Sonderausgabe
Kölnische Rundschau vom 27. März 1956
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Elektrische
Energie aus Braunkohle
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Modernisierung und großzügiger
Ausbau der Kraftwerke - Heizwertarme Braunkohle liefert billigen
Strom - Endziel: über 20 Milliarden kWh Einspeisung in das
Verbundnetz
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Bergheim - Noch werden etwa 60 vH
der im rheinischen Revier geförderten Rohbraunkohle zu Brikett
verarbeitet. Aber die hochwertige Braunkohle wird weniger. Im
Nordteil des Reviers ist sie aschereich und heizwertarm. Kein
Wunder, daß man in früher Erkenntnis dieser Entwicklung
bei der Kohleveredelung auch an die Erzeugung elektrischer Energie
aus Braunkohle dachte, die obendrein wesentlich billiger ist als die
aus Steinkohle. Nebenher dürfte allerdings auch die in den
letzten Jahren betriebsreif entwickelte restlose Kohlevergasung an
Bedeutung gewinnen. Vorerst ist es aber noch nicht so weit.
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Das Hochspannungsnetz summt über
Werkkomplexe und fruchtschweres Land
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Kraftwerke werden modernisiert
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Hauptaufgabe des Reviers bleibt
neben der Brikettproduktion zunächst die Stromerzeugung.
Bereits 1953 wurden 30,6 vH der öffentlichen Stromerzeugung
durch Braunkohle gedeckt. Dieser Prozentsatz ist durch das
Neubauprogramm der Braunkohlenkraftwerke noch gestiegen. Die
vorhandenen Braunkohlenkraftwerke wurden modernisiert. Die alten
Anlagen arbeiteten meist mit 14 bis 17 Atmosphären Dampfdruck
und 350 Grad Dampftemperatur bei einer Vielzahl kleinerer Kesse.
Diese wurden durch neue Großkessel ersetzt, die Dampf von 136
Atmosphären und 530 Grad erzeugen. Das Druckgefälle von
136 auf 17 Atmosphären wird in vorgeschalteten Dampfturbinen
verarbeitet, so daß die alten Mitteldruckdampfturbinen
weiterhin verwendbar sind. Der Wirkungsgrad der Kraftwerke
verbessert sich dabei erheblich. Moderne Anlagen erzeugen mit
derselben Kohlenmenge eineinhalb mal soviel Strom wie die alten
Mitteldruck-Werke.
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Zehn moderne Hochdruckkessel
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Mitte 1950 wurden im Kraftwerk
Fortuna (Kreis Bergheim) zehn moderne Hochdruckkessel mit einer
gesamten Dampfleistung von 1900 t/h und fünf Vorschaltturbinen
aufgestellt. Die Kraftwerksleistung wurde verdoppelt. Zwei
Dampfturbinengruppen von je 100.000 kW Leistung gingen bereits in
Betrieb, an der Aufstellung von weiteren zwei Maschinengruppen mit
je 150.000 kW wird noch gearbeitet. Auch soll jede Turbine mit einem
Großleistungskessel zu einem Kraftwerksblock
zusammengeschaltet werden.
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Bald größer als
Goldenbergwerk
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Mit der alten Anlage, in der drei
80-Atm.-Kessel und sechs Turboaggregate mit einer Leistung von
78.000 kW stehen, wird das Kraftwerk Fortuna demnächst über
eine Million kW aufweisen. Diese Leistung würde ausreichen, um
sieben bis acht Großstädte wie Köln einschließlich
seiner Industrie mit Strom zu versorgen. Fortuna beliefert Köln
direkt über ein 25-kV-Kabel und speist den Überschußstrom
in das RWE-Hochspannungsnetz ein. Außerdem versorgt es die
benachbarte Brikettfabrik mit Dampf. Fortuna hat damit das
Goldenbergwerk in Knapsack eingeholt oder derzeit sogar überflügelt.
Dieses 1915 auf der niederrheinischen Braunkohle bei Köln
errichtete Werk war zu Beginn des zweiten Weltkrieges mit 530.000 kW
das größte Wärmekraftwerk Europas. Seine Leistung
kam Mitte 1953 auf 740.000 kW und soll auf eine Million ausgebaut
werden. Im Vorjahr wurden zwei 42.000-kW-Turbinen durch ein neues
100.000-kW-Aggregat ersetzt, das im Frühjahr 1957 anläuft.
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Auch Weisweiler und Frimmersdorf
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Seit Winter 1954/55 ist das neue
350.000-kW-Kraftwerk Weisweiler in Betrieb mit zwei Turbinengruppen
mit je 100.000 kW, deren jede an zwei Hochdruckkesseln von je 120
t/h Dampfleistung hängt, dazu ein dritter Maschinensatz von
150.000 kW mit zwei Hochdruckkesseln für 300 t/h. Anschließend
an Weisweiler kam das Kraftwerk Frimmersdorf auf der Kreisgrenze
Bergheim/Grevenbroich in Betrieb, mit dessen Ausbau im April 1954
begonnen wurde. Zwei neue 100.000-kW-Turbinen liefern bereits Strom,
die Bauarbeiten für die Erweiterung um zwei 150.000-kW-Sätze
sind in Angriff genommen. Die Inbetriebsetzung ist für das Jahr
1957 geplant.
