Zur Geschichte der Euskirchener Tuchfabriken im 20. Jahrhundert


Eine Arbeit der Schülerinnen Bernadette Koch, Charlotte Schwarzer, Michaele Ijewski und Edith Gebauer von der Marienschule Euskirchen im Rahmen eines Geschichtsarbeitskreises von Dr. R. Weitz, Marienschule Euskirchen


Vorbemerkung


Bei einem Rundgang durch die Stadt Euskirchen fallen jedem Beobachter die zahlreichen alten Fabrikgebäude auf, die ehemalige Tuchunternehmen beherbergten und heute meist zweckentfremdet genutzt werden, leerstehen oder verfallen. Es stellt sich damit die Frage nach den Ursachen für den Niedergang der Örtlichen Textilindustrie. In einem ersten Arbeitsschritt wurde die publizierte Literatur auf die Problemstellung hin durchgesehen. Es ging darum, herauszufinden, wo und was zu dem Gegenstand bereits veröffentlicht war. Das ging nicht ohne den Besuch der Präsenzbibliothek der Schule, der Stadt- und Kreisbücherei, der Benutzung von Katalogen und Registern zu den Heimatkalendern und Jahrbüchern. Das Ergebnis enttäuschte aber im Hinblick auf die Fragestellung, da die Industriegeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zwar ausgiebig abgehandelt ist, die letzten Jahrzehnte aber nicht aufgearbeitet sind. Die neueren Daten fehlten. Ein Versuch war nötig, über die Stadt und Kreisverwaltung, die Dachorganisation der gewerblichen Wirtschaft wie die Vereinigten Industrieverbände in Düren und die Industrie- und Handelskammer Bonn statistisches Material zu finden und an Hintergrundwissen zu kommen. Persönliche Kontakte waren erforderlich, bevor bruchstückhaft das unterschiedliche Quellenmaterial einschließlich der statistischen Daten ausgewertet werden konnte. Wir erkannten dabei, daß historisches Arbeiten mit seinen Schwierigkeiten der Stoffbeschaffung nicht ohne die Mithilfe vieler möglich ist. Das gilt insbesondere, wenn -wie in unserem Fall -die wichtigsten Fakten und Erkenntnisse über die Befragung von Augenzeugen und Beteiligten ermittelt wurden. Interviews hatten einen besonderen Stellenwert. Es war ein langer, vielschichtiger Weg mit vielen Überraschungen und Schwierigkeiten, bevor ein Ergebnis vorgelegt werden konnte.



Vermutlich kam die Tuchmacherei von Münstereifel her, dem Lauf der Erft bzw. dem Mühlbach folgend, nach Euskirchen. Eine "Wüllenweberzunft" bestand in Münstereifel, wenn nicht schon früher, mindestens seit 1339. Die ersten Nachrichten über das Tuchmacherhandwerk in Euskirchen enthält ein im Stadtarchiv bewahrtes Heft über eine im Jahre 1677 stattgefundene "Volks- und Viehzählung".

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts herrschte im Textilgewerbe das Handwerk noch vor; aber bereits um 1850 entwickelte sich der Gegensatz zwischen dem Handwerk und der Maschine. Die technisch-maschinelle Entwicklung und die mit 1852 erfolgenden Heereslieferungen ermöglichten einen wirtschaftlichen Aufschwung der Tuchindustrie, die in Euskirchen vor den übrigen Industriezweigen eine dominierende Rolle übernahm. 1891 waren bereits 13 v. H. der Arbeiter auf die Textilindustrie und nur 4 v. H. in anderen industriellen Zweigen beschäftigt.

Durch den ersten Weltkrieg wurde die Produktion der Euskirchener Tuchfabriken gesteigert, so daß man von einer Hochkonjunktur bis 1917 sprechen kann. Es wurden vor allem Militärtuche sowie Tuche für die Marine hergestellt. Infolge der Blockade von 1917 wurden die Rohstoffe knapp, und die Tuchindustrie produzierte "Kunststoffe" aus Reißwolle, Brennesseln und mit nur wenig Wolle gemischte Stoffe. Nach dem Krieg nahm man 1919 langsam mit geringer Belegschaft die Produktion von Loden- und Meltonstoffen wieder auf.


