Kölnische
Rundschau vom 16. Oktober 1948-
-
Kölns
Brückenfest
-
-
Heute Eröffnung des neuen
festen Straßenüberganges nach Deutz
-
Die stählerne Feder -
Wenn man den Fuß auf die
neue Brücke setzt, so hat man das Gefühl der
Unwahrscheinlichkeit. Keine Trümmer, keine Notlösung,
keine Hindernisse. Dagegen eine gefügte Ordnung, ein
raumgreifender Neubau, ganz neue Wirkungskräfte, die wir in
unserer Trümmerstadt gar nicht mehr gewohnt sind. Es ist
überaus wohltuend, dieses Neue zu erleben, noch dazu in dieser
Qualität der Form, der Entschiedenheit eines Werkes aus einem
Guß. Mit dieser Brücke ist ein Maß gesetzt und eine
Forderung. Die kühle, knappe Art des Bauwerks hat etwas überaus
Zeitgemäßes. Was man an den Zeichnungen der Entwürfe
feststellte, bestätigt nun die Wirklichkeit: Die neue Brücke
ist auch anmutig, auch heiter. Somit ist sie auch kölnisch. Daß
diese geistigen und psychologischen Dinge in die Form gefaßt
wurden, ist das Verdienst der Entwerfer, des Ingenieurs Dr. Fr.
Leonhardt und des Architekten Gerd. Lohmer.
-
Die neue Deutzer Brücke mutet
erstaunlich breit an, obwohl wir erst einen Teilausbau vor uns
haben. Die alte zerstörte Hängebrücke wirkte
wesentlich schmaler. Worin liegt der Grund? Die neue Brücke
besitzt keinerlei Aufbauten. Der Benutzer sieht keine
Konstruktionsteile wie früher auf der alten Brücke. Ja,
wer gedankenverloren dahinschreitet, mag das Gefühl haben, auf
einer anbaufreien Straße und nicht auf einer Brücke zu
sein. Die alten Konstruktionselemente nun, vor allem die hohen
vertikalen Pylone, die Hängegurte und die vertikalen Stäbe
waren ragende Elemente, die dem breiten Eindruck entgegengesetzt
waren und die alte Brücke infolgedessen schmal erscheinen
ließen. Wenn übrigens die Brücke in der Zukunft
einmal den vorgesehenen Ausbau erfährt, wird sie 27,60 m breit
sein und dann ungefähr in der Breite der alten Hängebrücke
nach deren Ausbau im Jahre 1940 entsprechen (27,10 m).
-
Über diese schöne
helle Brückenstraße zu schreiten ist ein ganz neues,
unerhörtes Bau- und Raumerlebnis in unserer Stadt. Es ist
seltsam, wie diese Brücke ein Gefühl der Neugierde
erweckt. Es mag damit zusammenhängen, daß man die ganze
Brücke in ihrer Länge von 487 m nicht voll überblickt,
sondern nur bis zur überhöhten Mitte sehen kann. Es zieht
einen an, was jenseits dieses Hügels sein mag. Man
schreitet munter aus. Ein durchsichtiges, geschmackvoll einfaches
Geländer begrenzt die Wege und ist eine Parallele zu der
zügigen Linie des Längsprofils.
-
Eine leise, aber doch
eindringliche Wirkung geht von der Kandelaberreihe aus, welche auf
plausible Weise zugleich die Oberleitungen der Straßenbahn
trägt. Es sind einfache, achtkantige Stangen mit hellen
gläsernen, achtkantigen Beleuchtungskörpern. Über den
beiden Brückenpfeilern steht je ein dreiarmiges Kandelaberpaar.
Diese Stangen, die einzigen vertikalen Elemente oberhalb der
Fahrbahn, erzeugen einen schönen Rhythmus. Sie geben den Takt
einer sanften Melodie. -
Uneingeschränkt und
unbehindert ist der Blick auf die berühmte Panoramaseite
unserer Stadt, nun so sehr zerschunden, aber in nicht weniger
bedeutend als früher. -
Es
ist erreicht: Das Band er unvergleichlich schönen Brücke
verbindet die beiden Ufer und setzt Kölns Wiederbelebung den
neuen Beginn.
