Kölnische
	Rundschau vom 11. Juni 1949 
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	Eifel-Fahrt
	aus Aufbaukummer 
	
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	488 Stufen tief im Staudamm
	Schwammenauel - Guter Kräuterlikör bei den Schweigsamen
	Mönchen
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Dü. Laut offiziellem
	Werbeprospekt des Landesverkehrsverbandes Rheinland e.V., der
	Prospekt stammt noch aus einer Zeit, in der man die Ordensburg
	Vogelsang als imposantes Bauwerk propagierte. Ist die aus dem
	13. Jahrhundert stammende Pfarrkirche des Luftkurortes Nideggen
	wegen ihrer Wandbilder bemerkenswert. Die Zeiten haben
	sich geändert, in Vogelsang sitzen die Besatzungstruppen und
	die betreffende Stelle im Prospekt ist schwarz überdruckt - und
	die Kirche sank in Trümmer, mit ihr die Burg sowie 80 % der
	Stadt Nideggen, die eine gute Einnahmequelle verlor. Aber etwas
	blieb, nämlich der Käfig, in den ein Jülicher Herzog
	(Nideggen war Jüliches Besitztum) seine widerspenstige Frau,
	vollkommen nackt, mit Honig beschmiert einzusperren pflegte - und
	dieser Käfig liegt in der einen Ecke der Trümmerkirche,
	über sich die Reste des wunderbaren Chorgemäldes, und in
	der anderen Ecke der Kirche ruhen die Gebeine der beiden
	herzoglichen Hoheiten. Ob sie den Schlaf der Gerechten schlafen? Wer
	kann es sagen, die Zeiten haben sich geändert. Auch dort, wo
	einstens Jülicher Herren sich mit ihren Mannen von ausgedehnten
	Kriegszügen ausruhten, oder über das Schicksal der in
	Nideggen gefangen gehaltenen verschiedenen Kölner Erzbischöfe,
	unter ihnen befand sich auch Konrad von Hochstaden, berieten, im
	alten Rittersaal also - damals nach dem Kölner Gürzenich-Saal
	der größte diesseits der Alpen, wie stolz der
	Dorfschulmeister im Jahre 1949 erklärte -, dort also werden
	heute Steine geklopft. Denn die Stadt Nideggen will ihre zerstörte
	Burg und Kirche wieder aufbauen, der Wohnungsbau wurde nicht
	vernachlässigt. Es gilt wieder Anschluß zu gewinnen an
	den Fremdenverkehr. Überseeische Hürtgenwald-Besucher
	erwartet man in hellen Scharen. Doch vorläufig fehlen noch die
	Einheimischen, außer den Sonntagsausflüglern
	von Düren und Aachen. Von ihnen aber können die Nidegger
	nicht leben, weil diese Besucher ihre Butterbrote von zu Hause
	mitbringen. 
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Schema
	für den Ausbau der Talsperre - 
Verdopplung des
	Fassungsvermögens
An der Sperrmauer der Rurtalsperre
	Schwammenauel standen jüngst Herren, die mit Schreibblock und
	Bleistift ausgerüstet, vor einer mit vielerlei technischen
	Eintragungen versehenen Tafel und notierten fleißig das, was
	ihnen der Vorsteher des Wasserverbandes Schwammenauel, Dr. Reinhold
	Heinen, unter Assistenz des Erbauers der Talsperre, Reg.-Baumeister
	a.D. Schatz, über Sinn und Aufgabe dieses Bauwerks sagte. Wir
	notierten sichtwortartig: Talsperre Schwammenauel, oberhalb des
	Ortes Heimbach im Rurtal gelegen (nicht die holländische
	Schreibweise Roer gebrauchen), erbaut 1934 bis 1948;
	Aufgabe: Wasserspeicher für die Industrie von Düren-Jülich
	(Papier); Hochwasserschutz; Trinkwasserversorgung des Düren-Jülicher
	Gebietes; Bestandteil eines großen Talsperrensystems der Eifel
	(Urfttalsperre, Ausgleichsweiher Heimbach, Stausee Obermaubach);
	Strom ist willkommenes Nebenprodukt: Fassungsvermögen der
	Talsperre 100 Mill. cbm, zur Zeit 66 Mill. cbm im Staubecken; Länge
	des Sees 20 km, Staudamm eine neue technische Konstruktion (es
	wurden Einzelheiten genannt über die Anordnung der Bodenmassen
	zur Stabilität des Dammes); Pläne für die Zukunft:
	Anschluß an das Aachener Talsperrensystem (Kall- und
	Dreilägertalsperre) durch Wasserabgabe, um die Aachener
	Wasserversorgung sicherzustellen, u.U. Auswirkungen bis nach Belgien
	und Holland; dieser Plan würde eine Verdoppelung des
	Fassungsvermögens bedeuten, was einen entsprechenden Ausbau des
	Staudammes Schwammenauel notwendig machen würde, da die
	Höchststaugrenze um 17 Meter erhöht werden muß.