Ruhr-Lückerath - bis heute Wahrer einer alten Tradition


Da jedoch die wirtschaftliche Lage in Deutschland anfangs sehr schwierig war und nicht alle Unternehmer einen Absatzmarkt fanden oder überhaupt Aufträge erhielten, mußten schon 1919 einige Betriebe aufgeben. Von 1919 bis 1925 "wurstelte man sich so durch" (Zitat J. Schiffmann). Durch die Inflation von 1923 verloren diejenigen Unternehmer einen Großteil ihrer Kapitalbasis, die zu spät -in Fremdwährung verkauften. Jedoch wurden zu der Zeit in Euskirchen auch schon wieder Uniformtuche für Bahn, Post und Polizei hergestellt.

1916 hatte man in Berlin das Deutsche Tuchsyndicat gegründet, ein Kartell, das Produktionsquoten zuteilte, den Vertrieb der Ware und die Preisgestaltung übernahm. Jeder mußte nach seiner Webstuhlzahl einen Gründungsbetrag einzahlen und erhielt aufgrund dieser Daten eine Meterzuteilung vom Syndicat. Für den Euskirchener Tuchfabrikanten J. Schiffmann war dieses Syndicat „so gut wie eine Rente".

Die Stadt Euskirchen wurde als Uniformhersteller international bekannt und erhielt Aufträge für die Bahn in Afrika sowie für das griechische und südamerikanische Militär. 1926 verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage der Betriebe, um sich 1927 noch einmal zu verbessern. Gegenüber den 18 Betrieben der Vorkriegszeit hatte die Kriegskonjunktur deren Zahl auf 21 gehoben. Doch 1926 bestanden nur noch 14 Betriebe. In der beginnenden Wirtschaftskrise der Jahre 1929/30 webten viele Euskirchener für eine Aachener Firma. Die Tuchfabrik Schiffmann z. B. vermietete den Teil ihrer Weberei, der ganz auf Wasserkraft eingestellt war, an einen Aufnehmerhersteller .



Schiffmann und Kleinertz - heute Sanitätsdepot der Bundeswehr


Zwischen 1931 und 1933 lagen die meisten Fabriken still. Nach der Machtergreifung Hitlers mußten die Euskirchener Fabriken SA-Tuche und andere Uniformtuche herstellen. Da Geld nach wie vor knapp war, mußte jeder Betrieb bei öffentlichen Aufträgen sogenannte Mefowechsel annehmen, die bei Erlöschen von der Reichsbank diskontiert wurden, wenn die Lieferung abgenommen worden war. Hauptsächlich wurden in Euskirchen feldgraue Militärtuche gefertigt, denen zur Hebung der Schafzucht im Rahmen der damaligen nationalsozialistischen Autarkiebestrebungen 25 bis 30 v. H. deutsche Wolle zugesetzt werden mußte. Das Tuchsyndicat von 1916 wurde in den dreißiger Jahren aufgelöst und war auch nicht mehr notwendig, da der Staat die Verteilung der Aufträge übernahm. 1935 gab es keine Mefowechsel mehr, sondern man zahlte wieder mit Reichsmark.