Foto: Lambertin
-
Von der Gürzenichstraße
aus sehen wir auf die Brücke, ganz wie früher, und von der
Brücke aus in die Gürzenichstraße. Keine
Abriegelungen. Das ist ganz logisch und muß so bleiben. Der
Heumarkt ist zweigeteilt, aber das hat einen Sinn. Der alte
Heumarkt, langgestreckt und parallel zum Strom, entsprach dem
Marktviertel der mittelalterlichen Stadt. Damals gab es auch noch
kein rechtsrheinisches Köln. Schon die alte Hängebrücke
hatte die Bresche gelegt, und wenn man die Gürzenichstraße
hinunterschritt, war dieser Blick auf die Brücke immer sehr
eindrucksvoll und zeigte deutlich und unverstellt, daß es dort
drüben weiterging, weiter in das große Weichbild der
modernen Stadt. Dieses zugleich praktische und gleichnishafte
Verhältnis ist wiederhergestellt. -
Um den Anblick der Brücke
von außen zu genießen, muß man in Gedanken eines
hinzufügen, nämlich den Anstrich, der erst im Frühjahr
möglich ist, und ein anderes abziehen, nämlich die
Hilfskonstruktionen, die noch auf Rammblöcken im Strom stehen.
Aber schon heute ist die elegante, straffe Linie evident, diese
eindrucksvolle, einfache, stählerne Feder, die da von Ufer zu
Ufer schnellt. -
Die Ingenieure nennen die
Konstruktion dieser Brücke eine Kastenbalkenbrücke. In
diesem Ausmaß ist sie hier zum erstenmal von Leonhardt
angewandt worden. Es besteht daher zu Recht, wenn gesagt wurde, Köln
hätte die modernste Brücke Europas. Das Wichtige bei einer
solchen Hohlplatte ist, daß die Blechwände tragen. Der
Laie mag sich einen langen, schmalen Karton denken, der ja auch
einem tragfähigen Balken gleicht, um eine Vorstellung von der
Wirkungsweise der Konstruktion zu haben. Im Innern sind die drei
Schiffe, aus denen die Brücke besteht, entsprechend
versteift. In den Hohlräumen sind die Leitungen für
Entwässerung, für Gas, Wasser, Elektrizität und die
Telefonkabel untergebracht. Eine mögliche Erbreiterung der
Brücke würde die Anzahl der Schiffe von drei
auf fünf bringen.
-
Überraschend sind auch die
Überschneidungen der Brückenlinien aus dem schrägen
Winkel. Hier tritt die mittlere Überhöhung und das
Abfallen vom jenseitigen Ufer noch deutlicher durch die Verkürzung
in Erscheinung. Hier wird aus der Zügigkeit der gestreckten
Linien ein Springen. Die auskragenden Seitenbahnen haben in ihrer
Wölbung über den Schatten und Dunkelheiten der
zurückliegenden Trägerflächen etwas Schirmartiges. -
Durch den Brückenbau ist
auch eine neue Ordnung in den Heumarkt gebracht worden. Die Rampe
läuft, höher gelegt, an der Westseite aus. Man hat mit
bequem verlaufenden Treppenstufen zwanglose breite Übergänge
von der Rampe aus geschaffen. Der nördliche Teil des Heumarktes
ruht in einer Art von Mulde. Er ruht wirklich. Man kann sagen, daß
die Lösung dem Platz gut getan hat, weil jetzt wieder, nachdem
der Straßenbahnhof beseitigt ist, ein menschlicher Lebensraum
geschaffen wurde. Die volle Wirkung wird sich erst zeigen, wenn die
Platzwände wieder einmal zugebaut sein werden. Die nördliche
Hälfte wurde mit Platanen bepflanzt, mit einem ganzen
Platanenwäldchen. Das wird einmal sehr schön sein. -
Die Voraussetzungen sind auch
rechtsrheinisch geschaffen, daß der Vorort Deutz, vor Jahren
ungut zerklüftet, wieder zusammenwächst und sich beruhigt.
Jedenfalls sollte der Übergang von der Brücke zur tiefer
liegenden Freiheit nicht so gestaltet werden, daß der Verkehr
wiederum Anreiz bekommt, zerstörerisch die Wohn- und
Geschäftsviertel zu überfluten.
Wir wollen uns
freuen, daß wir dieses Brückenwerk unser eigen nennen.
Nicht nur, weil wir es brauchen, sondern auch, weil es schön
ist und ein Zeichen setzt in die Zukunft. Es ist nicht nur das erste
große Bauwerk nach dem Zusammenbruch, sondern auch das erste
große Bauwerk nach 1933. An dieser Tatsache merken wir erst,
wie Köln seit diesem verhängnisvollen Datum eigentlich
stillgestanden hat.
-
Dr. Hans Schmitt.
©
Copyright
2003 wisoveg.de
Zur
Homepage