Euskirchens Tuchmacher und ihre Arbeiter |
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Von Heinz Küpper |
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VI. Aufstieg und Niedergang der neugegründeten Innung |
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Der Aufschwung und die ersten Spannungen zwischen größeren und kleineren Tuchmachern |
Oben haben wir schon einen Hinweis auf den
Niedergang der selbständigen kleineren Tuchmacher. Es läßt
sich von vornherein vermuten, daß die vielverschriene
Vervollkommnung der Maschinerien (Stadtarchiv A. 138)
daran schuld ist. Aber man darf sich diesen Niedergang nicht so
einfach, gleichsam als einen mechanischen Ablauf, vorstellen; er
hat wie in ganz Deutschland auch in Euskirchen seine Geschichte.
In einer Aktensammlung über die Tuchmacher-Innung
insbesondere (Stadtarchiv A. 423) ist deren Neugründung
am 12. März 1852 protokollarisch niedergelegt. Übe
diese Innung gelangten im gleichen Jahr die ersten wirklich
durchgeführten Militärtuchaufträge nach
Euskirchen. Was da nun Ursache und was Wirkung war, die
Auftragsvergebung oder die Innungsneugründung, wird nicht
ganz klar, auch nicht, ob diese Dinge politische Ursachen nach
den 48er Unruhen in Deutschland gehabt haben. Jedenfalls
vereinfachte rein sachlich das Vorhandensein einer Innung die
Geschäftsabwicklung ungemein für die Armee-Intendantur.
Diese brauchte nur mit dem Obermeister zu verhandeln, der dann
den empfangenen Auftrag unter die Innungsgenossen verteilte. So
darf man die Neugründung der Innung zunächst als eine
Tat des Fortschritts und des Aufschwungs ansehen. Aber neben
dieses dynamische Element trat von vornherein das restaurative,
das auf eine Erhaltung oder gar Wiederherstellung handwerkliche
Zustände hinarbeitete. |
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Konjunktur und Verschwinden der kleineren Tuchmacher |
Bis zum Beginn der 60er Jahre dauert der Kampf zwischen den größeren und kleineren Tuchmachern. Im Hintergrund steht immer die Armee-Intendantur. Wieder ist es 1860 der Bürgermeister Peter Josef Ruhr - nicht zu verwechseln mit dem erwähnten Tuchfabrikanten Peter Cornelius Ruhr - , der, wie seinerzeit bei der Krankenkasse, die Angelegenheit in die Hand nimmt. Wie damals bemüht er sich um eine begriffliche Bestimmung von Tuchmachern und Tuchfabrikanten, und sie fällt nun nach fünf Jahren bezeichnend anders aus. Ich zitiere wörtlich den Entwurf: ... als Tuchmacher und Tuchbereiter ... habe ich diejenigen verstanden, welche (für andere Fabrikanten) mit entweder eigenen oder fremden Werkzeugen, mit oder ohne Verwendung von Zuthaten die ihnen von Fabrikinhabern gegebenen Rohstoffe gegen Bezahlung verarbeiten. (Stadtarchiv A. 423). Jetzt wird nicht mehr schematisch nach der Zahl der Beschäftigten, sondern nach der technischen und wirtschaftlichen Betriebsverfassung unterschieden. Der Grund für diese ganz andere Sehweise nach so kurzer Zeit liegen im raschen technischen Aufbau der Industrie während dieser Zeit, und der ist möglich geworden durch die Militärtuchlieferungen. Die Formulierung oben läßt noch etwas anderes vermuten, nämlich, das Lohnwerk, d.h. die wirtschaftliche Unselbständigkeit sei bei den kleineren Euskirchener Tuchmachern an die Stelle des Preiswerks, der technischen und wirtschaftlichen Selbständigkeit, getreten. Das wäre für Euskirchen eine völlig neue Erscheinung. Zwar haben die Hilfswerke immer schon fremde Rohstoffe verarbeitet, aber sie wurden deshalb nicht wirtschaftlich abhängig. Und erst recht die Selbständigkeit der kleineren Weber war vorher niemals angetastet worden (vgl. Renelt S. 64). Nun scheinen sich aber - darauf weisen