Bis zum Beginn des Krieges lief die Produktion auf Hochtouren. In den Jahren 1940/41 wurde ein Teil der Betriebe zusammengelegt, weil man einigen Fabriken die Rohstoffzuteilung entzog. 1943/44 lagen 90 v. H. der hiesigen Tuchindustrie still. Einzelne Fabriken waren total kriegszerstört; die meisten hatten große Brand- und Bombenschäden erlitten. Insgesamt war Euskirchen zu 60 v. H. zerstört. Ludwig Beutin (in ,,650 Jahre Stadt Euskirchen", Bd. I., S. 302) schildert den Zustand Euskirchens und der Tuchfabriken nach dem Krieg folgendermaßen: "Die Katastrophe des zweiten Weltkrieges war für die Euskirchener Tuchindustrie eine totale. Als der Krieg zu Land und in der Luft über Euskirchen hinweggegangen war, war die Industrie zu 50 bis 75 v. H., in einigen Fällen zu 100 v. H. vernichtet. Gebäude, Maschinen und Material waren zerschlagen oder ein Raub der Flammen geworden. Geblieben aber waren der Unternehmergeist, das Können und die Erfahrung der Fabrikanten, Ingenieure und Arbeiter und nicht zuletzt der hervorragende Ruf, den Generationen für Euskirchener Erzeugnisse erworben hatten."


B. u. H. Becker - heute Unterkunft des Zivilen Bevölkerungsschutzes


Um nach dem Krieg wieder anfangen zu dürfen, brauchte man eine Erlaubnis der englischen Besatzungsmacht. Die Werke wurden zunächst mit notdürftigen Mitteln in Gang gebracht. Maschinen wurden teils vom eigenen Personal wieder hergestellt, teils in neuen Gebäuden aus neuer Anfertigung aufgestellt.

Diejenigen, die den ersten Wiederaufbau schafften, waren Ruhr-Lückerath, Schiffmann u. Kleinertz, Roevenich, Heimbach, Wolfgarten, J. Schiffmann, Gebr. Kleinertz, Pürschen, B. und H. Becker, Hamecher und Koenen in Kuchenheim. Ruhr-Lückerath hatte den Krieg ohne Schaden überstanden, ähnlich war es bei Wolfgarten. Mit gegenseitiger Hilfe und Unterstützung wurden die einzelnen Betriebe auf einen lebensfähigen Stand gebracht, so daß die Besitzer sich durchschlagen konnten. Nachdem J. Schiffmann z. B. seine Fabrikgebäude wieder soweit hergestellt hatte, mietete er von Ruhr-Lückrath sechs Webstühle. Auch die Gebr. Kleinertz haben zuerst bei Wolfgarten Webstühle geliehen und darauf gearbeitet. "Denn wer Stoff hatte, konnte maggeln, und nur durch Maggeln konnte man am Leben bleiben. ... Neue Maschinen wurden aus alten zusammengesetzt. Man ließ Ersatzteile nach alten Plänen bauen... Ich hatte von Ruhr-Lückerath sechs Webstühle gemietet, und da hab' ich gemaggelt: Damenstrümpfe etc." (Zitat J. Schiffmann).

Ein großes Problem bestand allerdings noch, nämlich die Beschaffung von Rohstoffen, der Mangelware jener Zeit. "Man brauchte ein Permit, um überhaupt arbeiten zu können; das gaben die Engländer aus. ..Wir kriegten sogenannte ,Zuteilungen von Rohstoffen' wie unter Hitler. Dafür mußten wir ins Ruhrgebiet Stoffe für die Arbeiter dort liefern. Die kamen ja auch in Uniform (aus dem Krieg) zurück. Andere arbeiteten für Geistliche." (Zitat J. Schiffmann). So gab es schon in der Anfangsphase Aufträge für Euskirchener Tuchfabriken.

Ebenso lieferten sie in der Anfangszeit der Bundesrepublik teilweise die Tuche für Bahn, Post u. Polizei. Dies waren jedoch Aufträge von beschränkter Dauer. "Doch die Konkurrenz war groß, die Preise infolgedessen sehr unterschiedlich und uninteressant." (Zitat J. Schiffmann). Im Jahre 1949 liefen also die meisten Betriebe wieder sehr gut, da mehr Rohmaterial vorhanden war. Doch die Konkurrenz wurde größer, und weil es nach dem Krieg kein Tuchsyndicat mehr gab, wurde der Kampf ums Überleben immer härter.