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Die jährliche Stromlieferung
des rheinischen Reviers soll auf über 20 Milliarden kWh
steigen. Allein von 1954 auf 1955 schnellte die Stromerzeugung der
öffentlichen Braunkohlenkraftwerke des rheinischen Reviers um 3
Milliarden kWh in die Höhe und erreichte ca. 13,4 Milliarden
kWh, während die Stromerzeugung über Grubenkraftwerke 2,39
Milliarden kWh ausmachte.
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Stromtransport kostet Geld
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Durch Umwandlung ihrer Energie in
Elektrizität wird die Rohbraunkohle gewissermaßen
transportfähig. Aber auch der Stromtransport ist nicht
kostenlos. Verzinsung, Tilgung, Instandhaltung der teuren
Leitungsanlagen sowie Übertragungsverluste stehen zu Buch. Sie
sind bei sonst gleichen Umständen um so höher, je größer
die Entfernung, und um so niedriger, je höher die Spannung der
Leitung ist.
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Für den Ferntransport großer
Strommengen dienen daher Höchstspannungsleitungen mit
Spannungen von 380, 220 und 110 kV. Das 110-kV-Netz ist heute
bereits zum örtlichen Verteilernetz geworden. Neue
110-kV-Leitungen dienen nur noch als kurzwegige Anschlüsse. Das
neue Kraftwerk in Frimmersdorf ist bereits durch eine
220/380-kV-Leitung an den Sammelpunkt Rommerskirchen (auf Kreis
Bergheimer Gebiet) angeschlossen. Für Fortuna und Weisweiler
sind 380-kV-Anschlüsse vorgesehen.
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10.000 km Hochspannungsnetz
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Entsprechend dem Stromzuwachs durch
den Ausbau der Kraftwerke geht die Erweiterung und Verstärkung
der Leitungsnetze, der Hochspannungsstationen und Umspannanlagen
voran. Das RWE verlängerte das 220-kV-Netz 1955 um 237 km auf
4682 Kilometer und das 110-kV-Netz um 267 km auf 4943 km. Die
Gesamtlänge des Hochspannungsnetzes erreichte bis Ende vorigen
Jahres nahezu 10.000 km.
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Großräumiger
Verbundbetrieb
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Die ersten 220-kV-Leitungen des RWE
sind seit 25 Jahren in Betrieb und bilden mit den neuen Leitungen
das Rückgrat der westdeutschen Stromversorgung. Bereits 1929
wurde erstmalig in Europa eine 220-kV-Leitung von Brauweiler und
Hoheneck (Unterfranken) und in ihrer späteren Verlängerung
bis Bludenz (Vorarlberg) durchgeschaltet. Die Grundlage eines
großräumigen Verbundbetriebs, der im letzten auf
Steinkohlen-, Wasser- und Brennkohlenstrom basiert, war damit
geschaffen. Seitdem wurden die Hochspannungsnetze ständig
erweitert. Heute sind die 220-kV-Nord-Süd-Verbindungen, auf
denen sich der Braunkohlenstrom, der der Wasserkraft des Mains, der
Donau und der Alpenflüsse begegnet, überlastet. Eine neue
380-kV-Übertragung Rommerskirchen-Hoheneck, die voraussichtlich
im Herbst 1957 eingeschaltet wird, soll diesen Transportengpaß
beheben. Die neue 2x220-kV-Leitung, die auf 2x380 kV umstellbar ist,
wurde inzwischen von Rommerskirchen über Koblenz bis Rheinau
fertiggestellt.
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Netzwarte in Brauweiler
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Die Überwachung des
Verbundnetzes erfolgt durch die neu errichtete Netzwarte in
Brauweiler, die mit einer automatischen Leistungsfrequenzregelung
und allen sonstigen modernen Fernmeldemitteln ausgerüstet ist,
um zur Verbesserung und Sicherheit des neuzeitlichen
Verbundbetriebes beizutragen.
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Nach dem gegenwärtigen Stand
der Atomtechnik ist nicht zu erwarten, daß in dem für die
Betriebsplanungen vorgesehenen Zeitraum Elektrizität durch
kernenergie billiger herzustellen ist als aus festen Brennstoffen.
Die im Tagbau zu gewinnenden Braunkohlenvorräte reichen noch
für ein Menschenalter, auch wenn der Energiebedarf im
bisherigen Tempo ansteigt. Mit höherem Stromverbrauch und
höherem Lebensstandard wir der Verbrauch an festen Brennstoffen
zurückgehen. Rohbraunkohle wird daher weniger für die
Brikettierung benötigt und für die Stromerzeugung mehr zur
Verfügung stehen.
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Wenn einst Tages die
Braunkohlenfelder erschöpft sind, wird man die bis dahin
ohnedies ausgedienten Braunkohlenkessel durch Atomreaktoren ersetzen
müssen, die an deren Stelle den für die Turbinen
benötigten Dampf erzeugen. Die Zukunft der neuen Kraftwerke ist
also durch die mögliche Entwicklung der Atomenergie in keiner
Weise gestört.
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Dr. Karl Vordermeyer
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