Kölnische Rundschau vom 14. Februar 1948

Vom Tagebau zur Tiefenförderung

Mittelrheinisches Braunkohlengebiet vor schwerwiegenden Entscheidungen

Bergheim. Der rheinische Braunkohlenbergbau hat sich im Gegensatz zum Ruhrbergbau nach dem Zusammenbruch schnell erholt. Bereits im ersten Halbjahr 1946 betrug die Förderung 22 Millionen Tonnen; sie steigerte sich dann auf 26 Millionen t im zweiten Halbjahr, um schließlich in den ersten neuen Monaten 1947 auf 43 Millionen t anzuwachsen - also um rund 16 v. H. mehr als in der gleichen Zeit des Vorjahres. Der Förderstand von 1936 mit 49,5 Millionen t ist damit erheblich überschritten und das Ergebnis des Vorkriegsjahres 1938 (58,4 Millionen t) fast erreicht. Die Förderung im mittelrheinischen Braunkohlenbergbau ist in den letzten vier Jahrzehnten rapide gestiegen, das verraten die Förderzahlen 1910: 12,6, 1920: 30,3, 1930: 47,4 und 1940 rund 60 Millionen t. Diese Tatsache ist darauf zurückzuführen, daß die Hauptarbeit im Braunkohlentagebau maschinell geleistet werden kann, während der Steinkohlenbergbau auf die ihm jetzt mangelnde menschliche Arbeitskraft angewiesen ist. So wurde z.B. die Spitzenförderung von 1943 nur mit rund 15.000 Arbeitskräften erreicht.

Zwanzig größere Braunkohlengruben sind augenblicklich in Betrieb, die sämtlich im Tagebau arbeiten und teilweise eine Tiefe bis zu 100 Meter erreichen. Der Vorrat dieser Gruben dürfte aber in absehbarer Zeit erschöpft sein. Das Oberbergamt in Bonn hat nach statistischen Berechnungen Grund zu der Annahme, daß der Ertrag der Braunkohlenbetriebe in den nächsten dreißig Jahren schnell abnehmen wird. Augenblicklich liegen zwei Gruben wegen Erschöpfung still. In den nächsten zehn Jahren wird neun weiteren Gruben das gleiche Schicksal widerfahren. Bis 1979 dürfte die im Tagebau gewonnene Kohle restlos erschöpft sein.

So steht der rheinische Braunkohlenbergbau vor der Frage, ob er sich mit diesem Schicksal bescheiden will, das ihn in gut dreißig Jahren zu völligen Bedeutungslosigkeit verurteilt, oder aber, ob er neue Wege suchen will, um die tiefer liegenden Braunkohlenvorräte zu erschließen. Bohrungen haben ergeben, daß in einer Tiefe von 3 bis 400 Meter noch rund 15 Milliarden t Braunkohlen liegen, die bei einer Jahresförderung von 63 Millionen t für etwa 350 Jahre ausreichen sollten. 1939 schlossen sich interessierte Kreise zu einer Rheinischen Braunkohlen-Tiefbaugesellschaft mbH. zusammen. In den ersten Jahren ihrer Tätigkeit widmete sie sich hauptsächlich Forschungsarbeiten und schuf dann eine Tiefbauversuchsanlage, an der die Bedingungen für den Tiefbau im großen studiert werden konnten. Auf der in unserem Kreise gelegenen Anlage der Grube Etzweiler verzeichnete man umfangreiche Vorarbeiten auf diesem Gebiet. Im Herbst 1946 erteilte die Militärregierung der Gesellschaft die Erlaubnis, ihre Arbeiten fortzusetzen. Der erste Versuchsschacht, der nach dem Bohrschachtverfahren niedergebracht wurde, ist in einer Tiefe von 328 Meter auf das Braunkohlenflöz gestoßen, das eine Mächtigkeit von 54 Meter hatte.

Zum Untertageabbau müssen aus Rentabilitätsgründen ebenso wie beim Tagebau vornehmlich mechanische Hilfsmittel eingesetzt werden. Augenblicklich werden geeignete Abbauvorrichtungen konstruiert, u.a. eine Fördermaschine, die sich wie ein Bagger in das Flöz einfrißt und die Braunkohle losbricht. Einen weiteren Ausweg aus der in Kürze zu erwartenden Erschöpfung des Tagebaues erblicken Fachleute in einem Tagetiefbau, d.h. in einem weiter nach unten vorgetriebenen Tagebau. Es ist theoretisch durchaus möglich und wirtschaftlich bis zu einer gewissen Grenze vertretbar, einzelne Tagebaugruben weiter auszubauen und im Tagebau auf Kohlenflöze vorzustoßen, die zwischen 100 und 200 Meter Tiefe liegen. Diese Möglichkeiten sind jedoch einersetzt durch die unverhältnismäßig hohen Abraumkosten und anderseits durch die Seltenheit der in geringer Tiefe liegenden Kohlenflöze beschränkt. Der Tagetiefbau kann also nur eine Zwischenlösung darstellen, dem so lange eine gewisse Bedeutung zukäme, bis der Tiefbau im großen angelaufen ist.

Die Zukunft der rheinischen Braunkohle hängt also davon ab, ob es bereits im nächsten Jahrzehnt gelingt, die notwendigen Mittel für die Einrichtung des Tiefbaues aufzubringen. Daß es sich hierbei nicht nur um eine deutsche, sondern auch um eine europäische Frage handelt, geht daraus hervor, daß die Erhöhung des rheinischen Braunkohlenertrages auch auf der Europakonferenz in Erwägung gezogen wurde, die vor kurzem ein umfangreiches Gutachten zum Marshall-Plan über die vorhandenen europäischen Hilfsquellen abgab.

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