Fabrik Roevenich - zuletzt Sanitätsdepot der Bundeswehr


Zu Anfang der fünfziger Jahre (1952/54) wurde die Einfuhr von Tuchen liberalisiert. Im Ausland, vor allem in Italien, konnte billiger produziert werden als in Deutschland, wo die Preise durch steigende Lohnkosten, Sozialversicherung etc. in die Höhe getrieben wurden. "Während wir hier Tariflöhne und Soziallasten hatten, kannten das die Italiener und andere Völker nicht, ja sie hatten Kinderarbeit und viele kleine Wassertriebwerke." (Zitat J. Schiffmann). Zudem waren die Stoffe aus Italien von vergleichbar guter Qualität, nur waren sie billiger. "Wir konnten bei den Preisen nicht mehr mit. ... Preislich haben uns die Italiener kaputtgemacht." (Zitat J .Schiffmann).


Fabrik Wolfgarten - heute ein Elektrokaufhaus


Bei diesen Importen sieht J. Schiffmann noch ein anderes Problem: Die Angebotspalette sei bei den Italienern breiter und modischer gewesen.

Der Import, der zeitweise 50 v. H. der deutschen Produktion noch zusätzlich auf den Markt brachte, der ja schließlich den Hauptabsatzmarkt der deutschen Tuchindustrie darstellte (Auslandsgeschäfte waren mehr oder weniger Episoden), zwang die Unternehmer in den Jahren 1954 bis 1960 zu noch stärkerer Mechanisierung und zum Umstieg auf industrielle Fertigung. Das hieß: mehr Maschinen statt Menschen. Das erforderte Kapital, und außerdem waren diese Maschinen so leistungsfähig, daß sich eine solche Investition erst ab gewisser Betriebsgröße gelohnt hätte. Nicht alle Euskirchener Tuchfabriken erfüllten diese Bedingung. "Die Investition, die Mitte der fünfziger Jahre nötig wurde, hätte das Kapital bzw. die Kapazität der Fabriken überfordert." (Zitat Dr. Zilg). Sie hätten also noch erweitern und größere Betriebseinheiten schaffen müssen. Dr. Zilg: "Das war auch unser (Ruhr-Lückerath) Glück, daß wir von Haus aus größer waren als die anderen. Wir konnten also ohne weiteres die erste und zweite Generation von Hochleistungsmaschinen verdauten. Und das war noch mal wieder eine harte Konkurrenz für alle, die das nicht konnten, und wir haben dadurch überlebt.“

An dieser Entwicklung sind dann viele Betriebe gescheitert. Was sie noch hätte retten können, wäre eine Zusammenlegung gewesen. „Und da hat jemand damals den Vorschlag gemacht, daß sich alle Fabriken zur Euskirchener Tuchfabrik zusammenschließen sollten, aber alle haben abgelehnt. Keiner wollte, daß der andere wieder derjenige war, der den Namen führt. Ein anderer nennt das schlicht den „Individualismus und Liberalismus der Euskirchener Tuchmacher“. „Die Zusammenlegung war“, so Dr. Zilg, „wegen unterschiedlicher Geschäftsauffassung nicht möglich." Ein Zusammenschluß hätte die nötige Betriebsgröße bewirkt und die Beteiligten vielleicht gerettet.

Vielleicht sollte man noch einen weiteren Grund anführen: das Verbot des Syndicats durch das Kartellgesetz. Diese Einrichtung des Syndicats, das zwar unter Hitler abgeschafft, aber durch direkte Staatsaufträge und Zuteilungen ersetzt worden war, hatte das Leben der Euskirchener Tuchfabrikanten lange Zeit gesichert. "Verdient haben sie alle. Wer gut organisiert war, verdiente ein Heidengeld, wer nicht, eben wenig, aber er verdiente. Es war kein Wettbewerb mehr", so Dr. Zilg. "Es war ein Kartell mit dem Staat", so J. Schiffmann.

