Alte Pingen und Schächte
Eisenerzbergbau im Gemeindegebiet von Kall

Von Wolfgang Wegener

In den waldreichen Gebieten rund um Kall finden sich auch heute noch umfangreiche Spuren des alten Eisenstein- und Bleierzbergbaues. Pingen, Halden, Erdwälle und Schürfgruben, sind die letzten noch an der Oberfläche erhaltenen Zeugnisse einer für die Nordeifel typischen Wirtschaftsform, die seit dem Mittelalter dem hier ansässigen Landmann als eine zweite, lebensnotwendige Erwerbsquelle diente. Neben den bedeutenden Bleierzgruben in Keldenich, Kalenberg und Mechernich sind es vor allem die weitverbreiteten Braun- und Roteisensteinlager, die die Grundlage für die Hütten- und Eisenwarenindustrie in den Talbereichen bildeten. Während über die Verbreitung dieser Eisenindustrie bereits umfangreiche Arbeiten erschienen sind 1, blieb die Geschichte des Bergbaues bisher weitgehend unberücksichtigt. Kurz werden die historischen Grundlagen skizziert und eine ungefähre räumliche Ausdehnung kartiert. Die auf den Höhen rund um Kall, Sötenich, Keldenich und Goldbach gelegenen, mehrere Hektar großen aufgelassenen Eisensteinbergwerksfelder sind Gegenstand dieser Beschreibung. Mit ihren persistenten Relikten und den zur Verfügung stehenden historischen Quellen läßt sich ein Bild nachzeichnen, das für die Geschichte des Bergbaues in der Nordeifel beispielhaft ist.

Östlich von Sötenich erstreckt sich von Südwest nach Ostnordost an einem nach Nordwesten exponierten Bergrücken eines dieser alten aufgelassenen Bergwerksfelder, der Girzenberg. Dem Betrachter dokumentiert sich der Erzabbau in zahlreichen Halden und Bodeneintiefungen, die Höhen und Tiefen von mehreren Metern erreichen. Es handelt sich dabei zumeist um die Reifenschächte des Eigenlöhnebergbaues. Einzelne, besonders mächtig erscheinende Schächte, die einen Durchmesser von 8-10 Metern und eine Tiefe von ca. 4 Metern erreichen, gehören der jüngsten Abbauphase an, als mit der Vereinigung der Partialfelder und Anlage des Beuststollens größere Förderschächte gebaut wurden. Das anfallende taube Gestein schütteten die Bergleute direkt an Ort und Stelle zu großen Haldenbereichen auf und führten das geschiedene Erz auf Karren zu den benachbarten Hüttenwerken im Urfttal.

Der gute Erhaltungszustand ist vor allem auf die bisher extensive Nutzung dieses Bereiches zurückzuführen. Zwischen einem mit Gras bewachsenen , lichten Hochwald liegen einzelne Fichtenschonungen und Viehweiden. Bei einer Kartierung durch das Landesoberbergamt Dortmund ließen sich 568 Einzelobjekte feststellen und anhand älterer Bergwerksaufzeichnungen genau bezeichnen. Die Ausdehnung des Girzenberglagers und des Lohkopfganges - der heute von einem Kalksteinbruch ganz abgetragen ist - erstreckt sich weiter nördlich bis zum anschließenden Heidackerlagen auf der Keldenicher Heide. Dieser Bereich wird bis zur Waldgrenze ackerbaulich genutzt. Hier sind die Spuren des Bergbaues ganz verschliffen. Auf dem Heidacker selbst lassen sich in den Waldgebieten nochmals über 700 einzelne Objekte benennen. Besonders gut erhalten zeigen sich in diesem Bereich Pingen, die paarweise unmittelbar nebeneinanderliegen. Südlich dieser Lager, am Hangfuß der Keldenicher Heide, besteht eine weitere, sekundäre Lagerstätte. Westlich der Urft liegen drei große Pingenfelder nördlich bzw. südöstlich von Golbach auf der Kindshardt und auf der Loshardt. Auch diese Bereiche sind, da sie nur von der Holzwirtschaft tangiert werden, gut erhalten. Allein die Größe der bearbeiteten Fläche, die Vielzahl der erhaltenen Relikte und der unterschiedlich verschliffene Zustand, lassen eine Aussage über zeitliche und technische Entwicklung des hier untergegangenen Bergbaus zu. Auf der Kindshardt finden sich in einem Gebiet von über 2,5 k m² mehr als 1000 einzelne Relikte des Reifenschachtbergbaues. Halden und Pingen übersäen dieses Gebiet, von dem angenommen werden kann, daß bereits in römischer Zeit, vielleicht auch schon im ersten vorchristlichen Jahrtausend der manganreiche Brauneisenstein gewonnen wurde. Charakteristisch für diese Region ist das Festhalten der ortsansässigen Bergleute am Reifenschachtbau, nach dessen Art fast alle Schächte bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts niedergebracht sind. Hinzu kommt die Kleinheit der Verleihungen. Erst 1825 wurde mittels eines Stollens der Versuch unternommen, Wasser unter der Lagermasse zu lösen.2


