Ein verschwundenes Waldgebiet

Zur Geschichte des Holzheimer Waldes

Von Dietrich Graf v. Nesselrode


In der Bundesrepublik Deutschland hat die Waldfläche seit 1950 um 500.000 Hektar zugenommen, eine im Vergleich zu früheren Jahrhunderten ungemein positive Entwicklung. Im Mittelalter war die Gewinnung landwirtschaftlicher Nutzfläche zu Lasten des Waldes eine Überlebensfrage für die Menschheit; sie wurde als kulturhistorische Tag gewertet. Große Rodungen gingen im 8. und 9. Jahrhundert von den Klöstern aus. Starke Bevölkerungszuwächse hatten am Ausgang des Mittelalters erneut Rodungswellen und damit weitere Rückgänge der Waldflächen zur Folge. Später war es weniger der Bedarf an landwirtschaftlicher Nutzfläche, der zu einer allmählichen Entwaldung führte. Ursächlich hierfür war vielmehr ein gewaltiger Holzbedarf, der in der Eifel vo allem durch die erstarkende Eisen- und Metallindustrie ausgelöst wurde. Erst im 19. Jahrhundert nahm die Bewaldung durch großflächige Aufforstungen, vorwiegend von Heideflächen, wieder zu. Allenfalls waren es militärische oder wasserwirtschaftliche Nutzungen (Truppenübungsplätze, Talsperren), die zu Waldverlusten führten 1). Erst in den Hungerjahren nach dem 1. Weltkrieg war es wieder der Bedarf an landwirtschaftlicher Nutzfläche, der, begünstigt durch das Reichssiedlungsgesetz von 1919, in Einzelfällen auch zur Rodung und landwirtschaftlichen Aufschließung von Waldflächen führte. Ein Beispiel hierfür ist der frühere „Holzheimer Wald“.

Karte Lohschlag „Holzheimerwald“ - Gemeinde Holzheim


Aufmaß eines Waldbestandes im Holzheimer Wald durch den Geometer Philipp Böhmer, Bachrevier, vom Februar 1893. Es wurden 25 Lose mit jeweils einem Morgen gebildet.


Lage, Eigentumsverhältnisse und Bestockung

Das in der Tranchot-Karte von 1808 als „Holzmer Busch“ bezeichnete Waldgebiet lag auf einem kleinen, vom Buntsandstein gebildeten Höhenrücken zwischen Krebsbach und Holzsiefen. Es umschloß die Ortschaft Holzheim mit einem bis zu 500 m breiten Feldgürtel im Westen und Südwesten und endete in der Nähe der Heistardburg. Im Norden, und zwar im Bereich der heutigen Straße „Zur Nöck“, reichte der Wald bis unmittelbar an den Ort Holzheim heran. Er erreichte in Ost-West-Richtung einen Durchmesser von einem Kilometer und erstreckte sich von hier in nördlicher Richtung bis Breitenbenden, wo er in Form einer schmaler werdenden Zunge auslief.

Nach einem 1859 erstellen „Verzeichniß der der Gesellschaft von Meinertzhagen und Gebrüder Kreuser in Cöln zugehörigen Grundgüter“ in der damaligen Bürgermeisterei Vussem gehörte zu deren Besitz auch der Holzheimer Wald mit einer Größe von etwa 330 Morgen (82,50 Hektar). Er wird als „Mittelwald“ bezeichnet, was auf einen gewissen Vorrat hochstämmigen Laubholzes hindeutet 2). Der in dem genannten Verzeichnis aufgeführte Grundbesitz wurde damals in vollem Umfang in den neugegründeten Mechernicher Bergwerks-Actien-Verein eingebracht, wo er bis kurz vor dessen Auflösung (1908) verblieb. Über die Nutzung in dieser Zeit ist sehr wenig bekannt. Wir wissen nur über immer wieder stattfindende Vermessungen großer Waldstücke, welche der Abgrenzung von „Lohschlägen“ und deren Einteilung in Lose dienten. Solche Waldvermessungen fanden 1887, 1892, 1893 und 1894 („Am Dresch“) statt. Die gebildeten Lose hatten die Größe von ungefähr einem Morgen (2.500 qm). Sie wurden versteigert und dienten als zusätzliche Erwerbsquelle der Landbevölkerung, welche in der Zeit geringer Feldarbeit (Mai, Juni) durch Gewinnung der begehrten Eichenlohe ein Zubrot verdienen konnte. 3).

