Sonderausgabe
Kölnische Rundschau vom 27. März 1956-
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Die
Erftlandschaft ist in Bewegung
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Produktionsziel der Braunkohle
bringt Einsatz gigantischer Geräte - Tieftagebaue wandeln das
Gesicht der Landschaft - Gegensatz Land- und Industriegemeinden -
Bevölkerung bleibt bodenständig - Alle warten auf den
Großen Erftverband
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Bergheim - 1954 wurden im
rheinischen Braunkohlenrevier 61 Millionen cbm Abraum bewegt, 75,7
Millionen t Rohbraunkohle gefördert, 15 Millionen t Briketts
produziert und 12,6 Milliarden kWh elektrischer Strom erzeugt. Auf
das Bundesgebiet bezogen, ergaben diese Zahlen 86,2 vH der
Braunkohlenförderung, 90,4 vH der Brikettproduktion und 84,4 vH
der Stromerzeugung auf Braunkohlengrundlage. Das Produktionsziel für
1960 ist eine jährliche Abraumbewegung von 200 Millionen cbm,
eine Braunkohlenförderung von 94 Millionen t, eine
Brikettproduktion von 16 Millionen t und eine Stromerzeugung von
22,8 Milliarden kWh.
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Dreimal soviel Abraum
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Allein schon die Verdreifachung der
Abraumbewegung in wenigen Jahren läßt deutlich werden,
daß der Braunkohlenabbau in einem grundlegenden Wandel
begriffen ist. Während in den südlichen Lagerstätten
des Reviers, die allmählich ihrer Auskohlung entgegengehen, das
Verhältnis Abraum : Kohle 0,6 bis 1:1 betrug, wird man in den
künftigen Großtagebauen des mittleren und nördlichen
Bereichs mit Verhältnissen von 2,4 bis 4:1 rechnen haben. Im
Süden lag die Kohle fast unter der Erdoberfläche, weiter
nördlich wird sie von einem mächtigen Deckgebirge
überlagert, das künftig einen Tieftagebau bedingt, in dem
Teufen von 250 Metern zu überwinden sind, ehe man an die Kohle
gelangt. Einschließlich der Böschungen wird ein solcher
Tagebau 6,5 Kilometer breit sein müssen und zu seinem Betrieb
ständig eine Fläche von 800 Hektar benötigen.
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Der
erste Gigant im Großtagebau Fortuna. Weitere werden
folgen.
1000 cbm pro Tag
Diese
räumliche Ausdehnung der Tagebaubetriebe hat naturgemäß
eine Konzentration des Abbaues zur Folge. Gegenüber den bisher
20 Tagebauen wird man künftig nur noch zehn oder gar noch
weniger Großtagebaue in Betrieb haben, die zugleich den
Einsatz von Riesengeräten notwendig machen werden. Als erstes
wurde bereits im Spätsommer vorigen Jahres jener gigantische
Schaufelradbagger im Großtagebau Fortuna eingesetzt, der eine
Tagesleistung von 100.000 cbm gewachsenen Boden hat und der damit
bauwerk- und leistungsmäßig das größte
Fördergerät ist, das jemals in den Bergbaugebieten der
Welt in Dienst gestellt wurde. Weitere werden folgen.
Viele
Probleme
Die Landschaft des rheinischen Reviers, die
sich vom Brühler Raum nordwestwärts bis in den Kreis
Grevenbroich und südwärts schon bis nach Zülpich
erstreckt, wo die im alten Bottenbroich beheimatete Firma Viktor
Rolff KG seit einiger Zeit einen neuen Aufschluß mit
Brikettfabrik und Kraftwerk begonnen hat, wird durch die fast
umstürzlerische Entwicklung des künftigen
Braunkohlenabbaues einen Strukturwandel erleben, der noch
tiefgreifender sein wird als der, den sie in den letzten Jahren
hinter sich brachte. Es wird Probleme zu lösen geben, von denen
sich vor einem Menschenalter noch niemand etwas träumen ließ
und die die Menschen dieses Raumes, ganz gleich, in welcher
Beziehung sie zur Braunkohle stehen, auf lange Zeit in Spannung und
Bewegung halten werden.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang
nur an die zur Verwirklichung der Großtagebaue notwendige
Grundwassersenkung auf eine Tiefe von 250 bis 300 Meter, die das
Abpumpen von Milliarden von Kubikmetern Wasser notwendig machen
wird.