	
Wir erfuhren, daß sich vor einigen Wochen
	Wirtschaftsminister Prof. Nölting an Ort und Stelle von den
	Ausbauplänen unterrichten ließ. Die Verwirklichung bleibt
	vorläufig noch eine Finanzfrage.
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Am
	Schlagbaum bei Losheimergraben
Schwammenauel ist nicht die
	größte Talsperre der Erde, meint ihr Erbauer, in USA gibt
	es eine mit 36 Milliarden cbm Fassungsvermögen. Die Talsperre
	habe sich in den zehn Jahren ihrer Existenz bewährt. Wir können
	es glauben. Die Herren mit Schreibblock und Bleistift verschwanden
	durch eine kleine Tür in den gewaltigen Leib des Staudammes, in
	dessen Betonkern auf der Talsohle sich ein Kontrollgang befindet.
	488 Stufen stiegen wir hinab, bevor wir unten waren. Der
	Kontrollgang zeigte keine Krümmungen oder Risse, man pries ihn
	als Salonstollen. Ob er gegen Atombomben standhält,
	konnte noch nicht geprüft werden. Jedenfalls taten dem riesigen
	Damm die Bombenangriffe des letzten Krieges nichts, obgleich der
	Damm mehrfach Treffer erhielt. 
Der künstliche See hat
	die Landschaft verändert, geschändet hat er sie nicht,
	wenngleich auch vier oder fünf einstmals größere
	Bauernhöfe von den Wassermassen überspült wurden. Das
	neue Landschaftsbild wirkt natürlich etwas erzwungen, so daß
	die Harmonie zwischen Wasser und Land, zwischen See und Wäldern
	nicht überall hergestellt wird. Die Erhöhung des
	Stauspiegels im Zuge der geplanten Ausbaumaßnahmen würde
	diese Harmonie beeinflussen. Aber trotzdem - die sommerlichen
	Zeltbewohner der Leibes(Halb-)Insel scheinen noch
	glücklich zu sein, denn sie wissen sich offenbar von der
	Außenwelt in ihren Wiesen und Wäldern
	ungestört, die nur durch eine schmale Landbrücke mit dem
	Festland verbunden sind. Jedenfalls - und das war unser
	Eindruck -, die Technik braucht nicht unbedingt unpoetisch zu sein,
	sie kann durchaus zur Poesie verhelfen und außerdem noch einen
	erheblichen ökonomischen Nutzen haben: Fremdenverkehr. Aber
	auch hier wieder das Problem: Wie kommen die Fremden dorthin, wo sie
	hin wollen und wo sie benötigt werden? Die Eisenbahnlinie Düren
	- Heimbach ist auch hier das A und O der ganzen Sache. 
Die
	Mönche der 1480 gegründeten Trappisten-Abtei Mariawald im
	Kermeter-Wald sind Vegetarier und haben sich in der Ordensregel zu
	absolutem Schweigen verpflichtet. Ihr Leben ist hart, härter
	als es sich die landläufigen Mitteleuropäer vorstellen
	mögen. Ein Grund dafür, daß in der Gegenwart die
	europäischen Niederlassungen des Ordens weniger Zugänge
	aufzuweisen haben als z.B. diejenigen in Japan. Das strengste
	gemeinschaftliche Zusammenleben der Mönche und Brüder
	fordert Charakter und formt den Menschen. Die Mönche sind
	schweigsam - im Sprechen werden die meisten Sünden begangen.
	Doch ihr Schweigen ist keine Weltfremdheit, sie wissen ihre
	äußerlichen Belange mit Nachdruck zu wahren. Dem Kloster
	ist ein landwirtschaftlicher Betrieb angegliedert, die schweigsamen
	Ordensmänner mit den Kapuzen bearbeiten ihre Felder selbst. Sie
	leben nicht nur autark, sondern verkaufen auch Käse, Bier und
	vor alemm - einen wunderbaren Kräuterlikör. (Der Pater
	Oeconomicus wollte uns das Rezept nicht verraten.) Das Geld aus
	diesen Verkäufen? Das Kloster war stark zerstört, die
	Gestapo hatte schwer gehaust, die Bibliothek abgeschleppt und auch
	sonst ihre Spuren tief eigegraben in die Klostergebäude.
	
Außerdem: Pater Michael lobt seine Ware,
	der Bruder am Schanktisch hat alle Hände voll zu tun, die
	Journalisten sind gewonnen, der Fahrer könnte die
	leeren Flaschen schon in Gemünd verkaufen. - - - 
Die
	Stadt Schleiden hat Glück gehabt, wenigstens was den Aufbau
	ihres Gymnasiums betrifft. Die Stadtväter rüsteten sich
	just, als wir dort waren, zum Empfang der Frau Kultusminister, die
	in den nächsten Tagen bei der Grundsteinlegung für das
	neue Gymnasium der Stadt zugegen sein wollte. Indes uns ein
	freundlicher Schleidener Hotelier eine überzeugende
	Visitenkarte der Schleidener Gastronomie in Wort und Tat servierte,
	blätterten wir in einer Denkschrift der Kreisverwaltung, deren
	Titel davon unterrichtet, daß der schöne Grenzkreis
	Schleidens Nordrhein-Westfalens größter Landkreis
	sich in dieser Broschüre in zahlen präsentieren möchte.
