Kölnische
Rundschau vom 14. April 1950-
-
Die Bedeutung
des neuen Braunkohlegesetzes
-
-
Für die Bewohner des
rheinischen Braunkohlengebietes wurde eine Entscheidung von
historischer Tragweite getroffen
-
-
WD Köln. Der Landtag
verabschiedete am Donnerstag in dritter Lesung das
Braunkohlengesetz. Noch in letzter Stunde, bevor das
Braunkohlengesetz in dritter Lesung im Düsseldorfer Landtag
beraten wurde, versuchte der Braunkohlenbergbau Stimmung gengen den
Gesetzentwurf zu machen. Die von ihm vorgetragenen, zum Teil bereits
von früher her bekannten Argumente vermochten das
Abstimmungsergebnis des Landtages nicht zu beeinflussen. Das aus
drei Einzelgesetzen bestehende Ganze wurde mit starken Mehrheiten
angenommen.
-
-
Damit ist für alle im
Plangebiet der rheinischen Braunkohle ansässigen Menschen eine
Entscheidung von historischer Tragweite getroffen. Ein
Vierteljahrhundert währten die Bemühungen, um zu einem
Ergebnis zu kommen, auf das die Gemeinschaft
-
-
einen berechtigten Anspruch
-
-
erheben konnte - sie waren
vergeblich.
-
-
Das Gesamtgebiet, das zu den
Regierungsbezirken Köln, Aachen und Düsseldorf gehört,
umfaßt 125.100 Hektar. Ausgekohlt sind bisher 7.000 Hektar,
hauptsächlich in der zum Regierungsbezirk Köln gehörenden
Ville. Zehn Landkreise mit 109 Gemeinden und 310.000 Einwohnern
fallen in das vom Gesetz abgegrenzte Plangebiet, davon gehören
flächenmäßig 62,5 vH zu Köln, 24,4 vH zu Aachen
und 13,1 vH zu Düsseldorf, der Einwohnerzahl nach 71,3 vH zu
Köln, 15,2 vH zu Aachen und 13,5 vH zu Düsseldorf.
-
-
In den bereits ausgekohlten 7.000
Hektar liegen zwei größere Ortschaften, und zwar
-
-
Berrenrath und Bottenbroich.
-
-
Berrenrath, das einst 2700 Einwohner
zählte, die aber zum größten Teil noch dort wohnen,
liegt wie eine Insel im Abbaugebiet, bietet also das Bild einer
unzureichenden Lösung, so daß die Umsiedlung bevorsteht.
Bottenbroich, das einst 900 Einwohner hatte, ist bereits in der
Umsiedlung begriffen; die Hälfte des Ortes, an Menschen wie an
Fläche, ist schon betroffen, darunter Kirche und Schule.
-
-
In Abkohlung begriffen sind im
Tagebau weitere rund 7.000 Hektar und man kann rechnen, daß
weitere 5.000 Hektar noch vom Tagebau und Tieftagebau erfaßt
werden.
-
-
Es ist möglich, daß die
Zukunft in beträchtlicher Weise dem Tiefbau gehören wird.
Der
-
-
Versuchsschacht für Tiefbau
-
-
in Morschenich bei Buir, dessen
unterste Sohle ca. 300 Meter tief liegt, hat bereits die ersten
Tonnen Braunkohle gefördert. Es ist damit zu rechnen, daß
das ganze zwischen Erft und Rur liegende Gebiet in ost-westlicher
Richtung, und das ganze zwischen Euskirchen und Bedburg liegende
Gebiet in süd-nördlicher Richtung im Tiefbau oder
Tieftagebau einmal bergmännisch erschlossen wird.
Außer
Berrenrath und Bottenbroich haben bisher nur Einzelgehöfte und
Siedlungen dem Bergbau weichen müssen. In näherer und
weiterer Zukunft, sagen wir
innerhalb der nächsten
25 Jahre,
könnten folgende Orte betroffen werden:
Balkhausen bei Türnich (Kreis Bergheim), Benzelrath, das schon
genannte Berrenrath, Frauweiler, Wiedenfeld und Garsdorf (alle drei
im Kreise Bergheim), Garzweiler und Otzenrath im Kreis Grevenbroich
(Regierungsbezirk Düsseldorf), Morken-Harff (Kreis Bergheim)
und Helbrath bei Eschweiler. Doch ist das weder eine vollständige,
noch eine verbindliche Liste, denn die Gesamtplanung, die das Gesetz
jetzt vorsieht, muß ja noch kommen.
-
An
dieser Stelle (Bottenbroich) standen vor wenigen Wochen noch Kirche
und Schule des Wallfahrtsortes. Das soeben verabschiedete Gesetz
wird für die Zukunft verhindern, daß ganze Dörfer
Hals über Kopf vor dem vorrückenden Bagger geräumt
werden müssen.
Foto: Lambertin
Wer immer
sich diese Zahlen und Perspektiven vor Augen hält, der kann,
wenn er ehrlich ist, nicht leugnen, daß es hier um Dinge geht,
die
das ganze rheinische Volk angehen
und die
nicht von Fall zu Fall, sondern von Gesetz wegen zu entscheiden
sind. Dadurch, daß der Initiator des Braunkohlengesetzes, der
Kölner Regierungspräsident Dr. Warsch, sich in aller
Öffentlichkeit auf diese Erkenntnis stützte, gewann er die
Basis, die ihn befähigte, trotz erheblicher offener und
heimlicher Widerstände die Generallinie seines Entwurfs
innezuhalten und ihr zum parlamentarischen Siege zu
verhelfen.
Wieviel Geduld, taktisches Verhandlungsvermögen
und Nervenkraft eingesetzt werden mußte, um die verschiedenen
Anschauungen und Interessen
auf einen Nenner zu bringen,
läßt sich auch für den Außenstehenden
leicht daran ermessen, daß noch kurz vor der dritten Lesung im
Landtag einseitig interessierte Querschüsse das Gesetz zu
torpedieren versuchten. Der ebenso zähen wie geschmeidigen,
aber immer zielbewußten Arbeit von Dr. Warsch, der zum
Staatskommissar für das Braunkohlengesetzt ernannt wurde,
sanden die Abgeordneten des Braunkohlenreviers Lenz, Albers, Even
und Hansen umsichtig zur Seite.
Als Dr. Warsch in seiner
Antrittsrede als Regierungspräsident im März 1947 im Saal
der Schwerthoflichtspiele zu Köln zum erstenmal den Plan eines
Braunkohlengesetzes anklingen ließ, konnte er nicht ahnen,
welche Last er damit auf seine Schultern laden würde. Um so
größer ist heute sein persönlicher Erfolg. Und zwar
ein auch über das Braunkohlengebiet hinaus wegweisender Erfolg,
weil er zeigt, wie allzu leicht auseinanderstrebende Faktoren zum
Besten des Ganzen von Staat und Wirtschaft in eine übergeordnete
Gemeinschaft eingegliedert werden können.
-
-
© Copyright
2002 wisoveg.de
Zur
Homepage