Wisoveg-Erklärung: Die drei Orte Kall (Mitte links), Sötenich (Mitte darunter) und Keldenich (Mitte rechts)

Bei den hier abgebauten Eisenerzen handelt es sich im wesentlichen um „Rotsteinlager in Kalksteinen der Heisdorfer und Laucher Schichten“ und um Vorkommen von metasomatischem Eisenmagancarbonat in den Dolomitgesteinen des Sötenicher Mitteldevons, der in den oberen Bereichen zu manganreichem Brauneisenstein oxidiert ist. 3 Der Gehalt an Fe (Eisen) schwankt beim Brauneisenstein zwischen 35,83 und 51,46 Prozent. Die Vererzung ist lagerförmig und an eine bestimmte Bankfolge der Mitteldevonschichten gebunden .Herkunft und Alter der Lagerstätte sind noch nicht ausreichend erforscht. Nach K. H. Ribbert dürften die Vererzungen vor ca. 200 Millionen Jahren im Perm bzw. zu Beginn des Trias entstanden sein und sind dann im Pleistozän (vor 650.000 Jahren) oberhalb des Grundwasserspiegels zu manganreichem Brauneisenstein oxidiert.

Daß der Brauneisenstein im Kall/Sötenicher Raum bereits in vorgeschichtlicher Zeit abgebaut wurde, ist anzunehmen. Die in der Umgebung aufgefundenen Grabhügel der Eifel/Hunsrückkultur und vergleichbare Forschungsergebnisse in der Südeifel lassen diesen Schluß zu. Mit der Errichtung der römischen Provinz Niedergermanien gelangte das technische Wissen dieser Hochkultur in unseren Raum. So finden sich auch hier immer wieder archäologische Zeugnisse für einen intensiven Bergbau. Exemplarisch stehen noch immer die Untersuchungen von H. v. Petrikovitz in Berg bei Nideggen. 4

Über nahezu ein Jahrtausend schwiegen dann die Quellen, ehe erste urkundliche Erwähnungen im Spätmittelalter und die bis heute an der Oberfläche erhaltenen Pingenfelder beredt Zeugnis ablegen von der Mühe und Arbeit der hier tätigen Vorfahren.

Unzureichende Quellenzeugnisse sowie das Fehlen einer systematischen archäologischen Landesaufnahme haben bisher noch keine weiteren Hinweise auf den frühmittelalterlichen Erzbergbau und seiner damit verbundenen räumlichen Verbreitung von Rennfeueröfen erbracht. In der goldenen Bulle von 1356 erhalten die Kurfürsten von Kaiser Karl IV. unter anderem das Bergregal verbrieft 5, das in der Folgezeit auch auf die Territorialherren übertragen wird. Grundherren im Bereich Kall und Goldbach waren der Herzog von Jülich mit der Herrschaft Dreiborn und der Herzog von Luxemburg mit der Herrschaft Schleiden.

