Kölnische Rundschau vom 14. November 1947

Und sie fährt doch ... !

Schwierigkeiten und Erfolge der Reichsbahn - Gefährliches Personalproblem

Köln - Seit einer Stunde wandere ich wartend mit hochgeschlagenen Kragen auf dem ungedeckten Bahnsteig, über den kalten Regen jagt. Neben mir schimpft jemand auf den lauen Reichsbahnbetrieb und ich unterstütze ihn dabei. Ein bisher Unbekannter mischt sich ins Gespräch, sagt, er sei selbst von der Reichsbahn und kenne die Zusammenhänge.

„Wir erlitten während des Krieges Schäden von 1500 Millionen Friedensmark. Bisher wurden 2700 Kilometer Gleisanlagen, 2100 Brücken endgültig oder behelfsmäßig wiederhergestellt, 1350 Stellwerke und 270.000 Kilometer Fernmeldeleitungen. Von den 4800 Lokomotiven, die wir in diesem Winter benötigen, sind 4000 erneut einsatzbereit. Für das kommende Jahr haben wir die Reparatur weiterer 1250 Maschinen, 25.000 Güter- und 2300 Personenwagen vorgesehen. Bisher wurden schon 29.643 beschädigte Waggons aufgearbeitet. Dabei bedeutet jede Reparatur eine Meisterleistung der Improvisation, und unser Grundsatz dabei heißt: Erst Wiederherstellung der Sicherheit, dann der Bequemlichkeit. Trotzdem liefen in diesem Jahre 20.000 Waggons weniger als im Vorjahr.

Zusammenbruch blieb aus

Wissen Sie, daß wir dabei einen Personenverkehr bewältigen, der den des Jahres 1936 dreimal überstieg? Sie kennen doch selbst die Hungerzüge ins Ruhrgebiet, in denen täglich 800 bis 1000 Zentner Kartoffeln gezählt wurden. Früher brauchten wir dazu bei ordentlicher Verteilung nur 2 bis 3 Waggons. Im Januar 1946 fuhren die Züge des zivilen Verkehrs 4,5 Millionen Kilometer, im September schon 9 Millionen, und im Oktober verließen das Ruhrgebiet 81 Güterzüge mehr als im Februar. Wir fuhren die Kartoffel-, Rüben- und Getreideernte planmäßig ab, und nur in der Kohleversorgung traten gewisse Stockungen auf. Der erwartete Zusammenbruch des Transportwesens trat jedenfalls an keiner Stelle ein.

Ausblick und Schwierigkeiten

„Werden wir dann wenigstens auf eine Entlastung des Winterverkehrs hoffen können?“ Wohl kaum. Der Ausfall aller Wasserstraßen als Transportwege wird die Reichsbahn den ganzen Winter über belasten. Die gekürzten Stromkontingente für den elektrischen Bahnbetrieb machen es notwendig, Lokomotiven und Kohle nach Bayern abzuzweigen. Trotzdem verfügen wir im kommenden Winter über einen 24tägigen Kohlevorrat gegenüber einem 7tägigen im vergangenen. 20.000 Facharbeiter fehlen für die dringendsten Reparaturen an Loks und Wagen, es fehlt an allen Rohmaterialien, wenn auch die Versorgung sich langsam bessert und wir uns mit dem Abbau weniger wichtiger Anlagen behelfen. Eine kleine Abhilfe bringen die Reparaturen, die fünf belgische und die tschechischen Tatra-Werke für uns ausführen.

Das Problem des Menschen

Und trotzdem klappt unser Betrieb noch den Schwierigkeiten entsprechend gut. Das haben sie alle der Arbeitsfreudigkeit unserer Eisenbahner zu verdanken. Aber unzureichende Ernährung und Bekleidung, täglich wachsende Arbeit bei offensichtlicher Benachteiligung gegenüber anderen Berufsgruppen, all das lockt heute keine Arbeitskräfte mehr zur Reichsbahn. Der Mangel an arbeitswilligem Personal wird täglich fühlbarer. Vielleicht haben wir eines Tages wieder genügend Lokomotiven, Wagen und leistungsfähige Bahnanlagen, aber der Eisenbahner wird nicht mehr arbeiten und die Räder zum Rollen bringen können. Schnelle Hilfe ist erforderlich, wenn der Wiederaufbau der Reichsbahn nicht sinnlos werden soll.“

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