Nach dem zweiten Weltkrieg mußten sich die Euskirchener mit der neuen Wettbewerbssituation vertraut machen und gleichzeitig die Produktion von Militärtuchen auf Ziviltuche verlegen. Die fehlende Unterstützung des Staates fiel schwer. Aufträge für bundesdeutsche Militärtuche gingen ans Ausland (Israel, Osterreich, Südamerika); der Staat hatte ja sozusagen die Kontrolle über die Einfuhr fallenlassen. J. Schiffmann: "Wir kamen nicht mehr mit, und die Regierung hat nichts unternommen. Im Gegenteil, sie hätte uns ins Leben zurückrufen können wie 1926, indem sie die Aufträge für Bahn, Post etc. sammelte und an uns weitergab. Sie hat es nicht getan."

Weniger einseitig sieht es ein anderer Beteiligter: "Es ist eben eine freie Marktwirtschaft, also kein Protektionismus und keine Subventionen."

Euskirchens Tuchfabriken waren auf Streichgarn spezialisiert. Es ist im Vergleich zum Kammgarn das billigere Tuch. Militärstoffe wurden sehr lange daraus gemacht. Gerade in diesem Tuch war jedoch die Konkurrenz immens. Als dann auch noch der Trend des Verbrauchers in Richtung des teureren Kammgarns ging (Mitte der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre), waren die Probleme ziemlich groß. Gleichzeitig sollte man vielleicht die "stoffsparenden Moden" nicht unterschätzen.

"Nun kam auch noch eine Modeänderung: Die Weste beim Anzug fiel fort, die Damenröcke wurden kürzer. Damen- und Herrenrockstoffe fielen fort, da heute viele in Leder oder einer Reißwolle aus Italien, Rumänien oder der Tschechoslowakei herumlaufen", so J. Schiffmann, für den die "hemmungslose Einfuhr" eine Hauptursache der Euskirchener Fabrikschliessungen zu sein scheint. Die frühen sechziger Jahre brachten große Änderungen in den Bekleidungsgewohnheiten.

Es kamen außerdem neue Chemiestoffe auf den Markt, aus Amerika wurden Blue-Jeans in großen Massen eingeführt. Um dieselbe Zeit begannen auch synthetische Stoffe immer mehr den Markt zu erobern.


Fabrik Schiffmann an der Mühlenstraße


Eine Umstellung von der Tuch- auf die Bekleidungsherstellung war aber auch für die Mehrzahl der Fabriken keine Lösung aus der Krise. Zwar hatte die Firma Koenen fast ganz auf die Konfektion umgeschaltet; das war aber nach Dr. Zilg ein "Unikum", und er leugnet diese Möglichkeit für andere. Der Umstieg auf die Konfektion hätte die Euskirchener also nicht gerettet. Der Großteil der Fabrikanten gab u m 1 960 auf, langsam einer nach dem anderen. Für den ehemaligen Präsidenten der IHK Bonn und noch tätigen Tuchfabrikanten Dr. Zilg liegen die Ursachen für den Niedergang der Euskirchener Textilindustrie in einer "Mischung aus zu hohen Investitions- und Lohnkosten". Die Familienbetriebe in Euskirchen besaßen nicht das nötige Kapital und die Betriebsgröße für die Anschaffung neuer und teurerer Maschinen, und die Löhne stiegen zu schnell. Neben den steigenden Löhnen und Steuerkosten mußten auch Gelder für neue Maschinen vorhanden sein. Für die vielen kleineren und mittleren Betriebe waren die Belastungen einfach zu hoch. Vielleicht hätte ein Zusammenschluß aller Tuchfabriken eine leistungsfähige Industrie entstehen lassen; da dies jedoch nicht geschah, blieb in Euskirchen selbst nur die größte Fabrik Ruhr-Lückerath bis heute konkurrenzfähig und in Euskirchen-Kuchenheim die Bekleidungsfabrik Koenen.

