Kölnische Rundschau vom 4. Juni 1949

Von Gesellentag zu Gesellentag

Von Generalsekretär Dr. Franz Josef Wothe

Aus Anlaß der Jahrhundertfeier der Kölner Kolpingsfamilie kommen Zehntausende Kolpingssöhne aus ganz Deutschland und starke Delegationen aus Österreich, der Schweiz, Belgien, Frankreich, Holland und Nordamerika nach Köln, in die Stadt Vater Kolpings.

Nicht zum erstenmal in der Geschichte des Kolpingwerkes versammeln sich die Kolpingssöhne in so großer Anzahl in der Stadt, die das Grab Adolf Kolpings in der Minoritenkirche hütet, und nicht zum erstenmal treten die Kolpingssöhne in der alten rheinischen Metropole ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Bereits 1858, als die Kölner Kolpingsfamilie noch nicht 10 Jahre bestand, wagte es Adolf Kolping mit seinen Gesellen, den großen Gürzenichsaal zu mieten und einen Festzug zu veranstalten, der die Kölner in Erstaunen versetzte. Das ganze Kölner Handwerk war in dem Zuge vertreten, und die Gesellen trugen stolz die Zeichen ihrer Zunft. Der Gürzenich erwies sich als zu klein, so gewaltig war der Andrang. Kolping hielt in Anwesenheit des Stadtkommandanten und der Behörden eine begeisternde Rede, kaum ahnend, daß nur sieben Jahre späte sein Lebensziel bereits erreicht war.

Seine Beerdigung zog wiederum Tausende Menschen an. Über dreihundert Fahnen nahmen am Begräbnis teil und achtundvierzig Mitglieder des Katholischen Gesellenvereins, die aus allen Gegenden Deutschlands ausgewählt waren, trugen die mit einer weißen Decke umhüllte Bahre, die mit den Insignien des Priestertums und einem Kranze aus Passionsblumen geschmückt war.

Diesem großen Priester setzten die dankbaren Kolpingssöhne im Jahre 1903 das herrliche Denkmal vor der Minoritenkirche. Am 12. Juli wurde es feierlich eingeweiht und der Stadt Köln übergeben. Zur Feier der Enthüllung warne Vertreter aus vielen hundert Kolpingsfamilien nach Köln gekommen, darunter Kolpingssöhne aus Amerika, England, Frankreich, Belgien, Ungarn, Holland, Österreich, besonders zahlreich aus der Schweiz. Man darf dieses Fest schon einen Gesellentag nennen. Ein Pontifikalamt im Hohen Dom, ein Festakt im Gürzenichsaal, zu dem in der Bürgergesellschaft eine Parallelversammlung gehalten wurde, ein glanzvoller Festzug mit 15.000 Teilnehmern, ein schönes Gartenfest am Abend im Florapark, Dampferfahrten auf dem Rhein mit Rheinuferbeleuchtung und prachtvollem Feuerwerk - das alles gab dem Tag für die Teilnehmer sicher ein unvergeßliches Gepräge. Aber wenn man die zeitgenössischen Schilderungen dieses Geschehens heute liest, muß man sagen: Jene Welt besteht nicht mehr! Der reiche Glanz des 19. Jahrhunderts mit der Behäbigkeit der bürgerlichen Kultur ist ein Opfer der furchtbaren Weltkriege des 20. Jahrhunderts geworden.

Der erste Weltkrieg hatte auch der Kolpingsfamilie schwere Wunden geschlagen. Von über 80.000 Mitgliedern standen 60.000 an der Front, und etwa 17.000 sind gefallen. Köln wurde Mittelpunkt der englischen Besatzungszone - doch die Stadt selbst war dem Krieg nicht zum Opfer gefallen.