Im Wildbann Kall konnte jeder der Einwohner gegen Abgabe des zehnten nach Eisenerzen graben, mußte aber zudem noch in Kriegszeiten zusätzliche Leistungen erbringen. Die Zehntabgabe stand durch Schmelzhütte und Waage unter Aufsicht der fürstlichen Verwaltung in Heimbach.

Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts gab es keine schriftliche Fixierung des Bergrechts. Entsprechend anderer mittelalterlicher Rechtsverhältnisse ist davon auszugehen, daß auch “das Bergrecht“ über mündliche Weitergabe von Generation zu Generation überliefert wurde. Erst mit dem Bergweistum von Kall aus dem Jahre 1941 werden diese Bestimmungen codifiziert. 6 Dieses Weistum ist eine sehr bedeutende Rechtsquelle, da sie nicht nur den Bergbau, sondern darüber hinaus die gesamte Eisenindustrie des 15. Jahrhunderts näher beleuchtet. Aufsicht über den Bergbau führten der Bergmeister und die Geschworenen. Die namentlich aufgeführten Geschworenen bezeugen, daß sie das Niedergeschriebene von ihren Vorfahren vermittelt bekommen haben. In einem ersten größeren Abschnitt wird darüber berichtet, wie ein Bergwerk aufgenommen wird, wie groß die Ausdehnung eines einzelnen Pfahlwerkes ist und wie man das Wer den Berggeschworenen anzuzeigen hat. Im weiteren wird auf das Schmelzen und Wiegen des Erzes eingegangen. Hier finden sich Hinweise auf die ersten Anfänge der Hüttenindustrie und die Bedeutung der Schmelzer und Hüttenmeister für die Bergwerkstreibenden. Wesentliche Einrichtungen für die Zehntabgabe waren die Hütte und Waage zu Kall sowie die Hütte bei Reude (Rinnen?). Weitere Regelungen betreffen die Waldnutzung für die Holzkohlegewinnung und die Bergbautreibenden. Diesen wird der Einschlag von jungen Eichenstämmen für den Ausbau der Reifenschächte im herzoglichen Wald bei Heimbach zugesprochen. Das Schleidener Weistum von 1547 beinhaltet gleichlautende Bestimmungen für die Eisensteingräber und ihre Werke. Aufsicht führen der Bergmeister und sechs Geschworene, zudem findet zweimal im Jahr das Berggeding statt. 7 Ein erstes Berggesetz erließ Herzog Wilhelm V. am 27. 4. 1542 mit der klevisch-bergischen Bergordnung, die sich stark an das sächsische Vorbild von 1509 anlehnte. Diese Bergordnung blieb bis zum Ende des Ancien Régime weitgehend bestehen und erhielt 1719 lediglich eine neue Form, die fast wörtlich die alte Bergordnung wiedergab.


Den Eigentümern mehr Rechte zugebilligt

Mit dem Vorrücken der französischen Revolutionstruppen und der Besetzung des linken Rheinufers 1794 lösten sich die alten Territorialstaaten auf, und die Gesetzgebung oblag nun den neuen Machthabern. Für den Bergbau bedeutete dies, daß die viel stärker an Persönlichkeiten gebundene französische Gesetzgebung das alte ständestaatlich orientierte Berggesetz ablöste. Das französische Berggesetz hatte das königliche Regal auf Bodenschätze zur „Disposition der Nation“ gestellt, was bedeutete, daß der Bergbau lediglich unter Genehmigung und weitaus freierer Aufsicht des Staates stand. Wesentlich war, daß es dem Grundeigentümer mehr Rechte zubilligte, daß keine Mutung zu erfolgen hatte und die Konzessionsvergabe nur ein administrativer Akt war sowie eine zeitliche Festsetzung auf höchstens 50 Jahre bestand. Jedermann konnte jetzt auf seinem Privatgrund Bergbau treiben bzw. Bergwerksgesellschaften konnten mit Einwilligung der Eigentümer nach Erzen und Steinkohlen graben. Allein die auf Gemeinde- und Kirchengrund bestehenden Mutungen und Verleihungen wurden respektiert. Für den Bereich des Kirchengutes ändert sich dies mit der Säkularisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Aufgelassene Bergwerke konnten von Gemeindevertetern verliehen werden. In Keldenich und Sötenich nahm diese Verleihung der Bürgermeister vor. 8

