Kölnische Rundschau - Beilage Nr. 9, September 1949


Die Bergheimer Landschaft vor eineinhalb Jahrhunderten

Von Dozent Dr. J. Zepp (Köln)

Von früh bis spät eingespannt in Berufsleben und Existenzkampf haben wir uns daran gewöhnt, unsere heimische Landschaft einfach so hinzunehmen, wie sie jetzt ist. Das Bestehende erscheint selbstverständlich. Pläne und Wachsendes werden mit echt lokalem Interesse besprochen oder vielleicht stolz erzählt. Selten aber wird uns bewußt, in welch starkem Maße sich gerade hier im Laufe der letzten Generationen das Bild von Landschaft und Siedlung veränderte.

In kurzen Abständen ziehen heute die Rauchfahnen der Dampfloks durch das Erfttal, finden mannigfachen Anschluß nach Ost und West. Triebwagen sausen dazwischen, und in den tiefen Gruben der Ville selbst fahren Züge scheinbar lautlos hin und her. Riesige Schornsteine, ragende Werke, bereitgelagerte Unternehmen bestimmen das Landschaftsbild, zu gewohnt schon dem Blick, um noch besonders aufzufallen. Kraß erscheint der Gegensatz zwischen dem ländlichen Gebiet westlich der Erft und der Ville selbst. Und dennoch gehen die Fäden hin und her. Zahllose Familien sind auf Gedeih und Verderben mit Braunkohlenabbau und Folgeindustrien verbunden, fahren täglich zur Schicht oder wohnen auch in einer der jüngeren Siedlungen nahe den Werken.

Vielleicht verlohnt es für einen Augenblick das Rad der Zeitgeschichte zurückzudrehen, Rückschau zu halten in jene Tage, da weder Bergbau noch Industrie Einzug gehalten hatten, Da ist es besonders dem Ortskundigen interessant, einen Blick auf alte Karten zu werden und aus ihnen zu lesen. Abgesehen von wenigen örtlichen Vermessungen ist unser Gebiet ja zuerst um 1800 zur Zeit der französischen Besetzung der linksrheinischen Gebiete, aufgenommen worden. Vor knapp 20 Jahren bearbeitete Erich Kuphal eine verkleinerte Reproduktion vieler Blätter, welche die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde veröffentlichte. Beim Studium dieser Blätter bekommt man ein treffliches Bild der Heimat zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Es war die Zeit, da hier noch keine Industrie bestand und die Dörfchen um den Kantons-Mittelpunkt Bergheim noch fast reine Ackerwirtschaft trieben.

Damals schon zogen die Große und die Kleine Erft tausendfach sich windend in die Tiefenlinie des Geländes westlich der Ville. Feuchte Wiesen, weniger Weiden, bedeckten die Niederung. Ihr zur Seite lagen als kleine, ziemlich geschlossene Siedlungen die Dörfchen, angefangen von Kenten über Bergheimerdorf rechts und Ahe, Thorr, Zieverich, Paffendorf bis Glesch links des Bruchlandes. Bergheim selbst nahm insofern eine Sonderstellung ein, als es auch im Osten von der Kl. Erft umgeben war und nach Westen in das Wiesenland zwischen den beiden Erftarmen hinübergriff. Es war gleichsam allseits von schützenden Flußarmen umgeben und schirmte so den Übergang über die in den ungünstigen Jahreszeiten schwer passierbare Niederung. Zwischen dieser und dem bedeutend größeren Elsdorfer Busch - er setzt sich nach Norden als Escher Busch fort - dehnten sich wie heute weite Ackerfluren auf dem fruchtbaren Lößboden. Auch die höher gelegenen trockenen Flächen auf der rechten Talseite bis zum hang waren schon unterm Pflug. Die Höhe selbst trug nicht mehr durchgehenden Wald. Es ist ja bekannt, daß die Bodenverhältnisse auf der Vorgebirgshochfläche durchaus nicht einheitlich sind. Wechselten im südlicheren Teil schwere Lehmböden ab mit wenig ergiebigen sandigen Kiesdecken, so gewinnt weiter nach Norden der Löß an Raum und Mächtigkeit. Zweifellos haben dies Verhältnisse damals schon die Nutzung bestimmt. Auffallend ist jedoch, daß sich damals eine fast zwei Kilometer breite waldfreie Zone zwischen Quadrath - Ober-Außem und dem zu Zeiten als Jagdschloß bezeichneten Bethlehem aus dem Erfttal quer übers Vorgebirge hinwegzog. Nur kleine Waldparzellen bestanden noch, wie etwa der Ziegenbusch auf halben Wege zwischen Quadrath und Ober-Außem. Zum Erfttal hin hielt der Steinbusch rechts der Straße den kiesigen Hang besetzt, einige Heideparzellen zogen sich von dort aus zur Gemarkungsgrenze hin. Von Bethlehem jedoch bis auf die Höhe von Glesch und darüber hinaus war der geschlossene Wald in breiten Streifen erhalten. Nicht allein Bodenqualitätsunterschiede können den Grund für diese Verteilung abgegeben haben. Zweifellos spielten dabei auch Besitzverhältnisse eine Rolle. So hielt z. B. die genannte Heide die Gemarkungsgrenze gegen Ober-Außem, der Bethlehemer Busch die gegen Nieder-Außem besetzt. Anders lagen die Verhältnisse, wo einzelne Höfe, wie z. B. der Ginner Hof nördlich von Bergheimerdorf, ihr Ackerland halbinselartig in den Wald vorgetrieben hatten. Bezeichnend war auch die Lage in Oberaußem, dessen Flur vollkommen entwaldet erscheint bis auf den gleichnamigen Busch, welcher sich anscheinend auf minderem Boden aus unmittelbarer Dorfnähe breiter werdend gegen SO in die geschlossene Ville-Waldung erstreckte.