Durch Vertrag von 11. September 1907, abgeschossen vor dem Notar Carl Alberts zu Gemünd, verkaufte der Berggraf Emil Kreuser als Vorstand und Generaldirektor des Mechernicher Bergwerks-Actien-Vereins dessen Waldbesitz in der Gemeinde Holzheim in einer Größe von 83,59 Hektar 4) an den Kölner Bankier Carl Theodor Deichmann. Dieser konnte seinen Waldbesitz in Holzheim bis 1913 auf knapp 96 Hektar vergrößern. Wenig später erwarb Deichmann auch den unmittelbar neben der Holzheimer Kirche gelegenen „Holzheimer Hof“, dessen Wohngebäude das heutige Pfarrhaus ist 5). Bewirtschafter dieses Hofes war Franz Kuck und ab 1927 dessen Bruder Hubert Kuck. Carl Theodor Deichmann ließ 1913 ein Forstbetriebswerk erstellen, dessen Textteil leider in den Wirren des 2. Weltkrieges verloren gegangen ist. Immerhin ermöglicht die vorhandene Forstkarte noch eine Übersicht über die Waldbestände „Pützfelderbusch“, „Am Dresch“, „An der Nück“, „Am Butterpfädchen“ und „Im Erlenbruch“. Neben einem hohen Anteil an Eichen-Schälwald war, vor allem in den Forstorten „An der Nück“ und „Am Butterpfädchen“, die Buche stark vertreten. Sie wurde immer wieder durch kleinere, offenbar neu angepflanzte Fichtenbestände durchbrochen. Insgesamt muß die Baumartenverteilung etwa folgendermaßen ausgesehen haben: Buche: 26,5 Hektar; Eiche: 42,98 Hektar; Fichte: 19,003 Hektar; Kiefer: 4,69 Hektar; Blöße 2,67 Hektar; insgesamt: 95,62 Hektar.


Forstbetriebskarte des Holzheimer Waldes aus dem Jahr 1913. Die Karte gibt noch Aufschluß über die Verteilung der Baumarten.


Abholzung und Umwandlung

Am 15. November 1928 verkaufte Carl Theodor Deichmann seinen land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitz in Holzheim an Alfons Petit aus Straßburg. Um das Genehmigungsverfahren nach dem Reichssiedlungsgesetz zu beschleunigen, schloß Petit im Januar 1929 mit dem Präsidenten des Landeskulturamtes, Friedrich Hess, einen Vertrag, worin er seinen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an den Holzheimer Hof an die Gemeinde Holzheim abtrat. Nach einer größeren Fällungsaktion im Mechernicher Wald begannen Petit und sein Geschäftspartner, der Holzhändler Karl Köhl aus Kehl, im November 1929 mit dem Einschlag der Buchenbestände im Holzheimer Wald 6). Petit hatte sich gegenüber einer Einkaufsgesellschaft der Reichsbahn zur Lieferung von 10.000 Buchenschwellen verpflichtet. Im Februar 1930 wurde ein zuvor in Burgfey betriebenes „fliegendes Sägewerk“, dessen Eigentümer der Unternehmer Alois Haindl aus Pleinsfeld (Bayern) war, nach Holzheim verlegt, wo umgehend mit dem Einschnitt der Buchenschwellen begonnen wurde. Die fertigen Schwellen wurden sodann per Bahnversand an die Tränkanstalt in Nievenheim ausgeliefert. Das Geschäft an dessen Durchführung zum Teil 40 Arbeitskräfte beteiligt waren, war im Juli 1930 abgeschlossen.