	Das fanden wir sehr schön, denn aus den dort niedergelegten
	Zahlen konnten wir uns ein viel eindrucksvolleres Bild der aktuellen
	Situation des Kreises Schleiden machen, ist es der gewiß kluge
	Oberkreisdirektor in langer Rede versucht haben könnte. 
An
	Belgien wurde am 23. April ein Teil der Gemeinde Losheim abgetreten.
	Von diesen sogenannten Grenzregulierungen wurden in den
	Orten Losheim und Losheimergraben 477 Einwohner auf einer
	Gesamtfläche von rund 650 ha betroffen. - Wir durften durch
	dieses nun belgisch gewordene Gebiet fahren. Es hat sich nach außen
	hin nicht viel geändert, nach innen, d.h. menschlich, tut sich
	einiges - - - wie man so sagt.
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Im
	Betonkern des Staudammes Schwammenauel
Foto: Lambertin 
Ein
	junger Mann trat an unseren Wagen - der belgische Grenzposten bei
	der Einfahrt in das Gebiet war zuvorkommend, als er merkte, daß
	er es mit Zeitungsleuten, die ihn fotografierten, zu tun hatte, er
	fertigte uns schnell ab, es war in Losheimergraben. Aber jener junge
	Mann in der khakifarbenen uniformähnlichen Bekleidung - er trug
	eine Armbinde in den belgischen Nationalfarben und ließ einen
	Gummiknüppel an seiner linken Seite baumeln. Als er die Hände
	in die Hüften stemmte und zu sprechen begann, wußte man,
	er stammte aus der Aachener Gegend. Weshalb er mit uns sprach? Nun
	er hatte Zeitung gelesen und was er dort gelesen hatte, gefiel ihm
	nicht, denn offenbar war die Zeitung nicht so überzeugt von dem
	angeblichen spontanen Volkswillen in den abgetretenen Gebieten
	gewesen, wie jener belgische Polizist aus Stolberg, der diesen
	Willen uns schildern zu müssen glaubte. Darin aber sah er eine
	Gefahr für ein Vereintes Europa, worauf er uns mit
	polizistenhaft erhobenem, warnendem Zeigefinger aufmerksam machte. -
	Gewiß, wir hätten mit dem jungen Mann diskutieren können,
	welche Gefahr größer sei, der egoistische Opportunismus
	des Einzelnen oder der Hinweis einer deutschen Zeitung auf den
	gerade im Interesse eines neuen Europas unsinnigen Zwang zum
	Staatenwechsel. Wir diskutierten nicht mit ihm, sondern, da man
	gerne wissen will, mit wem man es zu tun hat, fragten wir ihn nach
	seinem Herkommen. Und siehe da: der belgische Polizist
	stammte tatsächlich aus Stolberg (Rhld.), war deutscher
	Zollbeamter gewesen, stand nun in belgischen Diensten, war noch sehr
	jung an Jahren und gab zu, noch die deutsche Staatsangehörigkeit
	zu besitzen. Ihn trieb offenbar der Drang des freien
	Europäers - trieb er ihn wirklich, war er wirklich noch
	deutscher Staatsangehöriger und als solcher besserer und
	einsichtiger Europäer als jene Minderheit der egoistischen
	Opportunisten? Wir zweifeln daran - mit Grund, denn wir von den
	Kehr, einer Ortschaft von wenigen Häusern, übrigens der
	südlichste Zipfel der britischen Zone und nach der Abtrennung
	des Gebietes um Losheim sozusagen britische Enklave in der
	französischen Zone, wieder durch das belgische Gebiet hindurch
	mußten, um den Kreis Schleiden zu erreichen, murrte der
	belgische Grenzer auf Flämisch erheblich mit dem
	Oberkreisdirektor. Wir hätten uns zu lange im belgischen Gebiet
	aufgehalten. Da hatten wir die Bestätigung: Der belgische
	Polizist aus Stolberg hatte Dienst für Europa getan.
	
Die Begriffe begannen sich zu verwirren. Einer, der zufällig
	seinen Registrierungsschein als neugebackener Weltbürger in der
	Tasche hatte, stellte sich genau unter den Schlagbaum der frisch
	gestrichen war, und meinte, nun sei er endlich in seinem Vaterland.
	Ein Anderer, der sich mit dem rechten Bein nach Belgien stellte und
	mit dem linken nach Deutschland, glaubte auf diese Art die
	politische Situation für die Geburt eines realen vereinten
	Europas am besten zu symbolisieren. 
Immerhin - der
	Aufbaukummer gerade des Grenzkreises Schleiden bleibt überschattet
	von menschlichen Problemen, die vielleicht noch stärkere
	Hemmnisse darstellen als die Langsamkeit des materiellen Aufbaues
	der Gemeinden auf den kargen Eifelhöhen, über die der
	Krieg in monatelangen Kämpfen seine Zerstörung
	ausschüttete. 
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