Kölnische Rundschau Beilage - Ausgabe Nr. 2, Februar 1948




Kaster
Von Laurenz Kiesgen (Dattenfeld/Sieg)

Die Bahnlinie Düren - Neuß durchschneidet das Bergheimer Land und gewährt dem Reisenden zwischen den Stationen Bedburg und Morken-Harff eine Überraschung: Er gewahrt rechts, plötzlich auftauchend und hinter grünem Gebüsch ebenso rasch verschwindend, ein altes geschlossenes Stadtwesen. Wie, war das Rothenburg an der Erft? Ein Zons in der Westentasche? Tor, Gemäuer, altertümliches Gedächer mit Windfahnen, Getürm baute sich vor seinen erstaunten Blicken auf. - Das war Kaster. Selten wird wohl einer seine Fahrt unterbrochen und die halbe Stunde von Harff durch das hübsche Wäldchen, oder von Bedburg durch Lipp über die fette, üppige Feldflur daranwagen, den noch leidlich erhaltenen mittelalterlichen Rest zu besuchen, obschon es sich wahrlich der Mühe lohnen würde. Durch das Agathator hindurch querte er in geringer Zeit die Hauptstraße des Ortes bis zum Erfttor, und wenn er sich in den Nebengassen hinter Schule und Kirche umsähe, würde er manchen Giebel kühn und hoch aufragen sehen, manches Wappengebilde und sonstige Zeugen versunkener Herrlichkeit betrachten können.

Als der Schreiber dieses im Beginn der 90er Jahre ein Jahrfünft lang die Kasterer Jungen in die Schulzucht nehmen durfte, war er als Kölner fast gerührt, wieder Bürger eines Miniaturstädtchens zu sein; er entdeckte auf alten Urkunden das zierliche Siegel eines Amtsnotars mit der gewichtigen Umschrift „Cesareus Notarius Publicus der statt Caster“ und empfand schon den Ortsnamen antik und romantisch. Hier wirkte man auf geschichtlichem Boden und hörte gern den Erörterungen über Kaster zu, die der bekannte grundgelehrte Archivar Leonard Korth zu geben wußte, der damals auf Schloß Harff die Bibliothek des Grafen Mirbach sichtete und ordnete und eben ein Büchlein „Volkstümliches aus der Erftniederung“ (Bonn, 1891) hatte erscheinen lassen.


Zeichnung: Vogel
Kaster war ehemals Grenzfestung des Herzogtums Jülich; es stand also im Gegensatz zu dem so nahe gelegenen Festungsplatz Bedburg, und man glaubte noch einen Ausdruck dieser „feindlichen“ Stellung in dem in Kaster häufig gehörten Wort „Bebbersche Scharfäger“ zu vernehmen. Im Herzogtum Jülich spielte das alte Nest eine bedeutende Rolle; denn es war zeitweilig Sitz der Verwandten des Herzogs mit fürstlicher Hofhaltung. Auf einem Hügel außerhalb des Ortes befand sich das Burgschloß. Die „Kellnerei“ (Rechnungskammer) des Herzogs ist noch mit Herrenhaus und rundbogigem, wappengeschmückten Tor im Westen des Städtchens vorhanden. So mußte Kaster in früheren Jahrhunderten viel erleben, Glänzendes und Nöte der Kriegszeiten. In der jülichschen Fehde wurde es 1542 von den Kaiserlichen erobert und verbrannt; wieder aufgebaut, schlug sich dort im 30jährigen Kriege Jan von Werth mit den Hessen-Weimarern herum; 1648 belagerte Generalwachtmeister Otto von Sparr die Feste, nahm sie mit Sturm und zerstörte am 10. August die Burg mit dem Schlosse derart, daß nur die Fundamente und einige verschüttete Keller übrigblieben. Sodann kamen 1673 die Spanier und 1689 Ludwig XIV. Scharen, aber als fester Platz konnte Kaster nur noch wenig Widerstand leisten.

Zu Kaster gehörten noch Omagen mit Burghaus, Darshoven, Hohenholz, Tollhaus und Epprath; von letzterem sagte man scherzhaft, es würden da die Kuchen nur auf einer Seite gebacken: kein Kunststück, denn der langgestreckte Ort hat nur auf einer Straßenseite Häuser ...

Alle Schatten dunkler Vergangenheit verblichen aber damals vor dem Blick der lebensfrohen Augen auf Kasters schöne Umgebung. Die Erftwiesen mit ihren Blumenwundern oder ein Gang durch die „Bedburger Schweiz“ dünkten mir schöner als alle Hofdamen und Kavaliere der alten ewigen Herrschaft Julia. Die Erftwiesen trieben in üppiger Kraft das Gras bis Brusthöhe, Margueriten und Baldrian schaukelten schelmisch balsamisch gleich unter der Nase einher, und Plätzchen gab es da an Wehren und Wassergräben, an denen man sich weltabgeschieden und gruselig verwunschen fühlte. Und die Bedburger „Schweiz“ über Tollhaus, Muchhaus, Geddenberg und Broich, diesen mehr mit Hunden als mit Anmut gesegneten menschlichen Wohnstätten, rief den Gedanken wach, daß auch die bescheidene Schönheit ihren Namen weit her holt, wie denn der Deutsche nur das schätzt, was er - nicht kennt.

So waren die Tage des überströmenden Frühlings oder des innigen stillen Sommers. Aber ein Ort ist nicht immer bereit, seine eigenste Art und seinen verborgenen Zauber zu zeigen, dazu bedarf er wie der Mensch besonderer Stunden. Und so erschloß sich dieses kleine alte Kaster erst in Winternächten. In weißem Dämmerschnee begraben lag die Feste, eingemummelt, abgeschlossen gegen die ungeheure Öde des Feldes voll todbringender Einsamkeit. Mitten in diesem erstarrenden Graus ragte das Städtchen auf als Zuflucht und behaglicher Unterschlupf. Die Torbogen sahen dunkel und rätselhaft hinaus, die Sträßchen und Gäßchen lagen blank und still, und der Hall der Tritte ertrank in molliger Weiche. Groß und hoch segelte der Mond durch das Gewimmel der Sterne, und sein schönes Licht ließ die Dächer silbern aufschäumen. Fröhlich zwinkerten die Häuschen mit ihren Fensteraugen mir zu, als ich die Schultür aufschloß und noch im Traum wanderte ich staunend und entzückt durch eine weiße Märchenwelt.

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