Das Landschaftsbild des Kreises Euskirchen


Ein Überblick von Dr. Ludwig Mathar


Groß-Vernich
Foto: Landeskonservator Nordrheinland
Alte Ansicht des längst verschwundenen Burghauses nach einem Aquarell a.d.18. Jh. im Pfarrhaus in Groß-Vernich


Obschon der jetzige Kreis Euskirchen ein zusammengewürfeltes Gebilde aus den alten Jülicher Ämtern Euskirchen und Münstereifel, aus Teilen des Amtes Nideggen, aus den kurkölnischen Ämtern Zülpich und Lechenich, einem Teil des Amtes Brühl und des Amtes Hardt, aus dem Gericht Flamersheim ist, so ist er doch durch den Oberlauf der Erft, die in Holzmühlheim, an der Wasserscheide des Ahrgebirges, entspringt und sich bei Gymnich in die Alte und Neue Erft gabelt, landschaftlich ein naturgemäß entwickeltes Gebiet. Es ist ein getreues Spiegelbild seines Werdeganges.

Hoch ragen die Berge der Eifel und des Ahrgebirges wie die Zinnen einer gewaltigen Festung über dem langsam absinkenden Hügelgelände der Voreifel empor. Dieser Südteil des Kreises ist ein auf- und niederwogendes Berg- und Waldgelände, das von wenigen Dörfern, späten Rodungen (Houverath, Lanzerath, Rupperath, Mutscheid) besiedelt ist, von ein paar großen, von Münstereifel zur Ahr ausstrahlenden Straßen durchzogen wird und noch immer von unabsehbaren Wäldern bedeckt ist.


Münstereifel
Blick v. Johannistor
Foto: Landesbildstelle Niederrhein


Münstereifel, in dem sich hier schon anmutig weitenden Tale der Erft, ist das Eingangstor zu diesem Berg- und Waldgelände. Seit frühesten Zeiten des Tales Sperre durch vorgeschichtliche Ringwälle (Alteburg), durch römische Siedlung. Tor der Eifel für die Abtei Prüm, die dort in dem ihr von Bertrada, der Gemahlin des Königs Pipin, der Mutter Karls des Großen, geschenkten „Peterstal“ durch Abt Markwald das neue Münster gründete, die später die dreischiffige Stiftskirche mit ihrem mächtigen Westwerk erbaute. Umschlagplatz für den Handel aus der Ebene ins Gebirge, früh schon unabhängig von Stift und Stadt. Burg und Stadt der herzöge von Jülich, noch heute rings von Mauern mit vier Toren umgeben. Stadt der Zünfte, besonders der Tuchmacher. Heute noch Stadt mit lebhaften Durchgangsverkehr. Einziger Zugang zu des Kreises südlichem gebirgigen Teil.

Man muß einmal hoch oben auf dem Michelsberg (588 m) an der Brüstung des Kirchturmes des Michelskirchleins gestanden und im Westen auf die Kirche von Tondorf, im Süden auf den Arenberg, die Nürburg und die Hohe Acht, im Osten auf den Hochtürmen und den Hasenberg überm Sahr-Tal, ja bis zum Siebengebirge, im Norden bei klarem Wetter bis zu den Türmen des Kölner Domes hinübergeschaut haben, um die Herrlichkeit dieser wilden Gebirgswelt zu erfassen.

Man muß einmal, vom mittelalterlich umtürmten Münstereifel durch das Johannistor auf steilem Bergpfad ansteigend, durch das stille Höhendörfchen Rodert, durch prächtigen Buchenwald, am „Dicken Tönnes“ vorüber, durch unendlichen Hochwald zum Dorfe Effelsberg und talwärts nach Kirchsahr, wo ein Altarbild der Kölner Schule uns erfreut, ins Ahrtal nach Kreuzberg gewandert sein, um den berückenden zauber dieser Waldeinsamkeit kennengelernt zu haben. Welcher Blick von Hochtürmen (520 m) über Kirchsahr, den ein alter Ringwall umfängt, welche Aussicht vom hasenberg (471 m) auf die Höhenzüge der Ahr, die Eifelberge, das Siebengebirge! Welch einzigartiges Landschaftsbild!