Erinnert sei an die schon heute beschlossene oder erst
in der Planung begriffene Abbaggerung bzw. Umsiedlung zahlreicher
Ortschaften, die einen grundlegenden Wandel in der Siedlungsstruktur
eines großen Teiles dieser Landschaft nach sich ziehen wird.
Die Ackerkrume
Erinnert sei
schließlich und nicht zuletzt an die riesigen
landwirtschaftlich genutzten Flächen, die der Bagger schlucken
wird und die für längere Zeit der Bewirtschaftung entzogen
werden. Ebenso, wie man für eine menschenwürdige
Unterbringung der Bevölkerung der vom Abbau betroffenen
Ortschaften sorgen werde, so versichern die verantwortlichen
Stellen, werde man auch um die Rekultivierung dieser abgebaggerten
Ackerflächen bemüht bleiben. Bei der Lösung dieses
Problems, deren greifbare Verwirklichung den betroffenen und
bedrohten Landwirten seit langem schon zu langsam geht, wird es vor
allem darauf ankommen, den durch den Tieftagebau in immer größeren
Mengen anfallenden Lößboden zu retten und mit seiner
Hilfe wieder ausgedehnte fruchtbare Flächen zu schaffen. Dabei
dürfte auch die Nord-Süd-Bahn, deren Aufgabe es ist, die
Brikettfabriken und Kraftwerke des ausgekohlten Südreviers mit
Kohlen zu versorgen, wesentliche Dienste leisten.
Kohle
und Wasser
Es ist nur zu natürlich, daß um
das Für und Wider mancher Maßnahme im Zuge des
Braunkohlenabbaues Meinungsverschiedenheiten aufkommen. Je nach
Zeit, Ort, Gegenstand und Temperament werden sie mehr oder weniger
heftig ausgefochten. Wenig Meinungsstreit gibt es wohl darüber,
daß der Abbau der Braunkohle - trotz Atomenergie - notwendig
ist, daß also z.B. die Devise in der großen
Auseinandersetzung um die Grundwasserabsenkung nicht heißen
kann Kohle oder Wasser, sondern wie auch schon der
frühere Ministerpräsident von NRW, Karl Arnold, einmal
feststellte - Kohle und Wasser.
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Der
Kreis Bergheim
Bodenständig und
konservativ
Von dem Ringen um die Problemlösungen,
das mehr hinter als vor den Kulissen und meist nur auf der höheren
Ebene ausgetragen wird, bleiben die Bewohner der Landschaft zwar
nicht unberührt, sie nehmen es aber gelassener hin, obgleich
auch viele von ihnen hart betroffen werden. Mancher Bauer muß
von seinem Hof, den seine Familie seit Generationen bewirtschaftet.
Besonders empfindlich trifft es manchen Pächter, und deren gibt
es gerade im linksrheinischen Realteilungsgebiet sehr viele. Aber
auch den übrigen Menschen des Reviers ist es nicht gleich, ob
sie eines Tages ihr gewohntes Zuhause verlassen müssen oder
nicht. Die Bewohner der Ville und der Erftlandschaft sind ebenso
bodenständig und konservativ wie die Menschen anderswo. Ebenso
wie sie an ihrem kleinen Häuschen, ihrem Garten, ihrer
Nachbarschaft und ihrer Dorfgemeinschaft hängen, sind sie auch,
sofern sie in der Braunkohle beschäftigt sind, eng mit ihren
Betrieben verbunden. In sehr vielen Fällen geht der Sohn den
gleichen Weg zur Grube, den auch der Vater und der Großvater
gingen. Ein Blick in die Belegschaftslisten der Gruben ist gerade in
dieser Hinsicht sehr aufschlußreich.
Den grundlegenden
Wandel der Siedlungsstruktur im rheinischen Braunkohlenrevier
deuteten wir schon an. Ebenso wurde deutlich, daß der
Eingriff, den der Bagger in diese Landschaft macht, schmerzlich ist.