1922 wagte es der damalige Generalpräses Franz Schweitzer, einen ersten internationalen Gesellentag in Köln abzuhalten. Wieder versammelten sich Zehntausende Kolpingssöhne in Köln zu Kundgebungen und Festveranstaltungen. Aber wie anders war die Zeit gegenüber 1903 geworden! Über die soziale Frage hatte man auch 1903 gesprochen; jetzt brannte sie allen auf den Nägeln. Not und Sorge klopften an Heim und Häuser der Kolpingsöhne, und vor allen stand die bange Frage nach der Zukunft des Volkes. So bildeten denn ernsthafte Beratungen Mittelpunkt dieses internationalen Gesellentages. Neue Wege in die Zukunft mußten gesucht werden.

Die Linie, die der damalige internationale Gesellentag in Köln eingeschlagen hat und die ihren Niederschlag fand im neuformulierten Programm der Kolpingsfamilie, wurde grundsätzlich nicht mehr verlassen. Sie fand neue Impulse auf dem zweiten internationalen Gesellentag in Wien 1927, auf dem die drei gesellschaftspolitischen Ideen „Familie - Demokratie - Völkerfrieden“ aufgestellt wurden. Das „Wiener Manifest“, das der Generalrat des Kolpingwerkes an alle Mitglieder der Kolpingsfamilie richtete, verkündet: „Wir wissen, daß in den einzelnen Vereinen an der persönlichen Durchbildung in religiöser, geistiger, beruflicher und körperlicher Hinsicht gearbeitet wird. Wir wissen, daß der Geist der Solidarität Euch umschließt. Diese erste und wichtigste Arbeit des Gesellenvereins darf nicht unterbrochen, nicht gestört, sie muß vielmehr noch vertieft und vermehrt werden. Darüber heißt es aber, in der heutigen Zeit auch öffentlich für unsere großen Forderungen in den einzelnen Völkern und Staaten einzutreten. Damit aber dies geschehen kann, muß die Freiheit der Jugenderziehung und die Freiheit der Jugendverbände gegenüber dem Staat gewährleistet sein. Für diese Freiheit einzutreten, ist eine besondere Forderung der Stunde!“

Das Wiener Manifest verfehlte nicht seine Wirkung; denn die Kolpingssöhne in aller Welt wurden sich mehr und mehr ihrer Verantwortung vor der Öffentlichkeit im freien Spiel demokratischer Kräfte bewußt. So konnten sie denn zu einem großen Deutschen Gesellentag nach München einladen, um die Parolen „Gott - Volk - Stand - Staat“ als verpflichtende Wegweiser in die Zukunft zu verkünden.

Wer den ersten Deutschen Gesellentag Pfingsten 1933 miterlebt hat, weiß, wie die Macht dieser kraftvollen Parolen gerade damals mit den Schlagworten der nationalsozialistischen Bewegung aufeinanderprallte. Der Münchener Gesellentag wurde das Sturmzeichen für den Kulturkampf des Hitlerstaates. Er war die letzte große Kundgebung des katholischen Volkes. Im nationalsozialistischen Staat. Äußerlich zogen sich die Kolpingssöhne nach vorzeitiger Beendigung dieser Tagung geschlagen zurück, und dennoch lebte das Werk Kolpings über ein Jahrzehnt aus dem Gedankengut dieser großen Tage. Der geistige Inhalt dieser Münchener Parolen ist so wesenhaft im Programm Adolf Kolpings verwurzelt, daß auch heute an ihm keine Abstriche gemacht zu werden brauchen; denn gerade der Irrweg nationalsozialistischer Politik, der uns in das furchtbare Chaos der Gegenwart hineingeführt hat, ist der deutlichste Beweis für die Richtigkeit der Münchener Programmworte: Verläßt ein Volk den ihm von Gott vorgezeichneten Weg, sinkt es herab zur bloßen Masse, verliert es sein staatlich-demokratisches Gefüge und stürzt endlich sich selbst in namensloses Elend.