Oder man pirscht sich von der alten Rodung Houverath auf der Wasserscheide zwischen Ahr und Erft, deren Thomaskirchlein aus dem 15. Jahrhundert wiederhergestellt worden ist, auf uralten Straßen und Pfaden durch den Flamersheimer Wald, der heute noch einer der größten Forste des deutschen Westens ist, der sich östlich bis Neukirchen, Todenfeld und Houverath, westlich bis Arloff, Kirchheim und Schweinheim, nördlich bis Palmersheim, Odendorf, Oberdrees und Rheinbach, südlich bis Effelsberg und Münstereifel erstreckt und den gewaltigen Umfang von 14.563 Morgen aufweist. Ein uralter Erbenwald, in dem bis zur französischen Revolution die Einwohner von Flamersheim, Palmersheim und Kirchheim als „rechte Erben“ uneingeschränkte und noch 350 sog. „Anerben“ und ebenso viele „Waldsassen“ beschränkte Holznutzung hatten. Ein gemeinschaftlicher Besitz, der von zwei adeligen Waldgrafen, sechs Waldschöffen und sechs Förstern, die teils von den Landesherrn ernannt, teils von den Waldberechtigten erwählt wurden, bewirtschaftet wurde. Ein Riesenforst zu aller Nutz und Frommen, der aber nach dem Revolutionsjahr 1848 in drei Abteilungen Palmersheim, Flamersheim und Kirchheim aufgeteilt und im Juni 1853 in 15 Verkaufslosen versteigert wurde, um drei Großgrundbesitzern zuzufallen. („Der Flamersheimer Erbenwald, ein preisgegebenes Gemeinwirtschaftsexperiment aus alter Zeit“, Kölnische Rundschau.)

Stundenlang kann man durch diese Waldesherrlichkeit wandern, bis man das neue, schön gebaute und wohleingerichtete Jugendheim des Kreises Euskirchen erreicht und von seiner breiten Terrasse über den Steinbachsee und den unabsehbaren Flamersheimer Wald den entzückten Blick schweifen läßt.

Wald und Wasser! Welche Wunderkräfte der Natur!

Überreich ist die Berglandschaft unseres Kreises mit Wäldern gesegnet.

Kaum haben wir vom Arloffer-Berg (420 Meter) noch einmal das unermeßliche Revier des Flamersheimer Waldes überblickt, da ragt jenseits der Wasserburgen von Arloff und Kirspenich die Waldeskuppe der Hardt vor uns auf, deren Burg in ein Forsthaus umgewandelt worden ist. Von ihrem Bergfried schauen wir über das an Römerfunden überreiche uralte Dorf Kreuz-Weingarten hinweg zum Billiger Walde hinüber, an dessen Nordost-Ende die überdeckten Ruinen des Römischen Marktes Belgica vicus festgestellt worden sind.

Rasch durchschreiten wir den Ort, „dessen ganze Anlage von Nordosten nach Südwesten die römische Heerstraße Köln-Marmagen-Trier durchzieht“. Durch dichten Fichtenwald schlendern wir langsam dahin. Endlich lichtet sich das Waldesdüster. Burg Zievel steilt vor uns auf, „angeblich auf den Fundamenten einer römischen Villa errichtet“; weit ist ihr runder Bergfried sichtbar.

Als wir Satzvey und seine schmucke Torburg, sein stattliches gotisches Herrenhaus verlassen haben, umgibt uns rechts und links des Veytales, das einst der römischen Wasserleitung den Weg wies, das heute von der Eisenbahn Köln-Trier durchquert wird, wiederum das Schweigen des von Schaven bis Weiler auf dem Berge sich dehnenden Waldes. Auch das uralte, an der Straße Euskirchen-Gemünd langgestreckte Dorf Kommern, wo Funde eine Siedlung der Alt- und Jungsteinzeit bewiesen haben, wo Fachwerkhäuser des 16. Jahrhunderts das Auge erfreuen, ist von Nadelwaldungen umrauscht.

Von Kommern im Südwesten des Kreises bis Rupperath im äußersten Südosten sind die Zinnen des Erftlandes mit unablässigen Waldungen geschmückt.

Auf den Höhen der Voreifel erinnern die großen Tonlager, die sich von Arloff über Antweiler, Satzvey, Firmenich bis nach Schwerfen erstrecken, an jene Zeit des erdgeschichtlichen Känozoikums, wo sich am Fuße der Berge in großen Binnenseen riesige Tonmassen absetzen. Diese mächtigen Lager quarzhaltigen Tones von ausgezeichneter Qualität, der dort seit fast hundert Jahren ausgebeutet wird und noch lange nicht erschöpft ist, der besonders in Lessenich von bester Verwendbarkeit ist, haben außer in Euskirchen in Firmenich, Zülpich und Antweiler eine rege Industrie von Dachpfannenfabriken und Steinzeugröhren entstehen lassen, die vor dem ersten Weltkrieg sogar bis nach Finnland verfrachtet wurden. Die Satzveyer Ton- und Kaolinwerke, die neue Grube Virnich, die Grube Kalkar, wo schon durch Öfen und Inschriften militärische Kalköfen und Ziegeleien der Römer bezeugt sind, die Arloffer Fabrik, diese ganze Tonindustrie schöpft aus dem Reichtum der Heimaterde („Unsere Tonindustrie“, „Die Industrie im südlichen Kreisgebiet“, Kölnische Rundschau 22.4. 1948). Dennoch ist dieses Hügelgelände zwischen Schwerfen und Arloff nicht eintönig. Schmucke Wasserburgen (Satzvey, Antweiler, Wachendorf, Arloff, Kirspenich), freundliche Dörfer, das alles umrahmende Waldesgrün beleben das zwischen Erft und Vey sich wölbende Land.


