Dürener
Zeitung vom 7.1.1950-
-
Belgien drängt
auf eine Kanalverbindung zur Ruhr
-
-
Vorbesprechungen zum Bau eines
belgisch-deutschen Wasserweges über Aachen haben begonnen
-
-
In den letzten Zeit überstürzen
sich Meldungen über das Schelde - Aachen - Rhein -
Kanalprojekt. Viele Aachener sehen schon die Schiffe auf dem Kanal
fahren und warten fast täglich darauf, daß nun bald mit
dem Bau begonnen wird. Was steht nun hinter diesen Berichten?
Zunächst die Tatsachen
Im September
vorigen Jahres kamen auf Einladung belgischer Schiffahrtskreise
deutsche und belgische Schiffahrtssachverständige in Antwerpen
zusammen. Dabei wurde u.a. besonders die Wasserstraßenverbindung
zwischen Schelde und Rhein erörtert. Als Grundlage diente ein
von dem belgischen Architekten Collignon 1939 entworfener Plan.
Dieser sah eine Wasserstraße vor, die den Albert-Kanal bei
Visé (km 60) verläßt, in einer Brücke die
Maas überschreitet und dann dem Tal der Berwinne bis Mouland
folgt. Nach Überwindung der ersten Schleuse, die hier gebaut
werden soll, wird der Kanal in das Tal der Voer übergehen, dann
im Süden von Tueven die Wasserscheide überwinden und dem
Tal der Gulpe folgend, endlich in einem Tunnel enden, der auf
deutschem Gebiet in der Nähe von Aachen endet.
Dieser
Plan soll von den deutschen Vertretern beifällig aufgenommen
worden sein. Die belgische Regierung beauftragte dann den
Generalinspekteur Bonnet in 14 Monaten endgültige Pläne
für den Bau einer solchen Wasserstraße vorzulegen. Ob
Bonnet die Gedankengänge Collignons aufnehmen wird, kann man
noch nicht sagen.
Anfang Dezember weilte dann eine
inoffizielle belgische Delegation in Bonn, um mit den
verantwortlichen deutschen Stellen die Weiterführung dieses
Kanalprojektes bis zum Rhein zu beraten. Nach den uns vorliegenden
Informationen sollen Bundeskanzler Dr. Adenauer, Bundesvizekanzler
Blücher und Wirtschaftsminister Erhard für dieses Projekt
interessiert worden sein. Sie sollen zu erkennen gegeben haben, daß
sie den Plan reiflich überlegen und wohlwollend prüfen
wollten.
Die Aufnahme des Projektes im
Bundesverkehrsministerium, das als Fachministerium für die
Planung zuständig ist, war zurückhaltender. Vermutlich
ging man dort von dem Gedanken aus, daß der Güteranteil
im Aachener Gebiet sich nicht wesentlich vergrößern
werde, daher die vielleicht auf dem Wasserwege transportierten Güter
für den Transport auf der Bundesbahn ausfielen und damit der
Kanal unmittelbar eine Schädigung der Bundesbahn darstelle, an
der das Bundesverkehrsministerium größtes Interesse hat.
Außerdem soll darauf hingewiesen worden sein, daß die
deutschen Pläne für die Linienführung des Kanals und
die Berechnung der verschiedenen Trassen zur Zeit nicht greifbar
seien, und man daher in eine nähere Diskussion über den
Aachen - Rhein - Kanal nicht eintreten könne.
Finanzierung
ungeklärt
Ungeklärt ist auch, wie der Kanalbau
finanziert werden soll. Der Präsident der Fedération
maritime in Antwerpen, Prof. Petersen, hat zwar erklärt,
daß voraussichtlich Marshallplangelder für ein solches
Kanalbauprojekt bereitgestellt würden. Irgendwelche Zusagen von
der ECA liegen jedoch noch nicht vor.
Zusammenfassend wäre
hierzu also zu sagen, daß zwar Pläne zum Bau einer
Wasserstraße zwischen Rhein und Schelde über Aachen
diskutiert werden, daß die Pläne aber noch nicht über
das Stadium vorbereitender Überlegungen gekommen sind.
Belgien setzt sich ein
Das Kanalbauprojekt
ist nach dem zweiten Weltkrieg vor allem in Belgien sehr stark
aufgegriffen worden. Mit dem Wachsen des Antwerpener Hafens wuchs
das Bestreben Belgiens, eine direkte Verbindung zwischen Antwerpen,
der Ruhr und Süddeutschland herzustellen. Belgien verfügt
über ein ausgezeichnetes Netz von Wasserstraßen, dem
jedoch der Anschluß an das Rheinstromnetz fehlt. Eine
Wasserstraße zwischen dem Albert-Kanal und dem Rhein würde
dies Verbindung herstellen und damit einen Teil des Schiffsverkehrs
von Rotterdam nach Antwerpen ziehen.