Nach der Niederlage Napoleons und dem Übergang an die preußische Verwaltung blieb die französische Gesetzgebung formal weiterhin in Kraft. Die zumeist in Eigenlöhnerbetrieb arbeitenden Werke bauten die Erze in der ihnen eigentümlichen Art und Weis weiterhin ab. Die Verleihungen blieben zum Teil bestehen, oder wurden wie vordem vom Bürgermeister vorgenommen.

Erst in der Mitte der 20er Jahre erfolgt nach umfangreicher Korrespondenz zwischen dem Bergamt und der Gemeinde eine Änderung in dieser Verfahrensfrage. Die Bergbaubehörde erließ eine Bekanntmachung, daß die alten Mutscheine nach der Berechtigung von 1810 anerkannt wurden. Zu diesem Zweck trafen sich auf Vorladung des königlichen Bergmeisters Grund im Gemeindehaus von Keldenich der Bürgermeister Wills, der königliche Obersteiger Pils sowie die Besitzer von 26 Werken. Unter Vorlage der alten Mutscheine erkannte das Bergamt die Verleihungen an, im anderen Fall bedurfte es notariell beglaubigter Zeugenaussagen, daß das betreffende Werk bereits 1810 betreiben worden war. 9

Darüber hinaus war es nach preußischen Gesetz vorgeschrieben, für die Anlage eines Bergwerkes einen Grubenplan vorzulegen, einen Steiger oder einen Aufseher anzustellen, eine Arbeitsliste und einen Zechenmeister zu führen. Da diese Vorschriften von den kleinen Gruben nicht zu bewerkstelligen waren, blieb nur die Möglichkeit eines Zusammenschlusses (Vereinigung). Mit dem preußischen Berggesetz von 1865 wurde zwar der gesamte Bereich der Montanwirtschaft einheitlich neu geregelt, blieb jedoch für den Kall/Sötenicher Eisenerzbergbaudistrikt von geringer Bedeutung, da diese wenig Jahre später zum Erliegen kam. 10

Berichte über den alten Bergbau finden sich in Akten des Preußischen Bergamtes Düren. Über die Tätigkeit in den Bergwerksfeldern am Girzenberg und dem Kaller Stollenfeld heißt es dort: „Wenn nicht ein Zufall zu einer /neuen) Entdeckung führt, setzen sie ihre Walken oder Reifenschächte zwischen alte Baue oder in die Nähe derselben.“ Die Arbeit - das Abteufen der Schächte - wurde häufig erschwert, „weil alte Arbeit, unhaltbares Nebengestein oder eine Verdrückung des Lagers ihnen keine weitere Ausdehnung erlaubt“. 11 Die runden Schächte sind im oberen Bereich 1,23 bis 1,40 m (3 ½ bis 4 Fuß) weit und verengen sich nach unten. Zur Ausflechtung dienten junge Holzstämmchen, die man um den sogenannten Reifen mit Birkenreisig flocht. Vorwiegend wurden für das Stammholz Eichen genommen, die durch ihre Elastizität den Druck nach außen gaben und somit für die bestmögliche Stabilität sorgten. 12 Im Bereich des Erzlagers bzw. der Erzgänge erweiterten sich die Schächte zu sogenannten Tummeln oder aber wurden entlang der erzführenden Gänge als Strecken vorgetrieben. Mit zunehmender Teufe reichte dieser einfache Schachtbau nicht mehr aus. Die Bergleute legten nunmehr zwei parallel zueinander stehende Schächte an. Diese Variante erbrachte trotz höheren Aufwandes immensen Nutzen. Zunächst wirkte sich das System günstig auf die Luftzirkulation (Bewetterung) der Grube aus, weiterhin standen für die Befahrung, Förderung und Entwässerung zwei Schächte gleichzeitig zur Verfügung. Wesentlich war aber, daß je nach Teufe die Gefahr eines Einsturzes anwuchs und somit ein zweiter Schacht zur Sicherung notwendig war. Mit diesem alten Schachtbau erreichte man die Eisensteinlager am Girzenberg und auf der Kindshardt in einer Teufe von 4 - 8 Lachtern (ca. 8 - 16 m). Um die Wende des 18./19. Jahrhunderts betrug die Teufe 14 bis 15 Lachter (ca. 30 m), stellenweise wurden Schächte mittels Gesenke bis zu 36 Lachtern (72 m) tief gebaut. Der Grund für diesen aufwendigen Abbau liegt in der durchweg besseren Qualität des Eisensteins in größeren Teufen begründet, wobei die Bergleute sogar die Kosten des Wasserziehens nicht scheuten.