Alte Schmiede in Lommersum
Foto: Schmitz-Franke, Euskirchen


Fruchtbares Ackerland ist die Ebene zwischen dem Vorgebirge und den Eifel-Vorbergen. Das ist das Land, das sich bei Ende der Diluvialzeit mit den Terrassen der sich immer tiefer einnagenden Flüsse und Bäche mit breiten Talböden bildete. Eine weite Ebene zwischen Rur und Erft, einst das Bett eines Armes des Urrheins.

Der Pflug des fränkischen Siedlers hat auf dem schon von den Römern kultivierten Boden ein fruchtbares Ackerland, eine Kornkammer geschaffen. Unabsehbar wogt dort im Frühjahr die Saat, im Herbst die Ernte. Die Zuckerrübe gedeiht auf Riesenflächen.

Schon im Schatten des Flamersheimer Waldes breitet sich fruchtbares Gefilde, in dem aber auch die Industrie aufblüht (Lederindustrie in Flamersheim, Tuchindustrie in Kuchenheim). Kein Wunder, daß auf solchem Boden sehr früh die fränkischen Bauern siedeln, daß bereits im 9. Jahrhundert in Flamersheim eine villa regia, ein Königshof, erwähnt wird, daß in Schweinheim bei Kirchheim, nahe der Steinbachsperre, 1238 ein Zisterzienserinnen-Kloster entstand, von dem noch das Äbtissinnenhaus und ein rundbogiger Kreuzgang erhalten sind.

Dorf reiht sich an Dorf in den Niederungen der Erft, des Rothen-Baches, des Neffel-Baches.


Burg Satzvey
Foto: Landeskonservator Nordrheinland


Weit breitet die Kreisstadt Euskirchen sich an der Mündung der Erft und des Vey-Baches. Ein Kranz von alten Siedlungen, Euenheim, Wißkirchen, Elsig, Kessenich, umblüht die Stadt alter und neuer Industrie, eines immer reger ausstrahlenden Eisenbahnverkehrs nach Trier, Düren, Bonn, Münstereifel.

Ein Garten, den Mühlen, Burgen, alte reiche Dörfer (Lommersum, das einst brabantisch-spanische mit alter Kirche und altem Rathaus, Groß- und Klein-Büllesheim, Derkum, Groß- und Klein-Vernich, Weilerswist, Bliesheim) beleben, ist die Erft-Niederung. Im Schutze der Niederterrasse, die Landstraße und Eisenbahn nach Köln benutzen und die einer ganzen Reihe großer Siedlungen reichlich Platz bietet, breitet sich das fruchtbare, von zahlreichen Wassergräben durchzogene, von Mühlen durchrauschte, von wenigen Übergängen durchquerte Wiesengelände der Erftniederung von Euskirchen bis Weilerswist aus, wo sich der Swistbach, das Kind des Ahrgebirges, der lebensspender zahlreicher Siedlungen, in das weitgedehnte Talbett ergießt.

Ebenso fruchtbar ist das Tal des Roth-Baches, der an den Vorbergen der Eifel bei Eicks entspringt, mit seinem Nebenbach, dem Bleibach, die weite fruchtbare Ebene zwischen Erft und Neffelbach bewässert, die Stadtgräben von Lechenich füllt und sich endlich bei Brüggen am Vorgebirge in der Erft verläuft. Auch seine breite Talniederung ist uraltes Kurlturland. Eine ganze Reihe von Römerorten auf -acum, Sinzenich (Sentiniacum), Lövenich-Linzenich, Ülpenich (Ulpiacum), Nemmenich (Nemmentiacum), Ober- und Nieder-Elvenich (Albiacum), Wichterich, an der Mündung des Bleibaches, Lechenich (Liciniacum), begleitet seinen trägen Lauf. Eine ganze Kette von Wasserburgen hat im Mittelalter diese fruchtbare Niederung beschützt, die Burg von Sinzenich, Haus Busch in Elvenich, die Burg von Mülheim und Haus Pesch, die fünf Wasserburgen von Friesheim, die gewaltige kurkölnische Landesburg Lechenich. Auch die Klöster fühlten sich dort wohl, die Tertiarier zu Sinzenich; die Kölner Domherren hatten in dem fruchtbaren Lande ihre Herrschaften und Burgen, wie der Domdechant zu Niederberg, das Domkapitel zu Friesheim.

