Kölnische Rundschau Beilage Nr. 10, Oktober 1948





Burg Kerpen im Mittelalter

Von Professor Dr. Heinrich Neu (Beuel)

Vor Kerpen liegt ein künstlich aufgeschütteter Hügel, der einst die Gebäude der Burg Kerpen trug. Von ihren Mauern und Häusern ist über dem Boden nichts mehr erhalten. Der Maler Renier Roidlein hat um 1730 in einer Zeichnung festgehalten, was man damals noch sehen konnte. Sein Bild zeigt uns, daß der Hügel von einem Wassergraben umgeben war, über den eine hölzerne Zugbrücke zu dem Hügel führte; von den Gebäuden der Burg befand sich damals noch eines unter Dach.

[Zeichnung]

Die Kerpener Burg zeichnete sich unter den rheinischen Burgen durch die Merkwürdigkeit aus, daß sie auf einer künstlichen Anschüttung stand. Dieser Umstand weist zusammen mit dem unsymmetrischen Grundriß auf ein hohes Alter der Anlage hin, die vermutlich noch in das erste Jahrtausend zurückreicht. Sie erinnert an die aus fränkischer Zeit überkommenen Befestigungen, die als aufgeschüttete Hügel gestaltet, die Bezeichnung „Motten“ führen. Ihre Entstehung verdankt die Burg Kerpen dem König bzw. dem Kaiser - noch im hohen Mittelalter erscheint sie als königlicher Besitz.

Was konnte den König veranlassen, an dieser Stelle eine Burg zu errichten? Eine eindeutige Antwort gibt die Lage Kerpens an der alten in römische Zeit zurückreichenden Straße, die Köln mit Maastricht verband. An dieser römischen Straße, die über Frechen, Benzelrath, Grefrath, Mödrath, Blatzheim, Golzheim, Merzenich, Mariaweiler zog, fanden sich in der Flur des heutigen Kerpen zahlreiche Altertümer, die auf römische Siedlungen an dieser Stelle schließen lassen. Vielleicht geht der Name Kerpen noch auf eine römische Ortsbezeichnung zurück. Diese Straße behielt eine gewisse Bedeutung über die römische Zeit hinaus. Diese Bedeutung mußte steigen, als unter den Karolingern die Lande an der Maas, wo ein großer Teil des karolingischen Hausgutes lag, und das Rheingebiet wieder in engere Beziehungen gebracht wurden. Die Vermutung ist wohl berechtigt, daß damals der Erdhügel aufgeschüttet wurde, der die Burg Kerpen tragen sollte, eine befestigte Anlage, die die Rhein und Maas verbindende Straße beherrschen und schützen sollte. Solange die Beziehungen zwischen Maasland und Rhein blieben, behielt die Straße ihre Bedeutung - vermutlich ist sie identisch mit der in einer Urkunde Otto II. Im Jahre 973 erwähnten Straße, „die bei Miluchwilre (=Mariaweiler) über die Roer nach Aachen führt“.

Es handelt sich also um eine königliche Gründung, die noch im hohen Mittelalter als Reichsburg erscheint. Dieser Umstand hat sie mit der Reichsgeschichte in Beziehung gebracht. Als Kaiser Heinrich V. den Versuch machte, die Investiturfrage gewaltsam zugunsten des Königtums zu lösen, erhob sich ein großer Teil Deutschlands gegen ihn. Unter seinen Gegnern finden wir den Mainzer Erzbischof Adalbert I. und Erzbischof Friedrich I. von Köln. In die allgemeinpolitischen Gesichtspunkte dieses Streites spielen offensichtlich auch Interessen der Territorialherren hinein. Es ist ja die Zeit der werdenden Territorien. Es war Erzbischof Friedrich, der zur Sicherung des Kölner Territoriums die Burg Rolandseck an der linksrheinischen Südflanke seines Erzstiftes und die Wolkenburg im Siebengebirge gegenüber dem Herrschaftsbereich der Grafen von Sayn aufführte. Dieser Mann mußte die vor den Toren Kölns gelegene Burg Kerpen als einen Pfeil betrachten, der auf das Herz seines Territoriums gerichtet war, vor allem als Heinrich V. nach dem Tode des Pfalzgrafen Siegfried die Verwaltung des Reichsgutes zwischen Rhein und Maas in die Hand des ihm treu ergebenen schwäbischen Grafen Gottfried Calw legte. Kurz vor Beilegung des Streites zog er vor Kerpen und nahm die Burg ein, um sie zu zerstören.

