Wiedertäufer im Kreise Schleiden

Von Friedhelm Siebel, Schleiden

Lange bevor der Protestantismus endgültig Eingang in den Kreis Schleiden fand, traten dort, als Vorboten einer neuen Zeit, die Wiedertäufer auf. Wenn hier von diesen Eifeler Täufern gesprochen werden soll, muß man sich hüten, sie mit jener Sekte gleichzusetzen, die durch ihr Treiben in Münster im Jahre 1534 mit dem Namen Wiedertäufer die Vorstellung unvorstellbarer Schandtaten verbunden hat. Die Wiedertäufer in der Abgelegenheit der Eifel sind ruhige und bescheidene Leute gewesen, die jede Gemeinschaft mit den Münsterischen ablehnten. Die Wiedertaufe, die der Sekte den Namen gab, war nur ein äußeres Merkmal, das Ziel der Täufer war vielmehr die Wiederherstellung des Urchristentums zur Zeit der Apostel. Nach ihrer Auffassung kann die Gemeinde nur eine Gemeinde der Niedrigen und Verachteten sein; Leiden und Verfolgung auf der Erde sind nur gottgewollte Mittel zur inneren Vollendung. Aus diesen Ideen heraus wird erst verständlich, wie diese Sekte ihren Glauben auch in Zeiten schlimmster Verfolgungen heldenmütig verteidigen konnte.

Im Schleidener Gebiet werden die Täufer erstmalig 1539 erwähnt, doch erließ bereits 1534 Herzog Johann V. von Jülich, zu dessen Herrschaftsbereich Dreiborn gehörte, ein Gesetz, nach dem „alle Wiedertäufer und Wiedergetaufte, auch die dafür halten oder lehren, daß die Kindtauf nichts sei, nach dem Inhalt der kaiserlichen constitution von dem Leben zum Tode geurteilt und gestraft werden sollen". Rabold von Plettenberg, Herr zu Dreiborn von 1522-1544, befahl den Wiedertäufern mehrmals, das Land zu verlassen. Auch als er die Zugehörigkeit zu den Täufern mit einer Strafe von 150 Thalern belegte, blieb der Auswanderungsbefehl unbeachtet. Erst sein Nachfolger, Friedrich von Eltz, teilt 1548 seinem Nachbarn, dem Grafen Dietrich IV. von Manderscheid-Schleiden, mit, daß im Einvernehmen mit dem in den Grafschaften Schleiden und Reifferscheid gegen die „böse und verfluchte Sekte der Wiedertäufer, die je länger je mehr zunehmen", eingeschlagenen Verfahren auch er sie verjagt und vertrieben habe. Über fünfzig Erwachsene, darunter Angehörige der Familie Hennes, haben damals im Dreiborner Gebiet ihre Heimat verlassen müssen; ihre gesamte Habe fiel an den Landesherrn. Morsbach verlor ein Siebtel, Herhahn ein Sechstel, Ettelscheid ein Fünftel seiner Bewohner. In den Jülicher Landen wurden die Täufer nicht ausgewiesen, sondern hingerichtet, und zwar die Widerrufenden durch das Schwert und die Hartnäckigen durch das Feuer, was man „gerechtfertigt" nannte.

Im Monschauer Gebiet, vor allem in Simmerath, hatte das Täufertum ebenfalls große Verbreitung gefunden. Eine Liste aus dem Jahre 1554 nennt rund hundert geflohene Wiedertäufer namentlich, deren Güter eingezogen worden sind. Eine „Marie von den Steinen" wird wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Täufern in der Rur ertränkt. In einem Bericht von 1555 an den Herzog von Jülich heißt es, daß viele Wiedertäufer aus der Herrschaft Schleiden nach Monschau kämen, wo sie ihre letzte Zusammenkunft gehabt und auch das Paaschlamm gegessen hätten. Aus einer Untersuchung des Herzogs im Jahre 1559 geht hervor, daß in der Öffentlichkeit das Täufertum durch die harten Strafen unterdrückt werden konnte, im verborgenen aber noch viele Anhänger gehabt hat. Aus dieser Zeit stammt, ohne genaue Datumsangabe, ein Bericht, den wahrscheinlich der katholische Pfarrer von Olef für Margareta von Plettenberg, Frau zu Trimborn (Dreiborn), aufgestellt hat. Es werden in diesem Bericht Wiedertäufer in Wolsiefen (Wollseiffen), Drymborn (Dreiborn), Etschelt (Ettelscheid) und Hyrhoin (Herhahn) genannt. In Einruhr (Uff der Roren) werden als Wiedertäufer bezeichnet „Item der nagelschmidt, item der lynenwever bey dem nagelschmidt, item der schoemacher". Alle diese Dörfer liegen dicht an der Grenze des Monschauer Gebietes; es scheinen also viele Täufer dorthin geflohen zu sein, wo zu jener Zeit die Unterdrückung vielleicht weniger hart war.