Das Tal des Bleibaches, der in Mülheim-Wichterich in den Roth-Bach mündet, ist ein gleiches Paradies der Fruchtbarkeit. Längs einer steilen Niederterrasse zieht ein breiter Wiesenstreifen dahin, durch den sich der Bleibach gemächlich schlängelt, der vom Mechernicher Bleiberg herab, an Kommern, Schaven vorüber, an Firmenich (Firminiacum) und seiner Burg, an Obergartzem, dessen romanisches Kirchtor versetzt worden ist, vorbei, im engen Tal, Mühlen treibend, seinen Weg gesucht hat. Behäbig häufeln sich alle Dörfer beiderseits auf der Niederterrasse, die von 198 m über Enzen bis 142 m über Haus Busch langsam sinkt: Enzen, dessen Königsgrab an die Merovinger erinnert, wo ein Matronenstein in einem fränkischen Grabe gefunden worden ist, wo, an der „breiten Straße“ nach Tolbiacum, zahlreiche Ziegelreste, Grab- und Münzfunde auf eine römische Ansiedlung hindeuten (v. Veith), von wo, nach Eick, eine „Heerstraße“ über Dürscheven, Frauenberg und Wichterich nach dem Laacher Hof zwischen Friesheim und Liblar führte, wo sie in die Hauptstraße Trier - Zülpich - Köln mündete. Eng schmiegt sich Frauenberg an die Niederterrasse. Seine romanische Kirche, von Erzbischof Anno dem Stift St. Georg geschenkt, dem Kelch des Erzbischofs, ein romanischer Weihwasserkessel (im Bonner Provinzial-Museum) erweisen hohes Alter. Sein Triptychon von der Hand des Kölner Meisters von St. Severin zeugt für die hohe Kultur dieses Dorfe. An die Terrasse, deren Höhe die Kreisbahn Euskirchen - Lechenich - Liblar benutzt, steigt langgestreckt Ober-Wichterich hinan, während das Hauptdorf sich zwischen Bach und Terrasse dehnt. Im Tale des Roth-Baches zieht sich Mülheim hin, dessen Burg und Haus Pesch in den Uferwiesen nisten.


Erftlandschaft „An der Erft“
Foto: Schmitz-Franke, Euskirchen


Immer weiter wird die Niederung dieses vor Niederberg sich gabelnden Wasserlaufes, der Burgen und Mühlen bedient. Welch gesegnete Fluren! Ja, hier, in der Burg zu Niederberg, fühlten sich die Herren Kölner Domdechanten wohl. Für die Johanniskirche des Dorfes haben sie wohl Stephan Lochners „Anbetung des Christkindes“ gestiftet, dieses kleine „Wunder in Farben“, einst die Oberseite einer Burse, das seit 1927 eine Zier des Kölner Diözesan-Museums ist. Nicht weniger als fünf alte Burgen haben Friesheim wehrhaft gemacht, das unter der Herrschaft des Kölner Domkapitels stand und schon 1465 ein Siegel hatte. Drei dieser Wasserburgen, die Wismars-Burg, die Quentels-Burg, sind noch erhalten und wiederhergestellt.

In dem wasserreichen Gelände zwischen der Erft und dem Erftmühlen-Bach, das die weiter Ebene zwischen Lechenich und Liblar füllt, dehnt sich Bliesheim hin, dessen Gemüsereichtum vielbesuchte Versteigerungen geschaffen hat. Kein Wunder, daß inmitten solcher Fruchtbarkeit das Kölner Stift maria ad gradus seit 1328 Zehnt- und Patronatsherr war. Auch die Verwüstungen durch die Hessen-Weimarer anno 1642 waren da schnell überwunden.

Unabsehbar weit dehnt sich zwischen Erft und Neffel-Bach das bäuerliche Land. Wie eine ungeheure Ebene breitet es sich aus, von niederen Wasserläufen durchfurcht, im Osten von den noch bewaldeten Höhenzügen des Vorgebirges begrenzt, über denen im Norden die Schlote ragen.

