„Meist ein büßender Geist“

Weiße Frauen in den Sagen aus der Eifel

Von Annekethe Barthel


Im Sagenschatz der Eifel gibt es eine Reihe von Sagen, die die „weiße Frau“ thematisieren. Hier sollen vor allem Sagen aus dem Kreis Euskirchen vorgestellt werden.

Vielfach werden die weißen Frauen, vor allem wenn sei zu dritt erscheinen, von den keltischen Matronengottheiten abgeleitet oder auch als Schicksalsschwestern der Nachtgöttin Hele verstanden, die vor dem Herannahen des Lichtgottes fliehen. Verbunden mit diesem Sagentypus ist abe vielmehr die Vorstellung von umgehenden toten und allerlei Spukgestalten, die von eben diesem Schicksal des Umhergehens erlöst werden wollen. Kommen Wesen aus dem Jenseits ins Menschenreich, dann erscheinen sie häufig in weißen Farben, d.h. die Farbe Weiß steht für jene Welt, die vom Bereich der Lebenden durch die Grenze des Todes getrennt ist.

Die weiße Frau als umgehender Geist ist meist ein büßender Geist, der wegen der Schuld (Verfehlung zu Lebzeiten) keine Ruhe findet und nun auf die Erlösung hofft, die ihm aber nur in der Welt der Lebenden zuteil werden kann, denn ein Toter kann sich nicht mehr selbst helfen. Die weiße Frau bietet oft Schätze für ihre Erlösung an, ist daher oft als Schatzhüterin charakterisiert. Erlösbare Geister erscheinen weiß (meist lange weiße Gewänder und/oder Haare, manchmal als gespenstisch beschrieben, was die Farbe Weiß assoziiert) oder schwarz und weiß; Geister, deren Erlösung ausgeschlossen ist, sind ganz schwarz, haben nichts Weißes mehr an sich. Aber auch schon erlöste Geister könne noch erscheinen und sind dann in jedem Fall ganz weiß. Mitunter heißt es, daß die Spukgestalt verschwunden ist, womit dann gemeint ist, daß sie nun ihre „ewige Ruhe“ erreicht hat.

Die weißen Frauen gehen meist in unbewohnten Bezirken um, wo mitunter einmal ihre Wohnstätte war (oft Ruinen ehemaliger Burgen), inder Natur, hier oft im Wald oder in der Nähe von Wasser.

„Die drei Juffern in der Kindshardth“ (Guthausen I. S. 56), einem Wald bei Schleiden, entsprechen diesem Typus, bzw. es sind alle erwähnten Faktoren zumindest angesprochen: Sie trugen lange weiße, bis auf die Füße herabreichende Gewänder, auf dem Kopf ein schwarzes Seidentuch. Man konnte ihnen auf den Wegen des Waldes begegnen. So geschah es auch einmal einem Fuhrmann in aller Frühe, daß eine Juffer aus einem undurchdringlichen Gestrüpp kommend an ihm vorbeischwebte. Die Einheimischen, so heißt es in dieser Sage, hielten sie für verwünschte Geister, die noch erlöst werden konnten. Man wagte nicht, sie anzusprechen, denn die Leute fürchteten sich vor ihnen, aber von sich aus sagten sie auch nichts. Sie wurden schließlich von einem Pater verbannt, heißt es hier, sodann seien sie verschwunden. Verbannung kann bedeuten, daß hier der Priester die Kraft besitzt, diese erlösungsheischenden, abe aus irgendeinem Grunde angsteinflößenden Frauen an unzugängliche Orte zu bannen, dadurch wäre ihnen dann für bestimmte Zeit oder immer die Möglichkeit der Erlösung entzogen. Denn der Mensch, der in Beziehung zu dieser anderen Welt tritt kann beides: erlösen sowie bannen. In den religionsgeschichtlich jüngeren Sagen sind christliche Heilmittel für die Erlösung von Belang.

Deutlich wird dies in der Sage von der „armen Seele“ (Guthausen I. S. 57). Einer Magd im Haus Drees in Alendorf erschien eines Abends beim Melken eine gespensterhafte, gebückte Frauengestalt und legte der erschrockenen Magd eine Hand auf den Kopf, wovon ein Abdruck wie eingebrannt auf dem Kopftuch zurückblieb. Auf den Rat eines Pfarrers fragte die Magd, die am nächsten Abend wiederkehrende Spukgestalt: „Was wünschst du?“. Sie bekam zur Antwort: „Gehe einmal für mich den Kreuzweg, den Kalvarienberg hinauf, denn ich versprach das einmal, als ich in Not war, habe aber dann mein Versprechen nicht gehalten. Deshalb kann ich in der Ewigkeit keine Ruhe finden.“ (Hier also ganz konkret die durch Schuld einer Unterlassung ruhelos umgehende Spukgestalt, die auf Erlösung seitens der Lebenden hofft, aber erst dazu kommt, als sie angesprochen wird!) Der Pfarrer beschloß nun, daß die ganze Gemeinde für die arme Seele den Kreuzweg bete, und also ward die geisterhafte Frau nicht mehr gesehen. Diese Wiedergängerin hat also durch Hilfe der Lebenden ihre ewige Ruhe gefunden.

Die weiße Frau, die einer Verfehlung wegen keine Ruhe im Jenseits findet, geht oft mit Jammern und Klagen umher, was ihr Bedürfnis nach Erlösung noch verstärkt aufzeigt. Die Sage „Zwei feindliche Schwestern“ (Guthausen I, S. 64), die auf einer Burg im Freilinger Wald lebten, berichtet von einer solchen schuldbeladenen Wiedergängerin. Ein hübscher junger Reitersmann wollte die jüngere Schwester zur Frau, was die Ältere zur Eifersucht trieb, so daß sie ihre Schwester umbrachte. Sie selbst heiratete dann zwar den Ritter, wurde jedoch schlecht behandelt von diesem und jammerte sich zu Tode, wie es in der Sage heißt. Sie fand aber im Tod keine Ruhe und geisterte jämmerlich klagend durch Wald und Feld, zuweilen in Gestalt einer weißgekleideten Juffer.