Der Abbau erfolgte auf den zumeist sehr kleinen Bergwerken durch Eigenlöhner, wobei sich oftmals mehrere Personen zusammenschlossen. Entsprechend ihrer Anteile an dem Werke verrichteten sie ihre Arbeit selbst oder ließen durch Gesinde bzw. Tagelöhner arbeiten. Sehr anschaulich schildert ein zeitgenössischer Bericht diese zumeist im Familienverband durchgeführten Arbeiten.

„Hier und in der Nähe der Bergdörfer Kall und Sötenich werden jährlich viele tausend Karren Eisenstein vorzüglicher Güte durch den Bergbau gewonnen. Ein Schacht stößt an den anderen, und der eine Haufen erbeuteten Erzes ist größer als der andere. Alle, Männer und Weiber, Knaben und Mädchen, helfen hier einander, das Eisenerz zu Tage zu Fördern. Der Vater steigt mit seinem Sohne in den tiefen Schacht mit dem Lämpchen in der Hand; beide suchen das Erz in langen Gängen auf, füllen ihre Körbe damit und Frauen und Mädchen winden sie zu Tage und leeren sie. Mancher Sachse, welcher hier die Kunst, regelmäßig die Erze zu gewinnen, lehrte, ist hier begraben.“ 13

In einem Werk, das kein Gesenk hat, arbeiteten zwei Hauer, zwei bis vier Korbfüller und Träger sowie zwei Zieher oder Zieherinnen. Ein so betriebenes Werk konnte unter günstigen Umständen 200 bis 300 Karren im Jahr (450 bis 650 t) fördern. In dieser Zeit der Eigenlöhnerbetriebe, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts vorwiegend praktiziert wurden, bildete der Bergbau die zweite, oftmals lebensnotwendige Erwerbsgrundlage, da die Ernten der Landwirtschaft selten ausreichend gut ausfielen. Im Spätherbst, Winter und Frühling wurden die Werke betreiben, in den Sommermonaten ruhte die Arbeit, teils wegen der Feldbestellung, teils wegen des Wettermangels (Luftzufuhr in den Gruben). Während der Wintermonate lagen die Temperaturen an der Oberfläche unter denen in den Grubenbauen. Bei den Doppelschächten stieg die wärmere Luft durch einen Schacht nach oben, während in dem zweiten Schacht durch Sogbildung kalte Luft nachströmte. Die Zirkulation sorgte für eine ausreichende Bewetterung. 14