In Schleiden wurden die lutherischen Prediger des öfteren bei ihrem Kirchenpatron und Landesherrn, Graf Dietrich VI., vorstellig und verlangten die Ausweisung der Täufer, „der Schwärmer und schleichenden Geister so hin und her in Euer Gnaden Graf- und Herrschaften, sunderlich aber in der Herrschaft Schleiden, mehr denn zuviel sich eingeschlichen". Graf Dietrich erließ schließlich einen Aufruf an die Täufer „in bestimmter Zeit ihre Sachen dahin zu richten, daß sie für allen Schaden und verkündeter Exekution aus unserem Gebiet und Hoheit abziehen und an diejenige Ortschaft entweichen, wo sie Schutz und Schirm genießen". In diesem Erlaß zeigt sich deutlich die milde Herrschaft des Grafen, an die man in Schleiden in späteren schweren Zeiten noch lange wehmütig zurückdachte. Auch die Täufer schienen mit seiner Nachsicht zu rechnen, denn sein Befehl blieb unbeachtet. Schließlich ging der Graf 1586/87 schärfer vor: innerhalb von acht Tagen sollten die Täufer das Schleidener Gebiet verlassen. Wenn sie sich widersetzen würden, sollten ihnen die Kamine eingeschlagen und die Güter konfisziert werden. Gleichzeitig lesen wir in der Rechnung des Schleidener Rentmeisters Johannes Demeradt von neuen Strafen: „Item als die Wiedertäufer zu Wollseiffen und auf der Rur (Einruhr) etliche Mal aus meines gnädigen Herren Land zu ziehen oder aber sich christlicher Religion gemäß zu verhalten, gebot bekommen und doch darüber eins noch das andere gehalten, sondern auf ihrer Meinung geblieben und gleichwohl auch im Land verharret, hat wohlgemelter mein gnädiger Herr ihnen zur Strafe abzufordern wegen des Ungehorsames

befohlen zweihundert Thaler, darauf ich empfangen am 31. Januar 118 Thaler und bitten damit los zu sein." Das abgelegene Einruhr wurde zum Zufluchtsort vieler vertriebener Täufer; der Graf von Schleiden duldete sie dort, weil sie sich ruhig verhielten und öffentlich nicht in Erscheinung traten.


Einruhr, Haus Nr. 38 - gilt als Versammlungsstätte der Wiedertäufer

In Walter Scheiblers „Geschichte der evangelischen Gemeinde Monschau" erstmalig veröffentlichtem, 138 Seiten umfassenden Protokoll von 1597 sind alle Wiedertäufer in der Monschauer Gegend alphabetisch aufgeführt samt allem Besitz an Haus, Hof, Grundstücken, Mobiliar, Vieh, Getreide usw., der ihnen genommen worden ist. In diesem Zusammenhang interessieren uns die Namen der Wiedertäufer aus Einruhr und dem Rurtal überhaupt: „Arndts Heinrich und sein Hausfrau, Dedenborn, hatte Land in Rauchenauwell und Diepenbach; Churstgen Hüttermans, auf Pleus Hammer (Pleushütte) geboren und gewichen auf jen seits von der Rhuiren an St Niclais brüggen (Einruhr); Gerhardts Theis und sein Hausfrau auff Dedenborn; Heinrich Schoemacher vide Arndts Heinrich und sein Hausfrau, Dedenborn; Hermans Johann der jung, auf der helden (Ruhrberg); Hammers Schmit Hein, Pleus Hammer; Hüttenmans Hein, dieser ist auf Pleus Hammer im Ambt Monjoie geboren, dann verzogen und wegen der Widerthauf auf jen Seits von der Rhuiren in die Herrschaft Schleiden verwichen, daselbst nun etliche Jair hausgehalten; Nellis Thomas, in den Merdersbergen (Ruhrberg); Pleus Churstgens Jentgen, auff Pleus Hammer; Pleus Churstgens Peter, auff der Rhuiren an St Niclais brüggen; Peter Hammerscheidt, auff der Rhuiren; Theis Gerhardts, auch Gerhartz Theisgens, Dedenborn; Theis zu Trimborn, Kesternich, auf pleus Hammer im Ambt Monjoie geboren und verzogen und auf die Schleidische Seidt verwichen."

