Kölnische
Rundschau vom 4.10.1950-
-
Dicke Rüben
haben nicht den höchsten Zuckergehalt
-
-
Vom Acker des Bauern durch die Hand
des Arbeiters in die Küche der Hausfrau - Saatgut ist
entscheidend
-
-
Bergheim. Seit zwei Wochen
beherrscht die Rübenkampagne das Straßenbild des
Erftlandes. Auf allen Wegen und Stegen - auch auf dem Schienenweg -
rollen die Fahrzeuge, hoch mit Zuckerrüben beladen, zu den
Fabriken nach Elsdorf und Bedburg. Die wirtschaftliche Struktur
unseres Kreise, in ihrer engen Verbindung von Landwirtschaft und
Industrie, wird wohl nie so greifbar deutlich, wie in dieser Zeit,
in der das Erntegut unmittelbar vom Acker des Bauern durch die Tore
der Fabrik seinen Weg nimmt zum Fertigprodukt.
Die Bedeutung
des Rübenanbaues für unsere Landwirtschaft zeigt sich in
den steigenden Anbauziffern. Allein in den letzten drei Jahren
entwickelte sich der Anbau, nach erheblichen Steigerungen in den
Jahren zwischen 1930 und 1940, von 4000 Hektar im Jahre 1948 auf
4500 Hektar im vergangenen Jahr. Un in diesem Jahr sind nicht
weniger als 4767 Hektar Zuckerrüben angebaut worden.
Vor
den Toren der Fabriken stauen sich oft die Fahrzeuge. Die Bauern
haben im Frühjahr mit den Fabriken feste Verträge gemacht
und werden entweder nach Rübengewicht oder Zuckergehalt für
ihr Produkt bezahlt. Gleich nachdem die Fahrzeuge die Fabriktore
passiert haben, fahren sie auf die Waage. Aus der Fuhre des Bauern,
der seinen Vertrag auf Zuckergehalt gemacht hat, wird ein großer
Korb Rüben entnommen und mit einer Nummer versehen. Nach kurzer
Zeit schon ist im Buch dann nachzulesen, wieviel Zuckergehalt der
Korb 3 oder 4 hatte. Durch eine einfache chemische Analyse, in der
ausgelaugter Rübensaft mit einer Flüssigkeit versetzt
wird, der dem Ganzen eine bestimmte Farbe gibt, ist an Hand einer
Farbskala der genaue Prozentsatz abzulesen. Der
Durchschnittszuckergehalt liegt
in diesem Jahre besonders
günstig.
Er beträgt durchschnittlich nach
Angaben aus der Elsdorfer Fabrik 15,3 bis 15,4 vH.
Jede der
beiden Fabriken hat ihre eigene Art der Verarbeitung. Sie äußert
sich schon beim Entladen der Fuhren. In Elsdorf fahren die Fahrzeuge
unter einem Wasserstrahl, der mit vier Atmosphären Druck aus
etwa drei Meter herausstrahlt und die Rüben von den Fahrzeugen
unmittelbar in die Schwemme hineinspült. Durch eine
Vorkläranlage werden dem Wasser die ärgsten Schmutzteile
entzogen und durch eine Pumpe wird es wieder zum Turm geleitet, von
dem aus die Fahrzeuge entspült werden. Dieser
Vorgang ist für den Laien, der die Dinge zum ersten Male aus
eigener Anschauung sieht, unwahrscheinlich schnell. Eine
Schwierigkeit entsteht nur bei den Pferdefuhrwerken. Entweder müssen
die Zugtiere abgespannt werden (da sie durch den Wasserstrahl zu
sehr scheuen) oder die Pferdewagen müssen mit der Hand
abgeladen werden.
In Bedburg ist die Anlage moderner, doch
auch nicht ohne Schwierigkeit.
