Kölnische Rundschau vom 7. Dezember 1948

Die Ausdehnung der Industrie im Kreise

Von Rektor a.D. Müllenmeister (Quadrath)

Die Ausbreitung des Braunkohlenbergbaues im Kreise Bergheim macht in den letzten Jahren so gewaltige Fortschritte, daß Ortschaften, die auf eine Jahrhunderte alte Geschichte zurückschauen können, in ihrem Bestande gefährdet sind, oder gar ganz verschwinden müssen. So ist seit einiger Zeit Ichendorf schon mächtig angegriffen und der obere östliche Teil des Dorfes von den gewaltigen Kralle der Bagger weggefegt und eine Stelle der alten Straße Maastricht - Köln ausgelöscht, die über die Grenze des Kreises Bergheim hin weit bekannt ist. Ist doch das alte Wirts- und Gasthaus „Schmitze Mattes“ verschwunden, wo die Pendler hunderte Jahre zur Stärkung einkehrten, wenn sie nach Köln ihre Waren brachten.

Die Heubauern der weiten Erftniederung machten auf halber Höhe des ersten Aufstieges zur Ville bei der Schmitzen Mutter „Halt“, nachdem sie sich am unteren Berganfang Vorspannpferde bei Schmitze Mutter, Monschauers Jupp (Niesters) oder dem alten Wirt Esse gemietet hatten, um die beiden langen Steigungen der beiden Berge zu bewältigen, wenn sie das duftende Heu des Erftgrundes nach Köln fuhren, um die zahlreichen Pferde der Kasernen, der Pferdestraßenbahn, der Bierbrauer und der großen Handelshäuser mit dem nötigen Futter zu versorgen. Besonders in der Dienstags- und Freitagsnacht war dann die Straße von Heufuhren belebt. Mancher Fuhrmann saß dann, in dem Roßtuch sein Pfeifchen rauchend oder auch eingeschlafen (denn die Pferde gingen den bekannten Weg auch allein), um dann die Tiere nach dem Aufstieg des zweiten Berges allein zurück in den Stall gehen zu lassen, wenn die Vorspannketten den Gäulen um das Kummet gehängt waren.

Viele dieser Fuhrleute leben noch und wissen von den trauten Stunden aus dem Gasthaus zur „Schmitzen Mutter“ manches zu erzählen; denn so lange ist die Zeit nicht verstrichen. Fuhren doch diese Leute noch um das Jahr 1918-20 in derselben Weise ihre Güter nach Köln. Auch andere Passanten kehrten im Gasthaus ein. Von weither kam früher ein einzelner Bauer und fuhr sein lebendes Kalb mit zusammengebundenen Füßen mit einer Schiebkarre zum Schlachthof. Andere brachten mit dem Pferdekarren das Vieh zur Stadt. Die Fuhrleute waren meist barmherzige Leute und nahmen die vollen Körbe der Marktfrauen und die Kiepen der Handelsleute gern auf ihrem Fuhrwerk mit, wenn die zu Fuß ziehenden Händler aus dem Straßengraben, wo sie ausgeruht hatten, sich erhoben und gegen ein kleines Trinkgeld oder ein Glas Bier oder Schnaps darum baten. So wurde das Gruseln durch die Dreis, eine Senkung zwischen den beiden Steigungen, verscheucht, soll dort doch der Räuberhauptmann Schinderhannes sein Unwesen getrieben haben. Am 20. November 1803 wurde dieser Räuberhauptmann in Mainz hingerichtet; die Mordkuhl erinnert an ihn.

Noch andere Stätten aus alter Zeit sind durch die Ausbreitung der Gruben verschwunden. Ein altes Lehmfachhaus auf der linken Höhe der Landstraße ist nicht mehr, wo früher ein Anton Kremer gewohnt hat, der Vater des vor kurzem verstorbenen Herrn Kremer. Dort wurden die Braunkohlen im Tunnelbau gewonnen, mit Wasser gemischt, in Eimern geformt, an der Sonne getrocknet und dann zum Verkauf angeboten. Ein alter Bergmann erzählt: „Kam ein Kunde zum Kauf von Rohbraunkohlen und legte kein Trinkgeld in die über eine Welle emporzuziehenden Körbe, oder die oben stehenden Arbeiter riefen hinunter: „Dat es ener von Nühs!“, fiel die Füllung der Körbe anders aus dann lagen oft noch nicht verkohlte Baumstücke im Korb.

Aus dem Waldweg, der links an dem Gasthaus „Schmitze Mutter“ vorbeiführte, stand ein Kreuz zur Erinnerung an den verunglückten Herrn Wolter, der dort bei Einsturz des Tunnels sein Leben ließ. - Rechts der Landstraße „vor der Berk“ war ein kleiner freier Platz, der Zigeunerplatz. Alte Bergleute erzählten, daß sie manchmal morgens in der Frühe, wenn sie zur Arbeit gingen, die Zigeuner, die unter den Wagen schliefen, durch Stochern mit Stöcken aufgescheucht hätten.

Noch ein bedeutsames Plätzchen ist der Grube zum Opfer gefallen. Auf der ersten Höhe der Landstraße links stand auf einem mit Linden und Gestrüpp bewachsenen dreieckigen Grasplatz der Grabstein eines Herrn von Bourscheidt. An dieser Stelle hat vor langer Zeit ein Krankenhaus gestanden, in welchem die mit ansteckender Krankheit behafteten Armen untergebracht wurden. Unterstütz wurden sie vom Schlosse Frens durch Nahrungsmittel, welche sie selbst dort holen mußten. Die Träger durften auf ihren Gängen nur einen bestimmten Pfad auf das Schloß zu benutzen, der jetzt auch verschwunden ist und „Siechespädchen“ hieß. Ein mit Holz und Gestein bedeckter und von den Siechen gebrauchter Brunnen befand sich nicht weit von der Stelle in einem Ackerstück.

Den Bewohnern von Ichendorf und allen Freunden der Heimatpflege mögen diese Stellen alten Volkslebens durch diese kurze Darstellung wenigstens noch in der Erinnerung gehalten werden.

Rektor a.D. H. Müllenmeister, Quadrath

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