Aufstellungsplan für ein wanderndes Sägewerk mit einem Vollgatter


Zeichnungs Nr. 2363

Fliegende oder wandernde Sägewerke hatten praktische Bedeutung in Windwurfgebieten oder auch in größeren Kahlschlägen an abgelegenen Orten. Leider liegen Pläne über das im Holzheimer Wald eingesetzte fliegende Sägewerk nicht vor. Ein Aufstellungsplan für ein solches Werk ist abgebildet in dem Standardwerk von Robert Lippmann: „Anlage, Einrichtung und Betrieb des Sägewerkes“ (Jena, 1923). Das fahrbare Gatter ist in einer Erdgrube so weit versenkt, daß das Rundholz ebenerdig bewegt werden kann. Eine fahrbare Lokomotive mit einer Leistung von 30 - 40 PS gibt die Antriebskraft durch Triebriemen auf das Schwungrad weiter.


In der Folgezeit beschäftigte sich Petit mit dem Gedanken das kahl geschlagene Gelände zu roden und für landwirtschaftliche Nutzung aufzuschließen. Es kam zu Verhandlungen mit dem damaligen Mechernicher Bürgermeister Dr. Felix Gerhardus 7), die dann aber im Sande verliefen. Im Herbst 1933 nahm Petits Vertreter, Rechtsanwalt Dr. Grüne aus Bonn, Verhandlungen mit der Siedlungsgesellschaft „Rheinisches Heim“ 8) auf, welche sich an einem Erwerb zu Siedlungszwecken interessiert zeigte. Der Holzheimer Wald war damals zum überwiegenden Teil Blöße geworden; in folgendem Umfang waren noch Waldbestände vorhanden: 12,87 ha Fichte, davon etwa fünfzig Prozent 20-jährig, fünfzig Prozent 35-jährig; 33,10 ha Eiche, davon 25 Prozent 10-jährig, 75 Prozent 30- bis 50-jährig.

Nach eingehenden Besichtigungen und Verhandlungen wurde am 7. Juli 1934 vor dem Vorsteher des Euskirchener Kulturamtes, Regierungsrat Wachendorf, der Verkauf einer etwa 100 Hektar großen Grundfläche an die Siedlungsgesellschaft „Rheinisches Heim“ beurkundet. Alfons Petit wurde die Nutzung der verbliebenen Fichtenbestände zugestanden, welche er im August 1934 in Angriff nahm. Nach dem zwischenzeitlich in Kraft getretenen Reichsgesetz gegen Waldverwüstung bedurfte Petit hierzu einer Schlagerlaubnis, welche auch erteilt wurde. Im Februar 1935 wurden in einer Versammlung, welche in der Gaststätte Reuschenberg in Holzheim abgehalten wurde, die Bedingungen bekannt gegeben, zu denen ein Landerwerb von Anliegern möglich war. So konnten 25 Landwirte aus Holzheim und Breitenbenden ihre Betriebe vergrößern 8). Mit der Kultivierung des Siedlungslandes wurde im Sommer 1935 begonnen. Das Gelände wurde nach Beseitigung der Wurzelstöcke 25 cm tief gepflügt und sodann mit 10 Zentnern Kalk je Morgen bestreut. Den Kalk lieferte die Firma Bünder aus Euskirchen. Die neu geschaffenen Ackerflächen wurden durch Querwege aufgeschlossen. Im Januar 1936 legte der neue Euskirchener Kulturamtsvorsteher, Regierungsrat Dr. Künstler, auch einen Entwurf zur Dränung der Siedlungsfläche vor. Mit Ablauf des Jahres 1936 waren schließlich die letzten, zur Kultivierung noch erforderlichen Arbeiten abgeschlossen. Dem Wald vorbehalten blieben lediglich allerärmste, zudem oft durch frühere Entnahmen gestörte Standorte. Bis auf diese Restflächen war der Holzheimer Wald landwirtschaftliche Nutzfläche geworden 10).


