Kölnische
	Rundschau vom 19. Januar 1950 
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	Das
	Martinswerk bei Kenten 
	
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	Bauxit als Rohstoff zu
	Aluminiumerzeugung - Vorbildliche Sozialeinrichtungen - Produktion
	für friedlichen Aufbau 
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	Martinswerk: Eine kleine
	Haltestelle der Bundesbahn an der Hauptverkehrsstraße Köln
	- Jülich - Aachen, am Rande eines Großindustrie-Unternehmens,
	dessen Bedeutung für die Wirtschaft der engeren und weiteren
	Heimat nur den wenigsten bekannt ist. Feiner, roter Staub überzieht
	die Landschaft, Seilbahnwagen rollen am laufenden Band und Schlote
	rauchen, doch dem Reisenden oder dem im PKW Vorübereilenden
	bleibt die Produktion dieses Unternehmens ein Geheimnis; eine
	umfangreiche, saubere Werkssiedlung verrät nur, daß hier
	neuzeitlicher Unternehmergeist mit sozialem Verständnis Hand in
	Hand geht. 
	
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Das
	Martinswerk im Jahre 1939 
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	Wir baten unsern Mitarbeiter, einmal
	das Geheimnis dieses Werkes für unsere Leser zu lüften und
	uns von der Produktion des Werkes, seinen sozialen Einrichtungen und
	seiner Wirtschaftslage zu erzählen. Mit offenen Augen und
	gespitztem Bleistift besuchte er den leitenden Direktor des Werkes
	und berichtet uns: 
	
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	Das Martinswerk bei Kenten dient der
	Herstellung von kalzinierter Tonerde (Aluminiumoxid), die als solche
	in der Natur nicht vorkommt und daher auf chemisch-technischem Weg
	gewonnen werden muß. Grundstoff der kalzinierten Tonerde, die
	wiederum der Herstellung von Aluminium dient, ist Bauxit, das in der
	Hauptsache aus dem Auslande eingeführt werden muß. Doch
	davon später. Man wird zuerst fragen warum und weshalb wohl
	gerade dieser Standort für das Werk gewählt wurde. Zur
	Wahl standen 1913 zwei Möglichkeiten, entweder das Werk in
	unmittelbarer Nähe des Rheinstromes zu errichten, wo der
	ausländische Rohstoff und die Erzeugnisse auf dem viel
	billigeren Wasserwege hätten befördert werden können
	und damit Umschlag und Bahnfracht zu ersparen, oder in unmittelbare
	Nachbarschaft der Braunkohle zu gehen. Schließlich fiel die
	Wahl auf Kenten bei Bergheim an der Erft. Ausschlaggebend hierfür
	waren langfristige Verträge mit der in der nächsten Nähe
	liegenden Braunkohlengrube, welche die für die Fabrikation
	erforderlichen sehr großen Braunkohlenmengen sicherten. 
	
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	Der Grundstein des Werkes 
	
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	wurde im Frühjahr 1914 gelegt,
	zu einer Zeit, in der man von der drohenden Gefahr des ersten
	Weltkrieges noch nichts ahnte. Der Ausbruch des Weltkrieges führte
	zu einer kurzen Unterbrechung der Bauarbeiten, jedoch gelang es bis
	zum Jahre 1916, das Werk soweit fertigzustellen, daß mit der
	Produktion begonnen werden konnte, welche die Herstellung von
	kalzinierter Tonerde (Aluminiumoxyd) zum Ziele hat. Der Rohstoff
	Bauxit (abgeleitet von dem Namen der südfranzösischen
	Landschaft Les Baux) kommt vor in Südfrankreich, und weitere
	Vorkommen finden wir in Europa an der Adria, in Griechenland, Ungarn
	und Rumänien, in Deutschland auch am Vogelsberg in Oberhessen,
	allerdings nur nesterweise und in schlachter Qualität.
	Anderwärts finden sich Vorkommen vor allem in
	Niederländisch-Guyana, im nördlichen Teil Südamerikas
	und Niederländisch-Ostindien. Das Werk war mit seiner
	Einrichtung ursprünglich auf die Verarbeitung von französischem
	Bauxit eingestellt. Der erste Weltkrieg hätte beinahe ernste
	Schwierigkeiten bereiten können, wenn es nicht gelungen wäre,
	Bezugsmöglichkeiten in Ungarn und Istrien zu finden. 
	