Die weiße Frau kann auch in allerlei Spukgestalten auftreten, sehr häufig als Schlange. Diese Schlangenfrauen, die auch als weiße Frau erscheinen können, können in bestimmten Zeiträumen von ihrem Schlangendasein erlöst werden, falls sich ein Erlöser findet. Dies ist aber an Bedingungen geknüpft, vornehmlich muß die Schlange geküßt oder aus ihrem Mund ein Schlüssel entwendet werden, dem Erlöser wird dann auch ein Schatz versprochen, doch diese Erlösung scheitert meist am Widerwillen gegen die Schlangenhaut o.äl., so z.B. „Die Schlange mit dem Schlüssel“ (Guthausen I. S. 92). Dieser Sagentypus ist allerdings nach der Sammlung Guthausen im Kreise Euskirchen weniger vertreten, eher im Bitburger Land.

Zum Repertoire der Sagen um weiße Frauen und Erlösung gehört aber auch die „blaue Blume“, in der Dichtung Inbegriff aller romantischen Sehnsucht nach dem Unendlichen. Sie kann stellvertretend für einen Schlüssel den Weg zu einem Schatz weisen. In „Die blaue Blume“ (Guthausen I, S. 14) fand ein Ritter im Lampertstal eine wunderschöne blaue Blume. Als er sie gebrochen hatte, tat sich ein Gang zu einem unterirdischen Gewölbe auf, und er erblickte eine schöne Jungfrau in weißem Gewand, die ihm Gold- und Silberschätze darbot. Er stopfte sich die Taschen davon voll und machte sich auf den Weg nach draußen, hörte aber nicht den Rat „Vergiß das Beste nicht“, und als er das Gewölbe verlassen hatte, waren seine Taschen leer und der Gang verschwunden, er hatte die blaue Blume vergessen, den Schlüssel zu den Schätzen. Und es heißt in der Sage, daß sie erst in 100 Jahren wieder blühen werde. Von Erlösung ist hier zwar keine Rede, die Sage gehört aber wahrscheinlich in die Gruppe dieses Sagentyps, denn die Motive deuten darauf hin. Es ist schließlich auch fraglich, was von der ursprünglich mündlichen Überlieferung noch übriggeblieben ist. Auf jeden Fall hat hier wieder eine Begegnung der Menschenwelt mit der jenseitigen Welt stattgefunden. Das unterirdische Reich ist dem Menschen aber nur auf Zeit bzw. zu bestimmten Zeiten sichtbar und geöffnet, ansonsten bleibt es unauffindbar, vor allem für den, der in Verbindung der Wunder „das Beste“ gesehen hat.

Die weiße Frau ist hier auf jeden Fall auch Schatzhüterin und diese ist ein weiteres häufiges Motiv. Manchmal treten sie auch als Schatzspenderin auf und schenken wohlwollen z.B. Blätter oder Früchte, die sich in Gold verwandeln, so z.B. in den Sagen „Die weiße Frau“ (Guthausen I. S. 81) oder „Das Buschweibchen“ (Guthausen I. S. 84).

Allerdings ist auch die Verwandtschaft des Wassers zur weißen Frau, hier wird ihr Wohnsitz angenommen. So heißt es von der „Juffer Fey“ (Guthausen I. S. 71) daß ihr Reich das Urfeyer Tal sei und sie dort die Quelle hüte, ebenso auch den Waldfrieden zu hüten sich bemühe. Wer am Sophientag (30.9.) seinen Weg durch das Tal nehme, nehme sich in acht (Mahnung: Aufgepaßt und nicht gelacht, heute ist aller Feyen Tag), denn wer die geheiligte Stille des Waldes stört, verirrt sich oder fällt in seinen Abgrund.

Der Mensch tritt in diesen Sagen als beobachtetes oder gar mithandelndes Wesen in Beziehung zur jenseitigen Welt, verkörpert von den weißen Frauen und ihren verschiedenen Erscheinungsformen. Am Rande gesagt: Es sind auch weißgekleidete Männer in ähnlichen Situationen anzutreffen, z.B. Pfarrer, die wegen Pflichtunterlassung auf Erlösung hoffen und sie dann durch Hilfe jenes Nachfolgers erlangen, z.B. „Das Gespenst im Kirchwald“ (Guthausen I, S. 52). Der Mensch kann dabei in Bedrohung geraten, wenn er die ihm gesetzte Grenze überschreitet (Waldfrevel in der Sage von der „Juffer Fey“), er kann ihr Wohlwollen durch Gaben erfahren, er besitzt aber auch die Kraft, di freiwillige oder gerufene Erlösung der armen Seelen zu bewirken, was aber nur unter bestimmten Bedingungen und zu bestimmten Zeiten möglich ist.

Verwendete Literatur

Karl Guthausen: Sagen und Legenden aus Eifel und Ardennen, Band I, Aachen 1992
Siegfried Beyschlag: Weltbild der Sage, in: Vergleichende Sagenforschung, hrsg. v. Leander Petzhold, Darmstadt 1969, S. 189-216
Richard Kühnau: Über weiße Frauen und die symbolische Bedeutung der weißen und schwarzen Farbe, in: Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde, 15, 1913, S. 186-207
Matthias Zender: Die Eifel in Sage und Dichtung, Trier 1900

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