„Losse mer noh Donatus jonn“
Zeitzeugen erinnern sich an den Braunkohlebergbau im Kreis

Von Hans-Gerd Dick

Daß es überhaupt Braunkohlenbergbau im Kreis Euskirchen gegeben hat, ist aus dem Bewußtsein der heute Lebenden weitgehend geschwunden. Dies hängt mit der spezifischen Förderform der Braunkohle im schon früh hochtechnisierten Tagebau zusammen: Durch ihre rasche Auskohlung bedingt, befinden sich die Abbaugebiete in einer permanenten Wanderungsbewegung.

So wurde auch die hiesige Region, am Rande des Vorgebirgsreviers liegend, besonders in der 1. Hälfte unseres Jahrhunderts vom Kohlenbergbau berührt. 1 Während jener Zeit waren Wirtschaft und Verkehr des Kreises eng mit dem Bergbau verbunden: Viele Menschen fanden hier Arbeit, auch produzierten große Industriebetriebe rund um die Kreisstadt - Tuch-, Papier und Zuckerfabriken - mit Braunkohlenfeuerung. Nach ersten Anfängen bei Euskirchen und Zülpich 2 in der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts hatte sich die Liblarer Umgegend in der Jahrhundertwende zum Hauptstandort von Bergbau im Alt-Kreis entwickelt. Hier, im Schnittpunkt der Landkreise Euskirchen, Bergheim und Köln, war der Kern des sogenannten „Südreviers“ lokalisiert. 3 Auf Euskirchener Kreisgebiet lagen hierbei die Gruben Donatus, Liblar und Concordia. Dieses Revier, dessen Abbaugrenzen bis in die Kommune Weilerswist hineinreichten, bildete bis in die vierziger Jahre hinein das Zentrum des gesamten rheinischen Braunkohlenbergbaus. In der zeit zwischen den Weltkriegen strömten hier Arbeitssuchende aus nah und fern zusammen. In den Erinnerungen eines Großbüllesheimer Zeitzeugen, bis zu seiner Pensionierung 1959 Bergarbeiter auf der Liblarer Grube Donatus, wird diese zeit wieder lebendig. Er berichtet:

„In der schweren Zeit nach dem 1. Weltkrieg fand ich in der Umgebung keine feste Anstellung. Das Amt konnte nur befristete Aushilfstätigkeiten vermitteln. Bei einer solchen Gelegenheit erzählte jemand, daß die Braunkohlengruben Arbeiter suchen würden. Ein Kollege schlug mir vor: „Losse mer noh Donatus jonn“. Das war 1922. Wir wurden auch eingestellt und begannen unseren Dienst bei der Abraumverkippung. Die Kohle- und Abraumförderung war zu dieser Zeit schon weitgehend technisiert. Ich legte bald die Prüfung zum Lokführer ab und fuhr seither einen Zug mit Abraum von der Grube zur Halde.“ Herr Ruland schätzt, daß die Zahl der Bergarbeiter aus Wüschheim und Umgebung etwa 15-20 Mann betrug und erinnert sich an viele Kollegen aus Lommersum und Weilerswist. Die Arbeitsstätte wurde mit der Reichs oder Kreisbahn erreicht - bis auf die Zeit der Besetzung durch die Franzosen. Die „Regiebahn“ meidend fuhr man mit dem Fahrrad. Wegen der sich andeutenden Auskohlung von Donatus wurde 1931 vorübergehend auch die Abraumverkippung eingestellt: „Wir wurden alle entlassen. In der Folgezeit saß ich dann mehrere Jahre auf der Straße.“

Dem Förderaufschwung im Nationalsozialismus verdankte Herr Ruland dann seine Wiedereinstellung. Im Zuge der Autarkiepolitik forcierte man den Braunkohlenbergbau. Die während der zwanziger Jahre aufgeschüttete Hochkippe am Liblarer Bahnhof wurde schrittweise wieder in den weitgehend stillgelegten Tagebau verstürzt. Nun kam die Kohle für die Fabrik zusehends aus dem Bergwerk Brühl, zu dessen Tagebau ein aufwendiger Durchbruch geschaffen wurde. Die Grubengleise waren zu jener Zeit dicht befahren. Bis zu sieben Züge verkehrten dort gleichzeitig, mit Kohle oder Abraum beladen, rund um die Uhr: „Ich fuhr in einer Schicht meine Strecke achtmal mit jeweils sechs Wagen. Diese Arbeit hatte auch ihre Gefahren. Ich bin beispielsweise einmal mit einem kompletten Zug umgekippt, als die auf tonigem Untergrund neuverlegten Gleise absackten.“ Der Fahrdienst in Abstimmung mit den gewaltigen Fördermaschinen erforderte ein hohes Maß an Können und Erfahrung, und Herr Ruland ist stolz auf seinen Beruf. Ein schwerer Schlag war es für ihn daher, als er, obschon zeitlebens nicht ernsthaft krank, wegen schwerem Zucker 1959 drei Jahre vor Erreichen des vierzigjährigen Berufsjubiläums pensioniert werden mußte. Noch im selben Jahr kam aber auch das Aus für Donatus, wo mittlerweile nur noch Fremdkohle zu Briketts verarbeitet wurde. Die Liblarer Tagebaue waren endgültig ausgekohlt, jahrelange Tiefbauversuche schlugen fehl. Ruland: „Die Kohle aus dem Tiefbau Donatus-Süd war zwar gut, aber die Ausbeute blieb im Verhältnis zum Aufwand viel zu mager.“