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	Der Rohstoff Bauxit enthält
	außer rund 55 % Tonerde an größeren Beimengungen
	noch Eisenoxyd und Siliziumoxyd, die auf chemischem Wege
	ausgeschieden werden müssen. Die umfangreichen Werksanlagen mit
	ihren technischen Einrichtungen lassen erkennen, daß 
	
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	der Fabrikationsgang nicht
	einfach 
	
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	ist. Ein kurzer Einblick in den Gang
	des Verfahrens bestätigt diese Vermutung.
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	Der mit der Eisenbahn vom Rheinhafen
	her anrollende Bauxit wird in Mahlanlagen zu Pulver fein gemahlen,
	damit eine Mischung mit Natronlauge vorgenommen werden kann. Diese
	Mischung gelangt alsdann in Druckbehälter und wird eine gewisse
	Zeit lang unter erhöhtem Druck gekocht. Dabei geht der
	Tonerdegehalt in die Lauge über. Die Trennung der sogenannten
	Aluminatlauge von den anderen Rückständen (Eisen,
	Silizium) wird in Eindickern und Filteranlagen durchgeführt.
	Während die Rückstände (im Volksmund Marmelade
	genannt) auf eine Halde gekippt werden, wo mehrere hunderttausend
	Tonnen lagern, gelangt die Aluminatlauge in Zersetzerbehälter,
	in welchen sich das Aluminiumhydrat absetzt. Damit ist das Verfahren
	noch nicht abgeschlossen; der Weg durch den Betrieb führt uns
	an eine Filteranlage, in der das Aluminiumhydrat durch Vakuumfilter
	abgezogen und durch Transportbänder zum Lager gebracht wird.
	Schließlich gelangt das Aluminiumhydrath zu den Drehöfen,
	langsam sich drehenden langen Trommeln, in denen es durch
	selbsterzeugtes Generatorgas
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	bei 1100 bis 1200 Grad Celsius
	kalziniert
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	und zu über 99prozentigem
	Aluminiumoxyd wird.
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	Die an sich gegebene
	Produkionskapazität kann zur Zeit noch nicht einmal mit 20 %
	ausgenutzt werden. Ebenso wie viele andere Werke mußt auch das
	Martinswerk während der Jahre 1935 bis 1939 seine Anlagen stark
	ausbauen. Das Martinswerk hat heute mit gewissen
	Absatzschwierigkeiten zu kämpfen, denn die deutschen
	Aluminiumhütten haben erst sehr spät eine mengenmäßig
	sehr beschränkte Produktionserlaubnis erhalten. Die
	Hauptabnehmerin als Aluminiumhütte ist das in
	Badisch-Rheinfelden gelegene Schwesterwerk. Weitere Abnehmer sind
	zahlreiche Betriebe der chemischen Industrie
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	Neben der
	Aluminiummetall-Herstellung findet die kalzinierte Tonerde bzw. das
	Tonerdehydrat Verwendung für die Herstellung von künstlichem
	Korund für die Schleifscheibenfabrikation, von Putz- und
	Poliermitteln, welche jede Hausfrau kennt, von schwefelsaurer
	Tonerde für die Zellstoff- und Papierindustrie. Auch für
	das Aluminiummetall gibt es 
	
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	die vielseitigsten friedlichen
	Verwendungsmöglichkeiten:
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	z.B. für Starkstromkabel, wo es
	das Kupfer ersetzt, ferner überall im Fahrzeugbau, wo es auf
	leichtes Gewicht ankommt: für Fahrräder, Kraftfahrzeuge,
	kleinere Schiffe, Leichtwaggons der Eisenbahn, weiterhin für
	Armaturen, Werkzeuge, Beschläge, haustüren, Fensterrahmen
	und andere Konstruktionsteile, ganze Häuser oder Hausdächer,
	schließlich für Haushaltungs- und Küchengerät,
	Staubsauger, Milchkannen und Kochtöpfe aller Art. Ganz fein
	gewalzt bietet Aluminium als Folie ideale Verpackungsmöglichkeiten
	für Lebensmittel, z.B. Butter, Käse, Schokolade und andere
	Süßwaren und für Zigaretten. 
	