Die Grubenfelder bestanden aus einer Anzahl sogenannter Pfähle und Reifen, im Gegensatz zu den sonst im Bergbau üblichen Verleihungen auf Fundgruben und Massen. Das Pfahlfeld war ursprünglich kreisrund mit einem Durchmesser von 8 Lachtern (16 m), dessen Mittelpunkt der Holzpfahl markierte. Diese Form findet sich zunächst in allen Herrschaftsgebieten rund um Kall und läßt sich anhand der Weistümer und Bergordnungen nachweisen. Allerdings ändert sich im Herzogtum Jülich diese runde Form sehr frühzeitig und wurde durch die praktischere Form des Vierecks mit 16 m Seitenlänge ersetzt. Gewöhnlicherweise wurden 6 bis 12 Pfähle gemutet, und man sprach von einem halben bzw. einem ganzen Werk. Nach eingelegter Mutung, die z.B. beim Bergmeister zu Münstereifel zu erfolgen hatte 15, und erhaltenem Mutschein, mußte das Werk sofern es früher schon existiert hatte, zunächst freigemacht und dann neu vermessen werden. War es aber in einem frischen Feld gemutet, so nahm der vereidigte Markscheider in Gegenwart des Bergschöffen die „Abpfählung“ vor. Eine eigentliche Belehnung wurde auf solche Pfahlwerke nicht erteilt. Das Eigentum daran wurde solange anerkannt, wie der Betrieb stattfand. Erst wenn über ein Jahr hinaus keine Arbeiten durchgeführt wurden, fiel das Bergwerk wieder ins Freie und konnte von jedem andren neu gemutet werden. Da zumeist nur eine Mutung ohne anschließende schriftliche Belehnung erfolgte, fehlen urkundliche Nachweise über diese frühe Phase des Bergbaues. Erst aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kennen wir einzelne Bergwerkseigner. 1777 stellte Peter Wingsheim ein Konzessionsgesuch auf ein Bergwerkfeld am Girzenberg, dem er den klangvollen Namen „Leberwurst“ gab. 16

Für 1803 ist ein Konzessionsgesuch von Johann Wieß und Konsorten unter dem Namen „alte und junge Lierberg“ 17 bezeugt.

Bedeutend besser ist die Quellenlage für den aufwendigeren Stollenbergbau. Mathias Peuchen und Konsorten erhielten 1723 die Konzession zur Errichtung des Kaller Stollens, der sowohl die Bleierzlager unter dem Tanzberg aus auch über einen Nebenort 1746 die Eisenerzlager unter der Keldenicher Heide erreichte. 18 Einem Generalbericht über die Jülicher Bergwerke von 1744-1745 sind zumindest die Zehnteinnahmen für den Keldenicher Bergbau zu entnehmen. Der Summe von 1.325 Reichstalern für Eisenerz und 1.077 Reichstalern für andere Erze stehen die Ausgaben an Gehältern für fünf Bergmeister mit 37 Reichstalern gegenüber. 19


Doppelschachtpinge auf der Loshardt.