Wichtige Landschaftsbausteine sind seit jeher die Straßen. Nur ein einziger Verkehrsweg verdiente damals diesen Namen, die alte Köln - Aachener Straße, die in ziemlich unveränderter Linienführung auch heute noch besteht. Sie stellte die „Chaussee“ schlechthin dar, war ausgebaut und auf starken Fernverkehr eingestellt. Im übrigen handelte es sich durchweg um unbefestigte Wege, die wir nach unseren heutigen Vorstellungen am ehesten als Feldwege bezeichnen könnten. Dazu muß man bedenken, daß noch kein großräumiger und umfänglicher Austausch von landwirtschaftlichen Produkten bestand und Industriegüter wieder heranzuschaffen noch auszuführen waren. Ein regerer Verkehr lokalen Charakters konzentrierte sich allerdings in Bergheim als dem Verwaltungsmittelpunkt der Landschaft. So erscheint die spätere Landstraße Bergheim - Niederaußem immerhin mit dem Namen „Bergheimer Weg“.


Wo der Finkelbach in die Erft mündet - Bild: Dr. Habrich

Uns Heutigen fällt es schwer, sich diese insgesamt ruhige, landwirtschaftlich ausgerichtete Landschaft vorzustellen. Die meisten Dörfer nur einzeilig bebaut, inmitten ihrer Hausgärten und geringflächiger Baumwiesen; in der Erftniederung ansehnliche Auenwaldstücke, weit größere Teile versumpft, praktisch ungenutztes Bruchland; die Vorgebirgshöhe durchgängig dem von Westen Schauenden mit Wald gesäumt. Kein wesensfremder Lärm, keine Eisenbahn, keine Rauchfahnen, kein Kohlenstaub und kein Strom. Und dennoch wies die Landschaft mit 80 - 100 Menschen auf den Quadratkilometer schon eine beachtliche Bevölkerungsdichte auf. Sie stand - die Villehochfläche ausgenommen - auf gleicher Stufe wie die anderen fruchtbaren Niederungsgebiete des Rheinlandes. Doch mag diese Zahl gering erscheinen gegenüber den 200 - 250 Menschen je Quadratkilometer, die heute hier wohnen und schaffen.

Diese Entwicklung aber ist unmittelbare und mittelbare Folge der Braunkohlengewinnung. Die Kohle war es, die zusammen mit den Folgeindustrien erst das Gesicht der Heimatlandschaft formte. Die Jagd auf sie ließ die riesigen Löcher auf der Hochfläche entstehen, zog Arbeitskräfte von weither an und bot nicht in der Landwirtschaft Unterkommenden Verdienstmöglichkeit; sie zog letztlich den Verkehr heran. Die Dörfer dehnten sich, neue Siedlungen, Straßen und Schienenstränge entstanden. Sie bestimmte wesentlich Gesicht, Wirtschaft, Verkehr und soziale Struktur dieser eigenartigen Kulturlandschaft unserer Tage, deren beide Hauptelemente Bodenkultur und Braunkohlenwirtschaft hier eine enge Gemeinschaft eingingen.

© Copyright 2003 wisoveg.de
Zur Homepage