Das Schelde - Rhein -
Projekt wurde in der belgischen Öffentlichkeit um so mehr
gefördert, als die Holländer bisher einen belgischen Plan
abgelehnt haben, zur besseren Verbindung zwischen Antwerpen und der
Rhein-Mündung den sogenannten Moerdijk-Kanal zu bauen. Der
belgische Wunsch nach einer Wasserstraßenverbindung
Albert-Kanal - Rhein soll nach Berichten von belgischen
Gewährsleuten so stark sein, daß Belgien unter gewissen
Bedingungen bereit ist, auch die Finanzierung des Teilstücks
auf deutscher Seite zu übernehmen.
Holland ablehnend
Holland hat sich bisher jedem Projekt einer Schelde - Rhein
- Verbindung gegenüber sehr zurückhaltend, wenn nicht gar
ablehnend verhalten. Der Bau des den Belgiern im Versailler Vertrag
zugebilligten Rhein - Schelde - Kanals, der von Duisburg über
holländisches Gebiet zur Schelde hin geplant war, scheiterte
ständig am holländischen Widerstand. Daß die
Holländer auch dem neuen Projekt nicht gerade freundlich
gegenüberstehen, geht aus dem oben Gesagten hervor.
Auf
deutscher Seite werden die belgischen Pläne mit großem
Interesse und in unserem Aachener Bezirk mit großer
Anteilnahme verfolgt. Neben der Überlegung, die man dem
Verkehrsministerium nachsagt, daß der Bahnverkehr durch den
Rhein - Kanal geschmälert würde, werden die Überlegungen
eine Rolle spielen, ob, wenn Deutschland gezwungen sein würde
Gelder für den Bau herzugeben, eine solche Investition sich
lohnt. Wenn die Finanzierung des Kanals von Belgien sichergestellt
wird, werden amtliche Stellen in Deutschland wohl kaum Widerspruch
gegen den Bau erheben können. Wahrscheinlich wird man
verschiedener Meinung über die Linienführung sein. Vor
allen Dingen wird man sich darüber streiten, wohin die Mündung
dieses Kanals gelegt werden soll. Die Städte Köln und Neuß
haben beide großes Interesse als Mündungshäfen den
Umschlagverkehr an sich zu ziehen. Da Antwerpen aber vor allem Wert
darauf liegt, in enger Verbindung zur Ruhr zu kommen, deuten viele
Anzeichen darauf hin, daß Belgien sich für eine Mündung
nahe Neuß aussprechen wird.
Bei einer ganzen oder
teilweisen Finanzierung des Kanals durch Deutschland werden
wirtschaftliche Überlegungen über die Rentabilität
eines solchen Kanals eine große Rolle spielen. Auch die
deutsch-belgisch-luxemburgische Handelskammer hat sich auf den
Standpunkt gestellt, daß es zunächst nötig sei, sehr
eingehende Berechnungen anzustellen, ehe man sich für oder
gegen ein solches Projekt entscheidet.
Unsere
Karte zeigt die bisher entworfenen Streckenführungen für
einen Verbindungskanal von der Schelde zum Rhein. Die eingezeichnete
belgische Linienführung entspricht dem Projekt, das von dem
belgischen Architekten Colignon 1939 vorgelegt wurde. Auf deutscher
Seite liegen Pläne für Stichkanäle vom Rhein bis nach
Langweiler bei Aachen vor. Die projektierten Linien sind
eingezeichnet. Pläne für das Verbindungsstück -
Langweiler - belgische Grenze - liegen bisher nicht vor.
Für
Aachen besonders wichtig
Für den Aachener
Wirtschaftsraum wäre der Bau eines Rhein - Schelde - Kanals
zweifellos von außerordentlicher Bedeutung. Aachen erhielte
damit eine billige Wasserstraße zum Rhein und nach Antwerpen.
Besonders wichtig wird das für die Aachener Kohlenindustrie
sein, da sie damit frachtmäßig den Ruhrkohlenzechen
gleichgestellt wird. Auch zum schnelleren Ausbau der noch zum Teil
unerschlossenen Braunkohlenfelder wird der Kanal beitragen können.
Wir können heute noch nicht im einzelnen die
wirtschaftlichen Vorteile für das Aachener Wirtschaftsgebiet
übersehen, das bedarf einer eingehenden Prüfung. Die alten
Unterlagen, die zum Teil noch aus den Jahren 1926 bis 1930 stammen,
werden nur noch bedingt herangezogen werden können, da sich die
wirtschaftliche Struktur verändert haben dürfte.
Wir
freuen uns, daß sich - unseren Informationen zufolge - in den
nächsten Wochen schon in Aachen der Aachen - Rhein -
Kanalverein wieder konstituieren wird und hoffen, daß dieser
Verein in weiten Kreisen der Wirtschaft und Bevölkerung ein
seiner Bedeutung entsprechendes Echo finden wird.
Franz
Josef Bach.
© Copyright
2000 wisoveg.de
Zur
Homepage