Gibt es nun aus dem gesellschaftspolitischen Chaos der Gegenwart noch einen Ausweg? Kann die Kolpingsfamilie beim Neuaufbau unseres Volkes - wie überhaupt bei der Neuordnung der Welt - einen schöpferischen Beitrag leisten? Die Beantwortung dieser Frage ist letztlich entscheidend für die Existenzberechtigung des Kolpingwerkes in unserer Zeit. Die Kolpingsfamilie ist nach dem Kriege - für viele wider Erwarten - rasch aufgeblüht, und der sonst allgemein zu beobachtende müde Pessimismus der Heimkehrergeneration hat allem Anschein nach vor den Toren des Kolpingwerkes haltgemacht; denn Jahr um Jahr ist das Werk seit 1945 in Deutschland um Zehntausende Mitglieder gewachsen und zählt heute bereits an 150.000 Kolpingssöhne.

Die junge Manneskraft, die sich im Werke Adolf Kolpings konzentriert, will vor den Aufgaben unserer Zeit nicht kapitulieren. Wenn Zahntausende Kolpingssöhne in diesen Tagen nach Köln kommen, dann wollen sie kein Stiftungsfest alter Prägung feiern, wollen nicht zurückfallen in jene Sitten und jenes Brauchtum, das vor dem ersten Weltkrieg vielleicht noch angebracht war, sondern sie wollen Ideen suchen, Anregungen erhalten und vor allen Dingen Kräfte sammeln, um auf breiter Front der notvollen Gegenwart zu begegnen.

Schlüsselworte zu den Problemen unserer Zeit - entnommen dem Gedankengut und Wortschatz Adolf Kolpings - sind die kraftvollen Parolen des Kölner Kolpingtages:

Friede - Gerechtigkeit - Tätige Liebe

Wir spüren alle, daß der Welt nichts mehr fehlt als die Möglichkeit der friedlichen Entwicklung der Völker. Dabei ist aber das Gut des Friedens gefährdeter denn je. Der Friede ist nicht nur außenpolitisches Anliegen, sondern der Friede muß die christliche Grundhaltung des menschlichen Herzens sein. Weil die Menschen in ihrem persönlichen Dasein nicht mehr zu-frieden sind, deswegen ist soviel Feindschaft, Haß und Neid, Auseinandersetzung und sogar Krieg unter den Menschen zu finden. Es kommt für eine friedvolle Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, aber auch für das friedliche Zusammenspiel der einzelnen Völker untereinander nun wesentlich darauf an, daß alle berechtigten Interessen des Einzelnen zu-friedengestellt werden.

Diese berechtigten Interessen der Gesellschaftsschichten wie auch der Völker werden bestimmt von der Gerechtigkeit und der Liebe, die das Prinzip aller gesellschaftlichen Ordnung darstellen müssen. Je mehr der einzelne dazu beiträgt, daß das Unrecht aus der Welt verbannt wird, daß überall der Geist der Gerechtigkeit gepflegt wird, wer die tätige Liebe und ihren Geist verbreitet, der dient dem Frieden.

Dieses alles aber ist wesentlich gebunden mit dem Willen zur Reform der menschlichen Herzen. Klassenkampf und Völkerkriege lassen sich letztlich nur aus der Welt bannen durch systematische Friedenserziehung der Menschen guten Willens.

Hier erkennt das Kolpingwerk als Erziehungsgemeinschaft seinen verpflichtenden Antrag: Durch Gewissensbildung und religiös-sittliche Erneuerung des einzelnen den Geist des Friedens in die Familien zu tragen, in die Hausgemeinschaft, in die Nachbarschaft, die Werkstatt und Betrieb. Der Friede zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, zwischen Ständen und Klassen, nicht zuletzt zwischen den Völkern und Staaten wird nur dann möglich werden, wenn er in der Kleinarbeit persönlicher Erziehungsarbeit vorbereitet wird.

Der Kölner Kolpingtag soll mit seinen Parolen den Kolpingssöhnen verpflichtenden Auftrag zeigen, soll der Welt bekunden, daß in der Kolpingfamilie eine Kraft lebendig ist, die letztlich darauf hinzielt, den Neubau des gesellschaftlichen Lebens vorzubereiten und zu fördern.

© Copyright 2003 wisoveg.de
Zur Homepage