Und doch gibt es im großen Ablauf der Gesamtentwicklung
eigentlich nur selten die Flucht einzelner vor dem herannahenden
Bagger. In den Fällen, in denen Braunkohlenbetriebe stillgelegt
werden, zeiht der Arbeiter dem neuen Betrieb nicht ohne weiteres
nach. Vielmehr nimmt er den weiteren Weg zur Arbeit in Kauf, wenn
nicht, wie es auch vorkommt, von den Wohnungsbaugesellschaften des
Reviers in der Nähe alter oder neuer Produktionsstätten
den dort bestehenden Orten neue Siedlungen angegliedert werden.
Die großen Umsiedlungen, die der weitere
Braunkohlenabbau vor allem im Kreise Bergheim in absehbarer Zukunft
notwendig machen wird, werden zum allergrößten Teil
ortsweise geschehen, wie es vor Jahren in Neu-Bottenbroich war, und
wie es zur Zeit in Berrenrath beispielhaft durchgeführt wird.
Die Vorplanungen dieser Umsiedlungen sind der Knappheit des
Ansiedlungsraumes wegen nicht immer leicht und bedürfen bei
allen, die irgendwie damit zu tun haben, großer Geduld, da oft
widerstreitendste Interessen in Einklang gebracht werden müssen.
Der Braunkohlenausschuß
Um die Lösung aller dieser genannten und ungenannten
Probleme wird seit Jahr und Tag bis in die Landesministerien hinauf
gerungen. Das 1950 erlassene Braunkohlengesetzt macht es dem unter
Vorsitz des Kölner Regierungspräsidenten geschaffenen
Braunkohlenauschuß zur Aufgabe, in engster Zusammenarbeit mit
allen interessierten Stellen der Kommunen, der Wirtschaft und der
Berufsorganisationen die Belange aller Betroffenen in
menschenmöglichen Einklang zu bringen und nicht zuletzt auch
den Absichten der Denkmals-, Natur- und Landschaftspflege im Rahmen
des Möglichen gerecht zu werden. Dabei fallen natürlich
der Landesplanung entscheidende Aufgaben zu. Letzte Entscheidungen
trifft jeweils der Ministerpräsident von NRW.
Auswirkungen
auf das gemeindliche Leben
Kommunale
Interessen
Schwierig wird dieses Problem schon
deshalb, weil vielerorts auch kommunale Interessen hineinspielen.
Keine der zur Verlagerung bestimmten Gemeinden möchte ihre
kommunale Selbständigkeit verlieren. Keine aber möchte
auch zu weit von den Produktionsstätten entfernt angesiedelt
werden, um selbst in den Genuß der steuerlichen Geldquellen zu
kommen, die aus vielen ländlichen Gemeinden im Kreise Bergheim,
wie vorher schon in den benachbarten Landkreisen Köln und
Euskirchen, finanzkräftige Industriegemeinden haben werden
lassen. Der gerade in den letzten Jahren immer stärker werdende
Gegensatz zwischen den Industriegemeinden des Erftkreises, die
mächtig in der Aufwärtsentwicklung begriffen sind, und den
zurückbleibenden ländlichen Gemeinden, die an den
gewaltigen Steuergeldern der Braunkohle nur durch die
Gewerbeausgleichszuschüsse, um deren Höhe es schon heiße
Kämpfe gegeben hat, beteiligt sind, spiegelt sich häufig
genug in den kommunalpolitischen Auseinandersetzungen der einzelnen
Ämter und vor allem auch des Kreistages. Bei Entscheidungen, in
denen diese Gegensätze zum Ausdruck kommen, ist meist nicht die
parteipolitische, sondern die Zugehörigkeit der Abgeordneten zu
einer Industrie- oder zur Landgemeinde ausschlaggebend.
Verständliche Rivalitäten
Diese sich entzündenden Rivalitäten zwischen
Industrie- und Landgemeinden, bei denen natürlich auch der Neid
eine Rolle spielt, sind durchaus verständlich, zumal kein
Zweifel darüber besteht, welche Gemeinden des Erftkreises auf
lange Zeit hinaus - vielleicht sogar für immer - mit einem
mageren Haushalt auskommen müssen, und welche Gemeinden im Zuge
des fortschreitenden Baggers mehr und mehr volle Kassen erhalten.
Viele haben noch Chancen
Während
zum Beispiel bisher unter anderem die Großgemeinde Türnich
ihrer erhebliche Steuerquellen wegen als eine der wohlfundiertesten
galt - wie einst auch Brühl oder Liblar -, wird sie, je mehr
sich der Braunkohlenabbau in nordwestlicher Richtung bewegt, mit
einem stetig geringer werdenden Haushaltsvolumen zu rechnen haben.