Nur wenige Waldstücke sind das, was von einst alles bedeckenden Urwäldern übrig geblieben ist. Das größte Stück ist noch zwischen Friesheim und Bliesheim der Laubwald des Friesheimer Busches, der nach Süden gegen Niederberg in immer schmäleren Streifen verläuft. Einsam grünt der Wichtericher Busch zwischen dem Driesch-Hof und der Mülheimer Burg. Um das Haus Boulich, wo die Römerstraße Zülpich - Köln die heutige Landstraße nach Weiler - Erp - Lechenich verläßt, um in schnurgerader Linie auf Laacher-Hof und Römer-Hof zuzusteuern, winkelt sich Waldesgrün. Jenseits der Landstraße = Römerstraße bis zur Abzweigung der Landstraße nach Weiler auf der Ebene dehnt sich bis vor Disternich das Marienholz, wo am 18. Oktober 1267 eine Schlacht stattfand zwischen dem Erzbischof Engelbert II. von Köln und dem Grafen Wilhelm IV. von Jülich, an der mit den Bischöfen von Osnabrück und Paderborn auch der Erzbischof Bruder Dietrich von Falkenburg gegen den Jülicher, die Stadt Köln, den Grafen von Berg, die Bischöfe von Lüttich und Münster und viele andere Herren teilnahmen, in der Erzbischof Engelbert mit vielen seiner Verbündeten in die Gefangenschaft des Jülichers geriet, der ihn dann 3 ½ Jahre auf seiner Feste Niedeggen trotz Bann und Interdikt des Päpstlichen Legaten gefangen hielt. Stille herrscht jetzt in dem weiten Waldesholz. Wer weiß noch etwas von dieser erbitterten Ritterschlacht?

Wer denkt noch am Siechen-haus, am Leprosen-haus der Stadt Zülpich, an der Kapelle der Aussätzigen, an die grause Pest des Jahres 1519, wo von 1200 Einwohnern Euskirchens nicht weniger als 450 von der Seuche hinweggerafft wurden?

In großer Stille breitet sich unabsehbar die Ebene vor den mit der Kraftpost oder im Personenwagen auf der Landstraße Zülpich - Köln dahinsausenden Reisenden aus.

Und doch lohnt es sich, durch diese Stille und Einsamkeit über Land zu wandern, entweder der längst verlassenen, aber noch immer als Weg vorhandenen Römerstraße nach, westlich von Rövenich vorbei, „wo Altäre der Matronae Gabiae, römische Gebäude und Gräber gefunden worden sind“, durch den südöstlichen Teil des Marienholzes, wo ein im Jahre 202 zu Ehren des kaiser Septimius Severus und Caraccalla und des Geta errichteter Meilenstein unfern der Stelle, wo die Landstraße bei Haus Boulich die Römerstraße verläßt, gefunden worden ist (s. Hagen Römerstraße S. 99)

Einsam liegen die alten großen Höfe um das Dörfchen Scheuren im freien Felde, der Bergerhof, der Hoverhof, der Drieschhof. Kleine Waldparzellen sprenkeln sich dazwischen. Auf das Haufendörfchen Borr, das wie auf einem Teller daliegt, laufen viele alte Karrenwege von Erp, Friesheim, Niederberg, Mülheim zu.

Welch begnadetes Bauernland! Wie strotzen die unermeßlichen Äcker von Frucht!

Sinnend schreiten wir auf der verlassenen Römerstraße dahin, steigen durch einen Hohlweg in die Niederung des Roth-Baches hinab, setzen südlich Ahrem über den Roth-Bach und beim Laacher Hof über den Laacher-Bach, wandern an dem weitumfriedeten Römerhof, dem Gestüt, vorbei, bis wir an der Erftbrücke von Frauenthal wieder auf die über Lechenich ausgebogene Landstraße stoßen, die dann in grader Richtung auf Liblar - Köln weitergeht.

Wer denkt noch an die Legionen, die hier schwer bepackt, siegreich oder geschlagen, ihre Straße gezogen sind?

Der Bauer aber bestellt noch immer in ewigem Jahreswechsel seinen Acker.

Rascher bringt uns der Kraftwagen auf der Landstraße von Marienholz nach Lechenich hin.

Weiler auf der Ebene ist bald erreicht. Ein stilles Ackerdorf, seit 1569 dem Kloster Steinfeld in der Eifel zinsverpflichtet. Einst durch ein Gemälde des Weltgerichtes, voll grausiger Höllenschrecken, dessen Verdammtenfiguren der Kölner Meister von St. Severin kopiert hat, bereichert (jetzt im Erzbischöflichen Diözesan-Museum).

Erp ist Mittelpunkt des ganzen weiten, freien Geländes. Von ihm strahlen zahlreiche Straßen und Wege nach den anderen Ackerdörfern, nach Borr, Friesheim, Ahrem, Herrig, Pingsheim, Dorweiler aus, wo eine alte Wegekapelle eine schöne Kreuzigungsgruppe birgt, nach Disternich im Neffel-Tal. Es ist ein echtes, um ein reiches Wegenetz geschartes Bauerndorf, dessen Patronat ebenfalls dem Eifelkloster Steinfeld gehörte, dem es in Norbert Horrichem z.Zt. des Dreißigjährigen Krieges einen tüchtigen Abt, den Begründer des neuen Abteigebäudes, stellte. Einst rühmte die hochgelegene Kirche sich eines der schönsten Kruzifixe des Rheinlandes (nach 1200, unter dem Einfluß der Maasschule). Ergreifend dieser vor dem Kreuz leichtschwebende Heiland, der, ganz bekleidet, wie segnend die weitärmeligen gekreuzigten Hände ausstreckt! Das ist mehr als bäuerliche Art.