Mit der Neuordnung durch die preußische Verwaltung wurden auch die alten Pfahlrechtsverleihungen aufgenommen. Für die Zeit vom 1. Oktober 1819 bis zum 30. September 1820 sind für den Raum Keldenich - Sötenich 84 arbeitende Werke belegt. Die dabei bearbeitete Teufe der Schächte reichte von 3 bis 37 Lachtern (6 bis 74 m). Insgesamt betrug die Förderung 12.297 5/6 Karren, was einer Menge von ca. 26.900 t entspricht. Die Lieferungen gingen an die unmittelbar benachbarten Hüttenwerke in Dalbenden (Rodenaul, Altwerk und Neuwerk), Sötenich, Kall, Gemünd, Eiserfey und Vussem. Da die Entfernungen relativ gering waren, betrugen die Transportkosten nur 1 bis 3 Taler pro Karren. 1826 werden 119 Werke genannt, von denen allerdings nur 65 in Betrieb standen. Auf den Bereich des Girzenberges entfallen allein 26 Werke, die auf so klangvolle Namen wie Brezel, Nußbaum, Opferbaum, Kirschbaum, Hoffnung und Loor hörten. Die Gewerke stammten überwiegend us den benachbarten Orten: Johann Hilger aus Keldenich, G. Hilger aus Sötenich, Paul Putz aus Rinnen und A. Müller aus Keldenich, Insgesamt waren 29 Bergwerke im Besitz von Personen, die in Keldenich (26) und in Sötenich lebten. Die Größe der verliehenen Felder betrug 190, 381 bzw. 762 m². 20 In den Jahren 1837 und 1838 existierten auf dem Girzenberg 284 verliehene Paritalfelder, der Grenzen zumeist mit den Ackergrenzen zusammen fielen. Da zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Brauneisensteinlager im Bereich der Kindshardt, der Loshardt und des Girzenbeges bis auf den Grundwasserspiegel abgebaut waren, erfolgte seit 1823 ein Zusammenschluß der Partialfelder zu einzelnen Konzessionen. Bekannt sind das Kaller Stollenfeld im Bereich des Heitackerlagers, das Beust-Stollenfeld am Girzenberg sowie die Konzessionen Concordia im Bereich der Loshardt und die des Haag-Stollenfeldes im Gebiet der Kindshardt. 1825 begann man mit dem Vortrieb eines Wasserlösungsstollens im Bereich der Konzession Concordia. Dieser setzte im Urfttal und verlief in westsüdwestlicher Richtung. Da nach 315 m Streckenlänge das Eisenerzlager noch nicht erreicht war, stellte man 1834 die Vortriebsarbeiten ein. Ein erneuter Versuch 1874 führte zu einem weiteren Ausbau des Concordia-Stollens. Ein Abzweig wurde in südwestlicher Richtung bis unter die alten Pingenfeler der Rinner Heide getrieben. Da man immer noch nicht die Art des Lagers erkannt hatte und unterhalb der erzführenden Schichten angelangt war, blieben auch diese Bemühungen erfolglos. Im Anschluß an diese Arbeiten teufte man am Endpunkt einen neuen Schacht ab, der in 35 m Tiefe auf das Erzlager traf und damit ebenfalls 35 m über der Stollensohle lag. Die Mächtigkeit der Lagerstätte betrug 1 bis 6 m. 21

Durch erste Versuchsarbeiten am Concordia-Stollen ermutigt, reichte der Herzog von Arenberg 1838 im Bereich der Kindshardt eine neue Konzession unter dem Namen Stahlberg ein und führte bis 1860 zunächst umfangreiche Versuchsarbeiten durch, die nähere Auskunft zur Art des Lagers erbrachten. Ab 1865 begann man vom Schnittpunkt Urfttal-Goldbachtal aus den Vortrieb des sogenannten Haag-Stollens, der eine Länge von 1538 m erreichte. Schwierige Wasserhaltungsbedingungen führten aber auch hier zur Einstellung der Arbeiten, bevor man das Lager erreichte.

Auch im Bergbaugebiet am Girzenberg liefen in um 1840 die Arbeiten zum Vortrieb eines Stollen an. Aus wirtschaftlichen Erwägungen sah sich 1839 der Hauptbergwerkseigentümer, der Herzog von Arenberg, genötigt, die Partialfelder am Lohkopfgang und Girzenberg zur neuen Belehnung des Beust-Stollenfeldes zusammenzufassen. Der in Sötenich aufgefahrene Beuststollen sollte der Förderung und Wasserhaltung dienen, traf 1848 auf das Vorkommen am Lohkopf und 1857 auf das Westende des Girzenberg-Eisensteinlagers. 1875 erreichte der Beuststollen eine Länge von 1.500 m und endete unter dem Partialfeld „Gutenstein“ 88 m unter der deutigen Tagesoberfläche. Mit der Aussicht auf einen Bahnanschluß bei Sötenich erhielt der Bergbau neuen Auftrieb. Zwischen 1848 und 1875 stiegen die Produktionszahlen ständig an. 1867 erreichten die Schienengleise das Stollenmundloch bei Sötenich. 1873 betrug die Höchstförderung 9.771 t Brauneisenstein und 14.770 t Eisenmangancarbonat. Das Bergwerk förderte zwischen 1848 und 1885 insgesamt 151.405 t Brauneisenstein und 66.265 t Eisenmangancarbonat. Seit 1879 nahmen die Erträge für den Eisenstein immer mehr ab, so daß der Betrieb 1885 endgültig eingestellt werden mußte.