Braunkohlenbergarbeiter im Führerstand eines Förderbaggers

Herr Ruland blieb zeitlebens in seinem Geburtsort Großbüllesheim ansässig. Genauso heilten es auch die Pendler aus der Eifel, die unter der Woche in überfüllten Sammelunterkünften schliefen. Ruland hat diese Schlafstelle auch einmal nutzen müssen - notgedrungen: „Da hätte ich das nächste Mal lieber im Wald geschlafen.“ Nicht jeder aber blieb seinem Wohnort treu, wie Herr Ruland. Viele aus dem Kreis strebten wegen der Nähe zum Arbeitsplatz in die Grubenorte. So auch das Ehepaar Stein aus Euskirchen. Frau Stein hatte einen Schlosser, der beim Ausbau der Grube Liblar nach 1919 eine einträgliche Anstellung als Maschinentechniker gefunden hatte, geheiratet. Trotz großer Wohnungsnot - in der Euskirchener Zeitung zeigte der Liblarer Bürgermeister 1920 an, daß vor einem geplanten Umzug nach Liblar „dringend gewarnt werden“ müsse - fand das junge Paar noch im selben Jahr eine Unterkunft im kleinen Bauerndorf Köttingen bei Liblar.

Alphabetische Namensliste der Gemeinde Lommersum

Am Beispiel Lommersum wird die hohe Zahl von Grubenarbeitern im Norden des Kreises augenfällig demonstriert.

Dort wurde dann im Folgejahr eine moderne Bergarbeitersiedlung aus dem Boden gestampfte, die sich rasch mit zuziehenden Arbeitern und deren Familien füllte. Das kleine Bauerndorf wandelte sich in kürzester Zeit zu einem Arbeiterwohnort. Frau Stein ist heute noch beeindruckt: „Das wurde so schnell voll, das Nest, man glaubt es kaum.“ Einträchtig lebten in der Folgezeit Alteingesessene und Zugezogene zusammen. Die hier vorwiegend angesiedelten Arbeiter aus Bayern behielten die Pflege des heimischen Brauchtums auch in der neuen Heimat bei. So bewies sich der Wandel am Nordrand des Altkreises auch durch eine neue Festkultur. Die traditionellen Dorfveranstaltungen wurden nun durch andersartige Revier und Brauchtumsfeste ergänzt. Die Leute seien, so Frau Stein, kontakt- und anschlußfreudig gewesen, gerne und häufig habe man miteinander gefeiert. „Verständigungsprobleme haben aber oft ein Ausweichen auf das Hochdeutsche nötig gemacht. Darin waren jedoch beide Seiten ungeübt, das war oft komisch.“ Ungewöhnlich war auch die Anfahrt zu Veranstaltungen in den Nachbarorten: „Für ein Päckchen Zigaretten nahmen die Arbeiter „Gäste“ auf den Grubenbahnen mit. Häufig neckten sie die Frauen dabei. Ihren Spaß hatten sie daran, uns die Sonntagskleider mit Kohle zu schwärzen.“ Obschon ihr Mann oft Sonderschichten leisten mußte - als Spezialist war er ständig auf Bereitschaft - betätigte er sich eifrig im örtlichen Arbeiter Turn- und Sportverein.


Bergarbeitersiedlung Köttingen bei Liblar

Dank der vergleichsweise sicheren Stellung ihres Mannes, der während der Kriegszeit ebenso wie der Zeitzeuge aus Großbüllesheim für den Bergbau „reklamiert“ wurde, blieb die Familienexistenz weitgehend ungefährdet. Frau Stein ist sich der dadurch herausgehobenen Stellung stets bewußt gewesen: „Mein Mann hat anständig Geld verdienen und die Familie gut versorgen können.“ In der Notzeit zeigte es sich von Vorteil, daß die Familien Stein wie Ruland einen Garten bebauten und Nutztiere hielten. Herr Ruland hat sogar einen ganzen Morgen Land nebenher bewirtschaftet und wie viele Bergleute Schweine und Ziegen besessen. So kann er, der auch ein kleines Häuschen erwerben und ausbauen konnte, rückblickend stolz auf das Erreichte sein, denn: „Als ich 1925 geheiratet habe, hatte ich nichts.“ Soweit die Berichte der Zeitzeugen, deren Biographie fest mit dem Bergbau verbunden ist. Die Familien Stein und Ruland haben die Boom-Jahre des Braunkohlenbergbaus im Kreis Euskirchen erlebt, in denen die Bergmann wegen seiner vergleichsweise hohen Entlohnung, der Prämien und Deputatkohlen ein angesehener Berufsstand war. Daß diese Prägung durch den Bergbau aber schon auf die Folgegenerationen nicht mehr wirkte, läßt sich nicht zuletzt auch daran belegen, daß keines der Kinder seinem Vater in den Beruf gefolgt ist.

  1. Eine Ausnahme bildet der von der Gesellschaft Victor Rolff bis in die siebziger Jahre unseres Jahrhunderts betriebene Tagebau bei Zülpich, aus dem die heutigen Badeseen entstanden sind.

  2. Fritz Wündisch, Brühl, hat darüber im Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1966 berichtet.

  3. Vgl. die sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Staatsexamensarbeit des Verf., Strukturwandel im südlichen Vorgebirge durch den Braunkohlenbergbau, unveröffentl. MSS, 1989, Ders., Die Arbeiterschaft im rheinischen Braunkohlenbergbau, in: Geschichte in Köln, Heft 30 (ersch. Dez. 1991). Das Standardwerk zum rheinischen Braunkohlenbergbau ist Unternehmen Braunkohle, von Arno Kleinebekkel, Köln 1986 2.

Der Verfasser dankt den beiden hochbetagten Zeitzeugen, Magdalene Stein, Weilerswist (93), und Heinrich Ruland, Großbüllesheim (93), für ihre Gesprächsbereitschaft.

Aus: Kreis Euskirchen Jahrbuch 1992

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