Die Grenze dieses Bauernlandes nach Westen ist der südwestlich von Wollersheim entspringende Neffel-Bach. Er ist reißender als die anderen Bäche der Voreifel und gräbt sich darum tiefer in die Niederterrasse ein. Bald treibt er die Obere Mühle bei Zülpich, dessen Stadtgräben sein Wasser füllt, eine Papierfabrik, die einstige Bann-Mühle zu Bessenich.

Zülpich, das Römerkastell Tolbiacum an der Römerstraße Köln - Trier, mit Römerbad und Matronenkult, durch seine Peterskirche die Mutterpfarre der alten Christianität, mit der dreitürmigen kurkölnischen Landesburg, mit seinen vier mittelalterlichen Toren, ist die Ur- und Hauptstadt dieses Landes der unermeßlichen Ackerbreiten, ist noch immer gesund-bäuerlich durchpulst.

Die Muttergottes im einstigen Zisterziensernonnenkloster Hoven, wo der Selige Hermann Joseph von Steinfeld verstorben ist, das durch römische Funde und die Weiheschrift der Dea Sunnuxalis für die Römerzeit bezeugt ist, ist ein frühromantisches Bildwerk aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, ist eine bäuerliche Gestalt.

Ländlicher noch im Nordwesten dieses Bauernlandes ist Lechenich. Man schaut zu einem Tor hinein und zum anderen hinaus. Ein großer Marktplatz, von dem vier Straßen nach allen Himmelsrichtungen ausstrahlen, ist zu einem Jahrmarkt wie geschaffen. Hier in Laciniacum, wo ein Altar der matronae lanehiae, eine Herme des Jupiter Ammon, römische Mauern und zahlreiche Kleinfunde auf römische Ansiedlung hinweisen (Clemen, Kunstdenkmäler des Kreises Euskirchen 113 ff.), wo vom Römer-Hof eine Verbindungsstraße über Herrig - Pingsheim, Nörvenich, Eschweiler über Feld, nach Mariaweiler bei Düren führte (Hagen, Römerstraßen S. 129), ist das Landvolk ja schon seit Hunderten von Jahren zu Kauf und Verkauf zusammengeströmt. In diesem zentral gelegenen Ort, der schon 1282 durch Erzbischof Siegfried von Westerburg Stadt wurde, der durch die gewaltige kurkölnische Landesburg Schutz genoß, der sich anno 1642 sogar siegreich gegen die Horden der Weimarer, Hessen und Franzosen verteidigte, dessen Pfarrkirche hoch überm Marktplatz mit ihrer barocken Haube emporragt, dessen Kilianstag zahlreich das Volk der Umgegend anlockte, geben sich all die Dörfer der weiten Ebene ein Stelldichein. Galten doch die Mauern des Städtleins, deren Gräben Roth-Bach und Laacher-Bach speisten, als unüberwindlich. Hielt man doch die kurkölnische Landesburg, die mächtigste in rheinischen Landen, mit ihrem gewaltigen Bergfried, dem ältesten Wohnturm des Rheinlandes, mit ihrem riesigen Pallas, einem Saalbau von ungeheurer Größe, für uneinnehmbar, bis die Franzosen sie am 17. Juli 1689 einäscherten. Aber noch immer ist Lechenich, dessen Türme weit über die Ebene des nördlichen Teiles des Kreises emporschimmern, der natürliche Sammelpunkt alles ländlichen Lebens.

Weit dehnt sich nach Norden zwischen Vorgebirge und Nörvenicher Wald das fruchtstrotzende Gefild, Gymnichs breit ausgedehnte Flur, vom schnurgrade am Kerpener Bruch, dem Rest der Urwaldungen, vorbeigleitendem Erftkanal, bis zu den Mellerhöfen, von den Grenzen Kerpens bis nach Dirmerzheim, an dem, von Lechenich und Konradsheim, dem prächtigen Bau der Früh-Renaissance, hernieder der Roth-Bach entlang fließt.