Die einzigen noch heute erhaltenen Zeugnisse dieser über Jahrhunderte betriebenen Nutzung der Eisensteinlager sind die aufgelassenen Bergwerksfelder mit ihren Pingen und Halden. Je nach Größe, Erhaltungszustand und Aussehen geben sie Auskunft über Funktion und Alter. Von den Stollen ist allein noch das Mundloch des Beuststollens in Sötenich zu sehen, der Haag- und der Concordiastollen sind verschüttet, der Kallerstollen vermauert. Durch die modernen Waldmaschinen besteht zunehmend eine Gefährdung der Pingenfelder.

Ihre typischen trichterförmigen Vertiefungen werden mit Astwerk verfüllt, die wallförmigen Halden durch schwere Bereifung verebnet. Es ist eine Frage der Zeit, wann auch diese Relikte nur noch in Geschichten existieren.


Anmerkungen

  1. Zuletzt erschienen ist eine Arbeit von Peter Neu, Eisenindustrie in der Eifel (1988), mit einem umfangreichen Literatur- und Quellenverzeichnis im ersten Teil.

  2. H. Quiring, Gutachten über das Manganerzlager von Kall-Goldbach. Unveröff. Bericht, GLA Krefeld.

  3. K. H. Ribbert, Erläuterungen zu Blatt 5405 Mechernich, GLA Krefeld, (1985), 77ff.

  4. H. v. Petrikovitz, Neue Forschungen zur römischen Besiedlung der Nordeifel, Germania 34, 1956, 117ff.

  5. H. Grundmann, Wahlkönigtum, Territorialpolitik und Ostbewegung im 13. und 14. Jh. Gebhardt Handbuch der Deutschen Geschichte 5, (1977), 227ff.

  6. Th. J. Lacomblet, Bleybergwerk zu Call. Archiv für die Geschichte des Niederrheins 3, 1860, 216ff.

  7. N. Reinartz, zwei Eifeler Bergweistümer des Jülicher Wildbanns Kall und der Grafschaft Schleiden. Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 151 / 152, 1952, 350 - 370.

  8. HStA Düsseldorf, Bergamt Düren, Akte 202.

  9. HStA Düsseldorf, Bergamt Düren, Akte 231.

  10. Königliches Bergamt Bonn (Hrsg.), Beschreibung des Bergreviers Düren, (1902), 182ff.

  11. HStA Düsseldorf, Bergamt Düren, Akte 202.

  12. HStA Düsseldorf, Bergamt Düren, Akte 202.

  13. Entnommen bei: Virmond, Geschichte der Eifeler Eisenindustrie, (1896), 6f.

  14. Heise-Herbst, Lehrbuch der Bergbaukunde 1, 7(1938), 568.

  15. Zuständig für die Mutungen im Kölner Gebiet war der Bergmeister von Eiserfey und für das arenbergische Gebiet der Bürgermeister von Kommern,

  16. HStA Düsseldorf, Bergamt Düren, Akte 232.

  17. HStA Düsseldorf, Bergamt Düren, Akte 234.

  18. HStA Düsseldorf, Jülich-Berg III., Akte 2103, siehe auch N. Reinartz, s.o. Anm. 7, darin Anmerkung 43. Bereits der Jülicher Bergrath C. L. Döring beschreibt 1766 in einem Vorbericht an die Kurfürstliche Akademie der Wissenschaften die Anlage und den Ausbau des Stollens. Nur unter Anwendung von Pulver ließ sich der Stollen vorantreiben, mit dem der „gegen Abend gelegene alte Zug Pingen“ aufgefahren werden sollte.

  19. HStA Düsseldorf, Jülich-Berg III, Akte 2103.

  20. HStA Düsseldorf, Haus Dalbenden, Akte 63.

  21. H. Quiring, siehe Anmerkung 2.

Quelle: Kreis Euskirchen Jahrbuch 1991

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