Es lag nahe, daß das Kölner Erzstift den Versuch machte, den ihm so nahe gelegenen Reichsbesitz an sich zu bringen. Diesem Ziel schien es näherzukommen in den schweren Kämpfen zwischen Welfen und Staufen, die gerade am Rhein von Otto von Braunschweig und Philipp von Schwaben ausgetragen worden sind. Der Staufer Philipp suchte die Gunst des Kölner Erzbischofs Adolf von Berg. Er will sie erwerben, wenn er 1204 dem Kölner Erzstift die Kirche in Kerpen übergab. Philipp behielt jedoch ausdrücklich dem Reiche den Königshof mit der Grundherrschaft vor.

Die Verwaltung oblag gewiß einem Reichsministerialen; seinem Geschlecht muß jene Beatrix von Kerpen angehören, die 1276 ihrem Bruder, dem Ritter Wenemar von Gymnich, die Burg überließ. Im Hintergrunde dieses Vorgangs steht Erzbischof Siegfried von Köln. Die Übergabe der Burg fand in seiner Gegenwart statt; Ritter Wenemar verpfändet dem Erzstift für den hohen Betrag von 1600 Mark die Burg mit der zugehörigen Siedlung, dem „Suburbium“, die innerhalb der Gräben lag, der Vorbrück und anderem Zubehör. Die Pfandschaft wurde aber bald wieder gelöst. Diese muß im Zuge des Kampfes um die Vorherrschaft am Niederrhein geschehen sein, der nach 1280 zum Ausbruch kommt. Er wird ausgetragen zwischen Herzog Johann I. von Brabant und dem Kölner Erzbischof Siegfried von Welterburg, einer imponierenden kraftvollen Gestalt, die mit starker hand die Rechte des Erzstiftes zu wahren wußte. Auf beiden Seiten suchte und fand man Helfer, nachdem die Frage um das Erbe des Herzogtums Limburg den Streit ausgelöst hatte.

Herzog Johann I. von Brabant brachte die Burg Kerpen in seinen Besitz. König Rudolf belehnte ihn am 11. Februar 1284 mit dieser Reichsfeste, die sich nun in der Hand des Gegners wieder als eine Bedrohung für das Kölner Erzstift geltend machen mußte. Überdies sperrte sie aber auch den Weg nach Maastricht, dessen der Herzog von Brabant sich bemächtigt hatte, und vor dem sich die Verbündeten des Grafen von Geldern sammelten, der gegen Brabant die Ansprüche auf Limburg erhob und den der Kölner Erzbischof unterstützte. So war es eine Notwendigkeit, daß der Weg von Köln nach Maastricht freigekämpft wurde.

Frühjahr 1284 ließ Siegfried von Westburg deshalb die Burg belagern. Sie muß mit einer starken Brabanter Besatzung belegt gewesen sein, denn die Krieger des Erzstiftes benötigten zwei Monate, bis sie die Besatzung zur Übergabe der Burg zwangen, die unter Verwendung von Wurfmaschinen durch die Belagerer in Brand geschossen worden war. Die Sieger zerstörten die Befestigung und beseitigten damit für den weiteren Kampf diese Bedrohung des Erzstiftes.

Das Schicksal Kerpens wurde dann für mehr als siebenhundert Jahre in der blutigen Schlacht von Worringen am 5. Juni 1288 entschieden. Am Abend war der Erzbischof von Köln vom Herzog von Brabant und seinen Verbündeten besiegt. Kerpen fiel wieder an Brabant zurück. In der Sühne, die Erzbischof und Herzog 1289 schlossen, wird bestimmt, daß der Herzog Kerpen und Lommersum in Ruhe besitzen und auf seinem Grund die Burg Kerpen wieder aufrichten dürfe. Brabant blieb nun im ungestörten Besitze der Landeshoheit über Kerpen, die mit dem Herzogtum Brabant an die Herzöge von Burgund und von diesen an die Habsburger überging.

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