Ein unabsehbares Acker- und Wiesengelände, das schon die Römer durch ihren Wachtposten Germiniacum der Legio Gemina am Erftübergang gesichert und mit ihrer „Heerstraße“ von Köln über Aldenrath und Türnich, Wissersheim, Rath nach Nörvenich durchzogen hatten. Eine Pfarre der Karolingerzeit unter dem Patronat des merovingischen Kanzlers Kunibert, ein Fronhof Erzbischofs Anno und dann der Siegburger Abtei, eine Vogtei der Kölner und Jülicher Vasallen, der Herren von Gymnich, eine 1390 von Erzbischof Friedrich von Saarwenden und 1642 von den Hessen-Weimarern zerstörte Burg der Ritter von Gymnich, eine erste hörige, dann freie Bauernschaft, die durch den „Gymnicher Ritt“ am Himmelfahrtstage hoch zu Roß noch immer Flur und Vieh dem Segen Gottes anbefiehlt.

Ja, das ist noch immer, auch in der St. Sebstianus- und St. Kunibertus-Bruderschaft, echtes Bauern- und Handwerkertum, wenn auch die Industrie der Braunkohlengruben immer mehr Arbeiter aus dem uralten Bauerndorfe holt, die aber als Kleinbauern noch immer auf ihrer winzigen Scholle nach Feierabend schaffen.

Die Edelsteine in dieser wie ein Teller flachen Ebene sind die Schlösser der einstigen Grundherren dieses Bauernlandes, alteingesessener Geschlechter, die durch Urbesitz oder Erbschaft noch immer im Genuß des größten Teiles der Ackerscholle, der Mühlen, der Pachthöfe sind. Von weiten parks umgeben und fast verborgen, sind diese stolzen Bauten ein kostbarer Schmuck dieser von Raps, Roggen, Rüben und Weizen strotzenden Weite.

Burg Gymnich ist einer der stolzesten Herrensitze im Erftlande. Zweimal zerstört (1390 durch Erzbischof Friedrich von Saarwerden, 1642 durch die Hessen-Weimarer, die sich vor Lechenich blutige Köpfe geholt), ist es immer wieder aufgebaut worden (1655 der Westflügel, 1700 der Nordflügel mit einer stattlichen Zugbrücke, 1700 die Vorburg mit gleichmäßig gebauten Flügeln, Wirtschaftsgebäuden und Rentmeisterwohnung). Warm leuchtet das Weinrot des Ziegelsteines aus dem lichten Grün der vierzig Morgen großen, von der Erft umrauschten, an seltenen Bäumen, uralten Platanen usw. überreichen Parkes, eines dendrologischen Kleinodes, das durch einen Rosengarten im französischen Rokokostil kostbar gefaßt ist, das sich in einem 1909 und 1910 von Vicomte Franz de Maistre angelegten Weiher prächtig spiegelt.

Welch üppiges Wiesenland zwischen Erft-Kanal und Ichmaar-Graben!

Welch schönes Bild, diese im Grün ihrer alten Bäume verborgene Gymnicher Mühle, mit der die Ritter von Gymnich schon im Jahre 1339 belehnt wurden.

Welch anmutige Spaziergang durchs Wiesengrün bis zum Erftkanal, jenseits dem sich Schloß Türnich, der Stammsitz des Freiherren von Rolshausen, das heutige Eigen der Reichsgrafen von Hoensbroich, im Grün seines Parkes verbirgt, schon mit Balkhausen, Brüggen zum Kreise Bergheim gehörig.

Welch gemächliches Schlendern ehedem auf dem „Gymnicher Pfädchen“ über den Kanal, durch Balkhausen bis zur Höhe der einstigen Rochuskirche, die in schlimmen Pestzeiten das Ziel zahlreicher Wallfahrer war, die durch eine neue Kirche am Fuße des Hügels ersetzt worden ist.

Da stehen wir dann und schauen sonnentrunken hinab auf das weite Erftland, über das Gymnichs Zwiebelturm sich stattlich emporschwingt.


Braunkohlengrube
Foto: Landesbildstelle Niederrhein


Zwischen den mächtigen Trichtern der Grube Louise und der Grube Hubertus pirschen wir uns dann durch chaotische Landschaft auf Bergheimer Gebiet hoch über dem stattlichen Dorf Brüggen, dem uralten Kierdorf, dessen grauer romanischer Kirchturm einst Mutterkirche der ganzen Gegend war, in den Staatsforst der Ville hinein, um auf der aufgegebenen Landstraße Zülpich - Köln das langgestreckte Liblar und den Kreis Euskirchen wieder zu erreichen.