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	Auch die Rückstände dienen
	noch wirtschaftlichen Zwecken z.B. werden sie in der
	Dachziegelindustrie zum Ton hinzugesetzt, um den Dachziegeln eine
	schöne rote Farbe zu geben; nach besonderer Behandlung finden
	die Rückstände ferner Verwendung als Eisenerz für
	Hochöfen und als Eisenoxydrot, einem Farbstoff für die
	Herstellung von Anstrichfarben. 
	
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	Besondere Erwähnung verdienen
	die sozialen Einrichtungen des Martinswerkes sowie die soziale
	Betreuung der und 400 Belegschaftsmitglieder. Ihnen stehen
	vorbildlich eingerichtete Bade- und Duschanlagen, ein Tennisplatz,
	ein Sportplatz, eine Sporthalle und eine behaglich eingerichtete
	Kantine zur Freizeitgestaltung und Erholung zur Verfügung. Der
	Tisch-Tennis-Klub Martinswerk hat sich in kurzer Zeit einen guten
	Namen gemacht. Eine Werksfürsorgerin ist unermüdlich für
	das Wohl und die besonderen Anliegen der Belegschaftsmitglieder
	tätig. Die an der Spitze der im Kreise Bergheim gelegenen 
	
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	vom Werk geschaffenen
	Arbeiter-Altersversorgung
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	leistet bei Berufsunfähigkeit
	neben der gesetzlichen Sozialrente eine zusätzliche Monatsrente
	aus Mitteln der Firma für die Pensionäre und deren Witwen.
	Die für die Altersversorgung jährlich aufzubringenden
	Mittel betragen rund 39.000 DM. Vorbildlich angelegte Wohnsiedlungen
	und zahlreiche Einzelhäuser in erster Linie für
	Werksangehörige (darunter viele Ostvertriebene bestimmt, tragen
	dazu bei, die Wohnungsnot zu lindern. Nach der Währungsreform
	hat das Werk in vier Neubauten, drei wieder aufgebauten
	Trümmerhäusern und durch Um- bzw. Anbauten insgesamt 51
	Wohnungen mit 124 Räumen neu geschaffen, darunter ganz moderne
	Zweizimmerwohnungen mit Bad in abgeschlossenen Etagen. Es wurden
	ungeachtet der wirtschaftlich sehr schwierigen Verhältnisse
	rund 400.000 DM für diese Zwecke und sonstige
	Instandsetzungsarbeiten an Wohnbauten aufgewendet.
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Wohnsiedlung - 
	
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	Während der Hungerjahre nach
	dem Kriege konnte die Werksleitung dank der Hilfsbereitschaft von
	Schweizer Freunden den Werksangehörigen allmonatlich
	hochwertige Lebensmittel in solchem Ausmaß kostenlos zur
	Verfügung stellen, daß die Versorgung der Belegschaft
	dadurch wesentlich verbessert wurde.
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	Anschließend muß
	festgestellt werden, daß sich das Martinswerk durch seine
	soziale Einstellung gegenüber der Arbeitnehmerschaft mit an die
	Spitze der im Kreise Bergheim gelegenen Großbetriebe gestellt
	hat. Es bleibt nur noch zu wünschen übrig, daß der
	Betrieb die Kapazität des Jahres 1939 wieder erreichen mögen,
	jedoch nicht im Rahmen eines Rüstungsprogramms, sondern zum
	Segen unserer Friedenswirtschaft. 
	
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