130.000 Bergarbeiter fehlen, 130.000 Händepaare, die das tägliche Defizit von 130.000 Tonnen Kohle zutage fördern können, das heute unsere Wirtschaft, unsere ganze Existenz bedroht. Wie schwer die Krise ist, was alles ins Stocken kommt und stehen bleibt, wenn wir die Kohlenlücke nicht füllen, nicht schnell füllen, das haben mir jetzt auf meiner reise durch das Ruhrgebiet die führenden Männer der Kohle, des Eisens und der Elektrizität in nicht mißzuverstehenden Worten und Zahlen gesagt.
Sie haben mir auch von anderen Schwierigkeiten berichtet, von Stillegungen, Demontagen für Reparationszwecke, von Ernährungs- und Wohnproblemen, Schwierigkeiten, die sie mit den Behörden auszufechten haben. Aber immer wieder tauchte in unseren Gesprächen jene verhängnisvolle Zahl auf, die 130.000 Bergleute, die in den Bergwerken fehlen und die ein tödliches Defizit der Wirtschaft bilden, das automatisch größer wird, je länger sie fehlen.
Dr. Reusch von der Gute-Hoffnungs-Hütte in Oberhausen erklärte mir das in ein paar Worten: So wie wir jetzt arbeiten, sagte er, arbeiten wir völlig unrentabel. Wir fördern so wenig, daß unser Selbstverbrauch über ein Sechstel unserer Förderung wegfrißt. Der Selbstverbrauch, also Kohlen, die wir auf den zechen selbst verbrauchen, ist ein ziemlicher konstanter Faktor. Das sind bei uns rund 30.000 Tonnen, ganz gleich, ob wir 300-, 300- oder 400.000 Tonnen fördern. Wir fördern aber jetzt nur 170.000 Tonnen täglich. Sie können sich also vorstellen, wie unrentabel wir arbeiten. Hätten wir 130.000 Bergarbeiter mehr, dann könnten wir 300.000 Tonnen täglich fördern, das heißt, unser Selbstverbrauch würde von rund 16 auf rund 10 v.H. herunterrutschen. Und 430.000 Bergleute brauchen wir heute, um auf diese Zahl zu kommen, denn bei den heutigen Gesundheits- und Ernährungsverhältnissen kann man auf jeden nur 1 bis 1,2 Tonnen tägliche Arbeitsleistung rechnen. Früher waren es einmal zwei Tonnen je Kopf.
Daß das Wort Zusammenbruch keine bloße Redensart ist, bewies mir ein paar Stunden später Dr. Salewski von der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie Düsseldorf. Wir können nicht einmal die von den Alliierten zugestandene Stahlquote erfüllen, sagte er. 5,8 Millionen Tonnen Rohstahl dürfen wir herstellen, aber so, wie wir jetzt arbeiten, kommen wir nur auf 2,5 Millionen, also nicht einmal die Hälfte. Das Schlimmste ist, so sagte Dr. Salewski, daß wir nicht einmal die Werke, die uns zur Verfügung stehen, voll ausnutzen können. Überall fehlt Kohle, der Brennstoff wird uns eingeschränkt, der Strom wird uns abgeschaltet. Die Werke arbeiten auf halben Touren, manche müssen ganz zumachen.
Die nach dem Zusammenbruch unter ungeheuern Anstrengungen wieder angekurbelte Wirtschaft ist in Gefahr, wieder auseinanderzubröckeln, weil ihr das Lebenselixier versiecht, die Kohle. Das bestätigte auch Dr. Schult, der Direktor der Steinkohlenelektrizitäts-A.G. im ausgebombten Essen. Die Lage der Kraftwirtschaft ist ernst, sagte er. Die Werke arbeiten mit ihren ganzen verfügbaren Leistungen bis zum Letzten, ohne daß die geringste Reserve vorhanden ist. Aber auch die gutarbeitenden Kraftwerke haben Stromschwankungen. Es kommt nicht genug Kohle heran.
100.000 Tonnen Produktionsausfall aus Kohlenmangel allein in der Stahlindustrie bedeuten Arbeitslosigkeit für 10.000 Arbeiter in den verarbeitenden Industrien, bedeuten weitere Einschränkung in der ganzen Wirtschaft.
Wen treffen sie? Die Arbeiter und Angestellten, schlecht gekleidete Menschen, die in dürftigsten Wohnverhältnissen leben und heute bereits zum Teil nicht mehr in der Lage sind, sich die wenigen Lebensmittel zu kaufen, die ihnen zustehen. Ihre Kriegsersparnisse sind aufgebraucht. Gekürzte Arbeitszeit heißt weniger Lohn, Teilstillegung, in den meisten Fällen Arbeitslosigkeit.
Wer hilft ihnen? 130.000 Bergarbeiter müssen die Lücke schließen und 130.000 Tonnen mehr Kohle fördern.
Zu vorstehendem Bericht des Sonderkorrespondenten des dpd ist der Hinweis darauf nicht überflüssig, daß sich unter den deutschen Kriegsgefangenen viele Tausende befinden, die bereit und fähig wären, in deutschen Bergwerken zu arbeiten. Wann werden sie freigegeben?