Bisher ebenfalls schon gut dotierte Industriegemeinden, wie
Niederaußem, Oberaußem und Quadrath, werden durch die
Entwicklung des Großtagebaues Fortuna vorerst solche Sorgen
nicht haben, im Gegenteil, ihre Finanzkraft wird noch weiter
anwachsen, so daß auch ihrer sonstigen allgemeinen Entwicklung
noch große Chancen bevorstehen. Wieder andere Gemeinden, die
bislang noch zu den armen Landgemeinden zählten, wie zum
Beispiel Mödrath, Morken und Epprath, fangen durch das
Näherrücken des Baggers langsam an, aufzuatmen, da sie
sich plötzlich in die Lage versetzt sehen, in der bestimmten
Erwartung künftiger neuer Geldquellen großzügiger
planen zu können. Neben der Kreisstadt Bergheim, die ebenfalls
mehr und mehr in den Abbaubereich gerät, wird vor allem auch
die Schloßstadt Bedburg, die heute schon durchaus wohlfundiert
ist, eine bedeutsame Aufwärtsentwicklung nehmen können, da
der geplante Abbau weit in ihr Gebiet greift.
Bindungen
sprechen mit
Ob die weitere Entwicklung kommunale
Neugliederungen, wie wir sie kürzlich im Nordteil des Kreises
Bergheim durch die beschlossene Bildung von Groß-Kaster
erlebten, mit sich bringen wird, ist noch nicht abzusehen. Daß
aber die eine oder andere der mächtig aufstrebenden
Industriegemeinden Verselbständigungsgelüste hat und
überkommene Amtsbreiche sprengen möchte, hat sich an dem
im vorigen Jahre in Niederaußem laut werdenden Wunsch gezeigt,
die Bindung an das Amt Bergheim zu lösen. Über die
Berechtigung derartiger Wünsche läßt sich streiten.
Man kann sie aber auch zu den vielen Beweisen für das
bodenständige Eigenleben der Ortschaften und Gemeinden im
Erftgebiet rechnen, das wir oben schon einmal anklingen ließen.
Nachfolgeindustrie fehlt
Nicht alle Probleme, die im Bereich des Reviers anstehen,
können angerührt werden. Eines sei aber noch angedeutet:
Dort, wo der Kohlenabbau langsam zu Ende geht, also im Südteil
des Reviers, muß, soweit das noch nicht geschehen ist, für
Nachfolgeindustrien gesorgt werden. Daß man sich darum bemüht,
mittlere und kleine Industriezweige heranzuziehen, um dereinst
einmal freiwerdende Arbeitskräfte, die dem Bagger nicht folgen,
unterzubringen, wird in den verantwortlichen Gemeindegremien, vor
allem auch im Süden des Kreises Bergheim immer wieder offenbar.
Ein gleiches Bestreben herrscht natürlich auch bei all den
Gemeinden, die nicht unmittelbar im Bereich der Braunkohle liegen.
Grund dafür ist in manchen Fällen weniger eine
akute Sorge, denn über Arbeitsmangen braucht man im Erftkreis
seit Jahren nicht zu klagen. Im Gegenteil, in normalen Monaten
mangelt es allenthalben an Arbeitskräften, obgleich der Bedarf
der Braunkohle trotz der großen Aufschließungen kaum
größer wird, da im modernen Tieftagebau der Einsatz von
Menschen eher geringer als größer wird. Der Riesenbagger
zum Beispiel, den wir eingangs erwähnten, und der eine
Tagesleistung von 100.000 Kubikmeter hat, bedarf zu seiner Bedienung
nur mehr einer Handvoll Menschen. Ein moderner Tieftagebau wirkt
fast menschenleer.
Allein schon um mancher Industrie die
Ansiedlung in dem so problemreichen Braunkohlerevier schmackhaft zu
machen, wäre es dringend notwendig, daß die strittigen
Fragen, die vor allem auch um die Grundwasserabsenkung entstanden
sind, recht bald gelöst würden. Dazu gehört auch, daß
das schon seit längerem in Düsseldorf vorliegende Gesetz
über den Großen Erftverband in nicht allzuferner Zukunft
zum Zuge kommt.
Dr. Franz Lothar Uckermann
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