Der Besitz dieser Täufer wurde eingezogen, doch versuchten sie des öfteren, bei Nacht und Nebel einen Teil ihrer Habe aus den verlassenen Häusern zu holen: „Und obwoll es der Ambtmann solchen sowohl gütlich als ernstlich gewehrt, hat es doch mit allem nit geholfen, sondern das ketzerisch Volk, je länger je mehr zugenommen, ob nun woll dieselben ausgewichen, hatten sie sich doch in die nechste angrenzende Schleidische und andere Oerter begeben, bei nacht und von Zeiten heimlich in ihre Häuser zu schleichen und von den confiscirten gütern hinweg zu füren und andere Unterthanen in ihren Irrtum zu ziehen." Von den Boten, Schützen und Streifkorps, die die Häuser der Täufer niederzureißen hatten, entlaufene Täufer suchten und sie daran hinderten, aus ihren Häusern ihr Eigentum fortzuschaffen, wird an einer Stelle berichtet: „sie haben nach vollbrachter Arbeit wacker gezecht."

Auch im 17. Jahrhundert wurde verschiedentlich noch der Versuch unternommen, die Wiedertäufer auszurotten. Wie alle gewaltsamen Versuche schlug auch der des Monschauer Rates fehl, der zwar 1638 zwölf Täufern den Aufenthalt erlaubte, ihnen aber das Heiraten verbot. Erst gegen Ende des Jahrhunderts wurde den Täufern Anerkennung zuteil, sie erhielten die Erlaubnis, in Einruhr eine Gemeinde zu gründen. Manche erhielten sogar einen Teil des konfiszierten Eigentums zurück. Die Einruhrer Wiedertäufergemeinde schloß sich den Mennoniten an, in deren Gemeinden in den umliegenden Städten, vor allem auch in Holland, man für sie Kollekten abhielt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam es schließlich zu einem Zusammenschluß mit der reformierten Gemeinde in Gemünd. Erst in dieser Zeit konnten sie einen eigenen kleinen Friedhof in Einruhr anlegen, nachdem sie über 200 Jahre ihre Toten in den Hausgärten begraben mußten.

Die Zahl der Wiedertäufer begann jedoch schon sehr stark abzunehmen, eine Anzahl soll damals ausgewandert sein, manche Familien starben auch aus. Im Laufe der Zeit hatten sie, deren Vorfahren als Flüchtlinge ohne Hab und Gut nach Einruhr gekommen waren, durch zähe Arbeit großen Wohlstand erworben. Die Aussagen alter Einruhrer stimmen darin überein, daß die Täufer durchweg die stattlichsten Häuser und die besten Ländereien in Besitz hatten. Überhaupt war das Verhältnis zwischen den Wiedertäufern und ihren katholischen Nachbarn ein denkbar gutes. Obwohl er der einzige Nichtkatholik des Ortes war, wählte man Daniel Becker, den Letzten der Täufer, zum Ortsvorsteher. Er übte dieses Amt viele Jahre hindurch bis zu seinem Tode 1886 aus. Nachdem man ihn auf dem kleinen Friedhof begraben hatte - auf Geheiß des Ortspfarrers läuteten dabei die Glocken der Pfarrkirche -, sagte einer der alten Bauern: „Einen Mann, wie der Tote gewesen, gibts unter uns nicht mehr. Er war einzig, und er war der Beste von allen. Wir haben einen Vorsteher gehabt, wie wir keinen wieder bekommen werden." Mit diesem Mann, hochverehrt von allen seinen Bekannten, der ein Vertrauter des Landrats Freiherr von Harff war, ging die Geschichte der Eifeler Wiedertäufer zu Ende, die zwei Jahrhunderte hindurch eine von heldenhaftem Leiden erfüllte Geschichte ist. Manches erinnert heute noch an die Täufer und ihren Glaubenskampf: die Gräber in den Gärten, auf die man von Zeit zu Zeit zufällig trifft, eine Anzahl Flurbezeichnungen und der kleine Friedhof mit dem einen Grabstein, auf dem eine Bibelstelle steht und die Worte: Der Letzte der Familie Becker. Der Überlieferung nach soll das Haus Nr. 38 den Täufern früher als Versammlungsstätte gedient haben. Einige Fenster des Hauses hatten bunte Verglasung, von denen eine die Inschrift „Anno 1663" gezeigt haben soll.

Literatur und Quellen:

W. Günther, Die Reformation und der Kampf um ihren Bestand in der Nordeifel, Schleiden 1933.
W. Scheibler, Geschichte der evangelischen Gemeinde Monschau, Aachen 1939.
Julius Otto Müller, Aus den Eifelbergen, Langenberg 1887.
W. Siebel, Die evangelische Gemeinde Schleiden, Schleiden 1936.
Archiv der evangelischen Kirchengemeinde Schleiden.

Quelle: Heimatkalender Kreis Schleiden 1954

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