Am Beginn der Straße „Zur Nöck“ steht eine einzelne, starke Buche. Hat sie als letzer Zeuge der 1930 eingeschlagenen Holzheimer Buchen überlebt?


Landschaftsveränderungen in jüngster Zeit

Zu Anfang der 80er Jahre wurde das Krebsbachtal mit einer großen Brücke für die neu gebaute Autobahn A 1 überspannt. Unmittelbar hinter dieser Brücke wurde die Autobahnabfahrt Mechernich/Bad Münstereifel mit einer ebenfalls neuen Zubringerstraße angelegt. Diese Verkehrswege führen durch Wiesen und Felder. Kaum jemand weiß, daß sich hier vor 70 Jahren ein geschlossenes Waldgebiet befand. Verblieben sind nur kleinere eichen- und Fichtenbestände zwischen Autobahnabfahrt und der alten Straße Breitenbenden - Holzheim sowie am westlichen Rand des früheren Holzheimer Waldes, nahe von Vussem. Die meisten Eigentümer dieser Waldflächen sind der Fortbetriebsgemeinschaft Bad Münstereifel beigetreten, welche einen Beförsterungsvertrag mit dem Landwirtschaftskammer-Forstamt Bad Münstereifel unterhält.


Quellen:

  1. vgl. Oelmann/Paul/Lückerath, Höhere Forstbehörde Rheinland: Waldflächenentwicklung im Rheinland 1820-1990, 1. Auflage August 1995, S. 40.

  2. Bei der Mittelwaldnutzung, einer schon im 16. Jahrhundert durch Gesetze geregelten Betriebsart, wurde die Nutzung des Niederwaldes mit einer Nutzung des Kernholzes aus dem Hochwald kombiniert; vgl. Dominik, Lexikon für den Waldbau, Landwirtschaftsverlag, Münster 1995, „Mittelwald“. Während der Niederwald in etwa 20-jährigem Umtrieben genutzt wurde, blieben im Mittelwald einige hochstämmige Bäume als Samenbäume und für spätere, höherwertigere Nutzungen erhalten.

  3. Leduc, Norbert: Kommern - ein ortskundliches Lexikon, 2 Bände (A-K und L-Z), Rheinland Verlag, Bonn 1979 und 1981, „Lohe“.

  4. Seit 1859 hatten also Flächenveränderungen nur in ganz geringem Umfange stattgefunden.

  5. Zu dem Gebäude vgl. Wackenroder, Ernst: Die Kunstdenkmäler des Kreises Schleiden, Schwann Verlag Düsseldorf 1932, S. 194.

  6. Vgl. auch Vereinskartell Holzheim: Lebendiges Holzheim 893 - 1993 / Festschrift zum 1100-jährigen Ortsjubiläum, S. 37 f.

  7. Dr. Felix Gerhardus, geb. 1895, gest. 1973, von 1927 bis 1933 Amtsbürgermeister in Mechernich, später von 1949 bis 1960 Oberkreisdirektor in Schleiden.

  8. Siedlungsgesellschaft „Rheinisches Heim“ mbH mit Sitz in Bonn, Endenicher Allee 60. Beschäftigte sich seit 1933 mit der Bauernsiedlung. Kaufte von 1916 bis 1941 9.194 Hektar Siedlungsgelände auf, wovon sie 3.879 Hektar wieder ausgab.

  9. Fehn, Klaus: Ödlandkultivierung und ländliche Neusiedlung in der preussischen Rheinprovinz während des dritten Reiches, Rheinische Vierteljahresblätter, Jahrgang 48/1984, S. 275 ff. (282).

  10. vgl. im Einzelnen Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, RW 128 (Rheinisches Heim), H 50 und H 56 (Holzheim)

Aus: Kreis Euskirchen, Jahrbuch 1999

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