid um. Der Krieg verging.
-
-
Zunächst mußten Tausende
von Minen entfernt, Geschützstellungen, Lauf- und
Schützengräben, Trichter und zerstörte Straßen
und Wege planiert werden. Aber trotz aller geleisteten Arbeit wirken
die Schäden bis heute. Wohnungselend herrscht in einem
unvorstellbaren Ausmaß. Ställe, Unterstände und
Bunker dienen als Behausungen. Eigentümer von Baracken gelten
als Glückspilze. Es fehlt an allem, an Haushaltungsgegenständen
primitivster Art, an Betten, Öfen, Herden, an Kleidung, an
Licht und Wasser, und wer Besitzer eines Spatens, einer Sense oder
einer Heugabel ist, muß die Mangelgeräte der Gemeinschaft
zur Verfügung stellen. Pferde sind selten. Betriebe von 100
Hektar Größe verfügen nur über einen Gaul.
-
-
Denkbar schlecht sind die
Verkehrsverhältnisse. Die trostlosen Zustände tragen viel
dazu bei, daß der Grenzlandbauer im Irsenbachbezirk sich
vergessen und abgeschrieben glaubt. Manchmal liegt die nächste
Bahnstation 40 bis 60 km vom Wohnort entfernt, und will der Landwirt
dringende Geschäfte in Prüm erledigen, muß er oft
zwei Tage unterwegs sein.
-
-
Aber zäh, verbissen und
arbeitsam ist der Grenzbauer im Irsen-Sack. Und wir
glauben dem siebzigjährigen ehemaligen Gutsherrn aus jener
Kante, als er uns beim Abschied erklärte: Wir wühlen
und arbeiten Tag für Tag und wollen einmal wieder so dastehen
wie früher. Das Leid war uns niemals unbekannt. Drum bezwingen
wir - auch wenn man uns scheinbar vergißt - auf die Dauer doch
die Not um Leidenborn!
-
© Copyright
2003 wisoveg.de
Zur
Homepage