Aus: An Erft und Gilbach - Beilage der Kölnischen Rundschau 14. April 1950






Die Glocken von Kerpen

von Philipp Schneider (Kerpen)

Der massige und doch infolge seiner bedeutenden Höhe so schlank wirkende Turm der ehrwürdigen Stiftskirche der Kolpingstadt Kerpen, der in seiner ganzen Wucht und Größe die Zerstörung des übrigen Baues überdauerte, und auch dem zu errichtenden neuen Gotteshause seinen Dienst leisten wird, beherbergt heute ein Geläute von drei harmonisch zueinander abgestimmten Glocken. Ein vierte ist ein Opfer des ersten Weltkrieges geworden und mußte, statt ihrer Bestimmung nach dem Frieden zu dienen, ihr Metall zu Mordwerkzeugen des Krieges hergeben. Zweien ihrer Gefährtinnen wäre im jüngsten Kriege fast ein gleiches Schicksal beschieden gewesen; doch bewahrte sie ein besseres Geschick vor Zerschlagung und Umschmelzung. Groß war die Freude der Kerpener Pfarreingesessenen, als am 1. Oktober 1947 deren eherne Leiber aus der Sammelstelle Hamburg wieder in die Mauern der Stadt heimkehrten und bald danach ihren alten Sitz in der weiten Glockenstube des Turmes erhielten, um dann am 25. Oktober wieder ihren frommen Dienst aufzunehmen. (Unsere Zeichnung zeigt die mittlere der drei, die wahrhaft edelgeformte Sankt-Martins-Glocke, in ihrem mächtigen Balkenstuhlwerk mit elektrischer Läutevorrichtung.)

Hier möge einiges Historische über den alten Glockensatz folgen: Die Vertreter des damaligen Kerpener Kollgiatstiftes waren im Verein mit den Kirchmeistern der „Nachbarn“ d.i. der Pfarrgemeinde, die beide gemeinschaftlich den Kirchenraum benutzten, übereingekommen, die drei bedenklich verstimmten Glocken ihres Gotteshauses in den Sommermonaten des Jahres 1770 völlig um- und neuzugießen. Von diesen Glocken wog die größte 2353, die mittlere 726 und kleine 391 ½
Pfund. Es mag ein eigenes Schauspiel gewesen sein, als die drei von der Patina mehrere Jahrhunderte Überzogenen, dann und wann mit leisem Klageton, an der Außenseite des Turmes langsam in die Tiefe glitten. Damals war der Meister Martin Legros aus Malmedy als vortrefflicher Glockengießer berühmt. Er erhielt den Auftrag, aus dem Metall der alten Glocken vermehrt um Bredbacher Kupfer für 1140 Reichstaler 43 Albus und Englisch Zinn für 228 Reichstaler 43 Albus 8 Heller, vier neue Glocken zu gießen, deren Einzelgewicht auf 2500, 1750, 1250 und 950 Pfund festgesetzt wurde. Mündlicher Überlieferung nach soll der Guß auf dem in der „Immunität“ des Kapitels gelegenen Stiftsplatz stattgefunden haben. Aus Schillers „Lied von der Glocke“ kennen wir ja die Technik eines solchen Gusses, der dann im Laufe des Monats August damit endete, daß die drei größeren Glocken in Form und Klang nach Wunsch geraten waren, die vierte aber mißtönig war. Sie wurde sofort danach umgegossen und stimmt dann tonrein in das neue Geläute ein. Als Gewicht hatte sich ergeben: 2669, 1922, 1352 ½ und 1082 ½ Pfund. Alte Kerpener wußten zu berichten, daß wohlhabende Bürger und besonders die reichbepfründeten Stiftsherren eifrig Silbertaler in das brodelnde Glockengut geworfen hätten, wodurch dann wohl das Mehrgewicht der neuen Glocken gegenüber dem Voranschlag gekommen sein mag.



Die St.-Martins-Glocke in Kerpen
Zeichnung von Herm. Jos. Baum, Kerpen
Auch der Turm erfuhr eine Erneuerung in seinem oberen Teil, indem man einen neuen Glockenstuhl aus dem noch heute rühmlich bekannten Eichenholz des Gemeindewaldes, dem „Parrig“, zimmerte. Die Gesamtkosten an Barauslagen für diesen Glockenguß und die Zimmerarbeiten betrugen 2256 Reichstaler 34 Albus 12 Heller. Stiftskapitel und Nachbarschaft einigten sich nach langen Mißhelligkeiten auf die Zahlung der Kosten je zur „Halbscheid“, wobei die Großzügigkeit der Pfarre bemerkenswert ist, zu deren Gottesdiensten nur mit einer Glocke geläutet wurde, während zum Kanonikalgottesdienst alle Glocken luden.

Auf wessen Namen und zu wessen Ehren die Glocken getauft wurden, geht aus ihren Inschriften hervor:

1. Die größte: „regnante theresIa Chara brabantVM DVCe obLate est honorI beatae VirgInIs.“ - Martinus Malmudariensis me fecit. - (Übersetzt:) „Unter der Regierung Theresias, der geliebten Herzogin von Brabant, wurde sie - die Glocke - zur Ehre der seligen Jungfrau Maria geweiht.“ Martin Legros aus Melmedy stellte mich her. (Am Mantel befindet sich ein Kreuz und ein Bild der Gottesmutter.)

2. Die mittlere: „sanCto MartIno tVteLari patrono ClerI aC popVLI CarpensIs CoLLato aere fVsa.“ - martinus Legros me fecit. - (Übersetzt:) „Dem hl. Martin, dem Schutzpatron der Geistlichkeit und der Bevölkerung von Kerpen (bin ich) aus Glockengut, das gesammelt wurde, geweiht.“ Martin Legros stellte mich her. (Mit Bild des hl. Martin als Bischof.)

3. Die kleinere: „beato hVberto hVIatIs LoCI patronoseCVnDarIo noMInata.“ (Übersetzt:) Nach dem hl. Hubert, dem zweiten Schutzpatron dieses Ortes, bin ich genannt.

Wenn man die in den Weihe-Inschriften mit Großbuchstaben bezeichneten römischen Zahlen zusammenzählt, erhält man jedesmal die Jahreszahl 1770.

Leider war aus den Quellen nicht einwandfrei zu ermitteln, ob die am 25. September 1917 entführte Glocke eine Inschrift trug und welches Gewicht sie gehabt hatte.

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