Reibungslos können hier nur
die Anhängerwagen abgeladen werden. Die Wagen werden auf eine
Kippvorrichtung gefahren und durch eine sinnreiche Vorrichtung vorne
gehoben. Die Rüben fallen durch eine Klappe, die sich
gleichzeitig mit dem Hochheben öffnet, in einen Kanal, aus dem
sie mittels eines Förderbandes auf Rübenhalden
transportiert werden. Von dort gelangen sie wieder, je nach Bedarf,
durch einen Kanal
mit Wasserkraft in den Betrieb,
damit aus der Frucht Zucker werde. Doch auch die Bedburger
Entladeeinrichtung wird noch nicht allen Anforderungen gerecht. Die
Kippvorrichtung ist auf einen Achsenabstand von 4,20 m geeicht,
während der Motorwagen eines Lastwagens 4,50 m Achsenabstand
hat. So mußte also auch der Lastwagen mit der Hand abgeladen
werden. Die Unterhaltung mit einem Fachmann zeigte, ein wie großes
Problem den Ingenieuren allein die sach- und fachgerechte Entladung
ist. Im vergangenen Jahr probierte man in Elsdorf eine neue Methode
aus, die aus Holland kommt.
Die Fahrzeuge werden, bevor sie
beladen werden, mit einem netzähnlichen Flechtwerk belegt, daß
bei der Entladung von einem Kran an beiden Enden hochgehoben wird
und so ein ganzes Fahrzeug mit einem Griff entlädt. Aber auch
die Schwierigkeiten, die einer solchen Einrichtung entgegensteht,
sind nicht gering, und die Frage ist, ob der riesige Bedarf und
Verschleiß an solchen Netzen den Aufwand lohnt. Die Bauern
selbst aber wünschen nichts sehnlicher, als daß die
Entladung
so schnell und reibungslos wie möglich
vor
sich geht. In den ersten Tagen der Kampagne sah man beispielsweise
in Bedburg die Anfahrtstraßen auf langen Strecken voller
Rübenfahrzeuge und mancher Bauer, der an einem Tage drei bis
vier Fuhren hätte fahren können, konnte durch diese
Stockung nur ein bis zwei Fahrten durchführen.
Der
Zuckergehalt der Rüben richtet sich natürlich in erster
Linie nach der Gunst oder Ungunst der Witterung. Auch die Frage der
Düngung ist wichtig und nicht die dicksten Rüben haben
auch den meisten Zuckergehalt. Entscheidend aber ist der Samen, aus
dem die Ernte wächst. Die Fabriken haben sich da selbst
eingeschaltet, und ein Bauer, der etwa nach Elsdorf seine Ernte
liefern will, muß auch durch diese Fabrik seinen Samen
beziehen. Der Fachmann aber weiß auch, wie schwer es ist,
nur hochwertiges Saatgut zu beschaffen.
Nach
der Auslaugung unserer Böden durch die düngearme Kriegs-
und Nachkriegszeit ist der Zuckergehalt in diesem Jahr erstmals
wieder günstig. Vergleichsweise waren die Prozentzahlen im
Jahre 1936 15vH, 1937 16 vH, 1938 16,8 vH und 1939 12,13 vH.
Die
Vergrößerung der Anbaufläche und die günstige
Prozentzahl des Zuckergehaltes wird wesentlich dazu beitragen, daß
Zuckerknappheit bald ein unbekanntes Wort
wird.
Die enge Verbindung aller Dinge des Lebens untereinander wird an dem
Beispiel des heimischen Rübenanbaues besonders deutlich. Die
Fabrik liefert den Samen, der Bauer bestellt sein Feld, liefert
seine Ernte wieder zur Fabrik, die den Zucker herstellt. So hat der
Bauer sein Verdienst von schwerer Arbeit, beschäftigt in den
Hauptarbeitszeiten des Rübeneinzelns und der Ernte viele
Gelegenheitsarbeiter, darunter viele Frauen, die durch eigene Arbeit
dem manchmal kärglichen Verdienst ihres Mannes und damit dem
Wohlergehen der Familie etwas aufhelfen können. Die Fabriken
ziehen in der Saison eine große Zahl Arbeitskräfte
an und geben ihnen für einige Monate Arbeit und Brot. Die
Hausfrauen aber, die noch vor ganz kurzer Zeit ihre Einmacharbeit
nach dem beschränkten Vorrat richten mußten, atmen nach
zwei Wochen der Kampagne schon auf: Es gibt wieder Zucker. Und vom
Erftland aus werden auch weite Teile der Bundesrepublik mit dem
süßen Stoff beliefert.
H.K.
© Copyright
2000 wisoveg.de
Zur
Homepage