Schloß Gracht, von weitem Parke, einer Kunst im Stil des 18. Jahrhunderts, umwinkelt von dem an der einstigen Römerstraße Trier - Köln langgestreckt Amt Liblar, das längst seinen ländlichen Charakter mit Kirmes und Schützenfest verloren hat, vornehm abgesondert, liegt schon im Schatten der Braunkohlengruben. Eine weitläufige Anlage, Vorburg und Herrenburg von Wassergräben umgeben, von mächtigen barockhaubigen Ecktürmen umfangen, in den Jahren 1850 bis 1853 nicht glücklich umgebaut, aber vom Weinlaub gnädig rankt, durch die mächtigen Kronen der Ahorn- und Kastanienbäume des Schloßhofes verschönt. An der Vorburg kündet ein mächtiges barockes Portal von den Geschicken des Geschlechtes der Wolff-Metternich, die zu Reichsgrafen des Heiligen Römischen Reiches emporstiegen und heute noch im Besitz dieser größten Wasserburg des Kreises sind. An dem Wirtschaftsgebäude erinnert eine Plakette an die Geburtsstätte von Liblars großem Sohn Karl Schurz, der hier als Sohn des Burghalfen am 2. März 1829 geboren, als 1848er Revolutionär, als Befreier des Dichters Gottfried Kinkel, zum Tode verurteilt wurde, als Verbannter in Zürich, Paris, London lebte, 1852 nach Amerika auswanderte, Divisions- und Korpsführer im Bürgerkriege, Bundessenator und Innenminister wurde und am 14. Mai 1906 in New York verstarb. Seine Erzbüste im Knotenpunkt der Straßen nach Köln und Brühl ist der Stolz des emporstrebenden Bergmannsamtes, das sich nach Ober-Liblar, bis zu dem hochgelegenen stattlichen Bahnhof, erstreckt.


Braunkohlenvorräte bei Liblar
Foto: Bruno Lang


Liblar, das ist kein verträumtes Ackerdorf mehr, dessen Albanuskirchlein mit nadelspitzem Türmchen bescheiden über eine ländliche Weite lugte, das die Wälder des Vorgebirges umrauschten.

Das ist der Mittelpunkt einer von der Braunkohlenindustrie um und umgewälzten chaotischen Landschaft, deren Gruben aus ungeheuren schwarzen Höhlungen zu den immer unbarmherziger gelichteten Wäldern emporstarren.

Einst bedeckte diese von Meckenheim bis Bergheim sich wellenden Höhenzüge des Vorgebirges (Ville) ein ununterbrochener Urwald, in dem vor Jahrmillionen bei subtropischem Klima riesige, über hundert Meter hohe, fünfzehnhundert Jahre alte Mammutbäume (Sequoia) wuchsen. Immer mehr sind die Staatsforste der Ville, die sich vom Swisterberg und seinen uralten Kirchtürmchen bis zu den Wäldern um Bottenbroich erstreckten, gelichtet worden. Gewaltige Trichter sind im Tagebau ausgebaggert worden. Weitere 7000 ha sind noch in der Abkohlung begriffen. Dies hat das Bild der Landschaft völlig verändert. Ganze Dörfer sind verschwunden. Die Landstraße zwischen Hermülheim und Liblar ist abgebaut und durch eine Ersatzstraße umgeleitet. Spärliche Überreste sind von dem einst unabsehbaren Forst an der Landstraße, der einstigen Römerstraße, bei der einstigen Försterei Villenhaus geblieben, wo die Römer die Höhe durch eine Sperrbefestigung gesichert hatten. Immer mehr Wohnsiedlungen werden aufgegeben werden müssen, wenn nach fünfundzwanzig Jahren das letzte Tagebauvorkommen erschöpft sein wird und zum Braunkohlentiefbau in der Niederrheinischen Bucht, besonders zwischen Erft und Rur, mit ihren 15 Milliarden Tonnen übergangen werden muß, wenn 10.000 Arbeiter neu anzusiedeln sind.

Wahllos, je nach Bedarf, ist in früheren Zeiten diese einst so prächtige Waldlandschaft zertrümmert worden. Ein Generalplan für die Wiederurbarmachung ist mittlerweile durch die sogenannte Lex Warsch des Kölner Regierungspräsidenten Gesetz geworden. „Schon im Interesse der Ernährungswirtschaft erscheint die Rekultivierung der ausgebeuteten weitausgedehnten Kohlenfelder vordringlich.“ (Erftverband). Aber auch die Landschaftsgestaltung ist neben der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung von gleicher Bedeutung wie die technisch-wirtschaftliche Planung.

Wälder müssen wieder über das Vorgebirge rauschen. Aus den einstigen Gruben müssen Waldseen werden. Berg und Tal müssen malerisch verbunden werden. In Lichtungen müssen Siedlungen sich bergen. Ein Erholungsgebiet für das großstädtische Köln, in dem auch der Kreis Euskirchen Heimatrecht hat.

Dann wird das fruchtbare Land zu beiden Ufern der Erft Waldesschönheit von den Bergen über Rupperath bis zu den Hügeln über Liblar umschließen.


Entnommen: Heimatkalender für den Kreis Euskirchen 1956

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