Der ehemalige Euskirchener Tuchfabrikant J. Schiffmann faßte die Voraussetzungen für eine gesunde Tuchindustrie folgendermaßen zusammen: "Sie braucht arme Leute, weiches Wasser und billige Antriebskraft, um nicht vegetieren zu müssen." Anhand dieses Zitats wird deutlich, welche Voraussetzungen es in Euskirchen gab, damit eine intakte Tuchindustrie entstehen konnte.

Heute aber sind arbeitsplatz- und lohnintensive Familienbetriebe, die eine zu geringe Kapitalausstattung für notwendige Investitionen aufweisen, nicht mehr lebensfähig. Im Fall von Euskirchen kam noch ein Unternehmermentalität hinzu, die auf traditionellen Betriebsformen bestand und bei allem großen handwerklichen Können durch die Gewöhnung an öffentliche Aufträge und durch Einrichtungen wie das Tuchsyndikat von 1916 zu wenig Erfahrungen im freien Wettbewerb gesammelt hatte.


Beschäftigungszahlen


Jahr

Betriebe

Beschäftigte

1926


674

1951

54

5160

1953


5779 Textil
3902 Bekleidung

1954/55


5981 Textil
3937 Bekleidung







Produktionsumfang im Bereich der IHK Bonn
(Umsätze in 1000 DM)


1959

80273


1960

87556


1961

80945


1962

78006


1963

83022


1964

82885


1965

88700


1966

91343


1967

76007


1968

73567


1969

77683


1970

87914


1971

114813


1972

113275


1974

121207


1975

137207




Literatur


Literatur bis ca. 1930

H. Beutin, Euskirchener Industrie im 19. u. 20. Jh., in: 650-Jahre-Euskirchen, Bd. 2, 1952/8.287 ff.
H. Küpper, Tuchmacher und ihre Arbeiter, in: Heimatkalender Euskirchen, Jg. 17, 1955
W. Lersch, Rundgang durch die Industrie des Kreises (Eusk.), in: Westdt. Blätter, Jg. 6 ( 1930)
H. Renelt, Die historische Entwicklung der Euskirchener Tuchindustrie bis 1914, Eusk. 1921
H. Zimmermann, Die wirtschaftliche Entwicklung des Kreises Euskirchen im 19. Jh., Diss. Köln 1926
(N. N.), Ruhr-Lückerath, Vereinigte Textilindustrie GmbH, in: Westdt. Blätter, Jg. 6 ( 1930)


Literatur vom Ende des II. Weltkrieges bis heute

KI. Jacobi, Industrie Bilanz verpaßter Chancen, in: Kölnische Rundschau, Nr. 13 vom 16.1.1971
S. Voppel, Die wirtschaftliche Struktur des Kreises Euskirchen, 1966
Statistische Berichte des Statist. Landesamtes NW D/Arbeitsstättezählung 1970, Reg. Bez. Köln, Angaben 30. 6. 1972
Jahresberichte der Industrie und HandeIskammer Bonn von 1952 bis 1975
Die Literatur, die uns zur Bearbeitung des Themas zur Verfügung stand, setzte sich hauptsächlich aus Statistiken zusammen, die für uns keinen hohen informativen Wert hatten. Aus diesem Grund haben wir uns an den Tuchfabrikanten J. Schiffmann und den Geschäftsführer und Teilhaber eines noch bestehenden Betriebes, Dr. Zilg, ehem. Präsident der IHK Bonn, gewandt, um einen möglichst umfassenden Einblick in die Schwierigkeiten der Euskirchener Tuchindustrie zu erhalten.
Manuskript J. Schiffmann vom 12. 11. 1977
Interview Dr. Zilg vom 22. 11. 1977


Eine Arbeit der Schülerinnen Bernadette Koch, Charlotte Schwarzer, Michaele Ijewski, und Edith Gebauer von der Marienschule Euskirchen im Rahmen eines Geschichtsarbeitskreises unter Leitung von Dr. R. Weitz, Marienschule Euskirchen. *)


Entnommen: Kreis Euskirchen, Heimatkalender - Jahrbuch 1979


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