auch die ziemlich wirren Zahlenangaben, die aus Renelts Buch und den Akten über diese Zeit zu gewinnen sind - seit der Konjunktur der Militäraufträge zahlreiche kleine Tuchmacher selbständig etabliert zu haben, die jedoch rasch wieder in den Sog der wachsenden Fabriken gerieten; über eine sehr kurze Zwischenstufe des Lohnwerks wurden sie dann wieder selbständig. Renelt berichtet für das Jahr 1859 (S.21), daß die Zahl der selbständigen Tuchmacher von 72 im März auf 56 im Juni gefallen sei, während in der gleichen Zeit die Zahl der Webstühle von 179 auf 223 stieg. Für März kann ich diese Zahl bestätigen (Stadtarchiv A. 423), es gab da noch 36 Tuchmacher mit ein oder zwei Webstühlen. In den kommenden Jahrzehnten sank die Zahl der kleinen Tuchmacher immer mehr ab. 1872 gab es noch 35 selbständige Tuchmacher in Euskirchen, 1879 noch 13, 1889 wieder 18 (vgl. Renelt S. 30 ff.). Aber das waren dann längst Fabrikbesitzer im modernen Sinn. Die Tuchmacherinnung als solche hörte schon 1865 auf zu existieren (nach Renelt S. 93). Wir müssen jedoch noch etwas bei ihrem Niedergang verweilen. 1860 forderte die Intendantur, wohl um die Geschäftsabwicklung weiter zu vereinfachen, vielleicht auch mit fürsorglichen Absichten - das Verhältnis der Euskirchener Tuchmacher zu ihren staatlichen Auftraggebern war nicht das gleichberechtigter Geschäftspartner, es trug Züge der Untertänigkeit - , daß alle Tuchmacher, also auch die Fabrikanten, über die Innung zu submittieren. d. h. sich um Aufträge zu bemühen hätten. Darauf antwortete der Bgm. Ruhr in einer vertraulichen Mittheilung über die Innung: ... obwohl der Vorstand sehr brav ist, jedoch mit Bezug auf Bildung anderen Fabrikanten nachstehen muß, insbesondere ist die gegenwärtige Schau-Commission nicht der Art zusammengesetzt, daß man den größeren und gebildeten Fabrikanten mit der Innung zu submittieren zumuthen kann (Stadtarchiv A. 423). Daraus geht hervor, daß diese kleinen
Tuchmacher sich gesellschaftlich nicht sehr von den
Fabrikarbeitern im dargelegten Sinn unterschieden.
Sotauchten sie, als sei indie Fabriken gehen mußten, als
gewöhnliche Arbeiter unter. Das bestätigten auch
mündliche Berichte, allerdings aus zweiter Hand. Sie wirkten
also in keiner Weise auf die Personalverfassung der größeren
Betriebe ein, im Gegensatz etwa zu den ehemals selbständigen
Meistern zu Aachen, von denen Josef Dahmen (S. 67) uns berichtet,
sie seien zu zwei Dritteln des Meisterlohnes beschäftigt,
also gegenüber den proletarischen Arbeitern bevorzugt
behandelt worden und unterschieden sich von diesen in der
Gesinnung bis zur Gegenwart. Das ist meines Wissens in Euskirchen
nicht der Fall. Hier haben sich nicht eine Jahrhundert alte
Handwerkergruppe und ein entwurzeltes Proletariat schroff
gegenübergestanden. |
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Der Beginn der modernen Fabrik |
Wahrscheinlich war es auch ein Sinn der Innung, gegenüber diesen Erscheinungen die Handwerklichkeit des Gewerbes zu bewahren. So wurde schon 1852 eine aus fünf Innungsmitgliedern bestehende Prüfungs-Commission (vgl. Renelt, Anhang XV) eingesetzt. Sie entsprach einer Gesetzesvorschrift vom 9. 2. 1894, nach der Tuchmacher bei Errichtung ihres Gewerbes die Tuchmacher-Meisterprüfung (Stadtarchiv A. 423, Näheres s. Renelt S. 89 ff.) zu machen hatten; es lagen dem allgemeine Bestrebungen in Preußen zum Schutze des Handwerks zugrunde. In Euskirchen aber hatte die Prüfungs-Commission bis 1861 nur einige Gesellenprüfungen unentgeltlich und keine Meisterprüfung abgehalten (Stadtarchiv A. 423). Bisher waren Tuchmacher auch ohne Meisterprüfung in die Innung aufgenommen worden. Nun aber wird 1861 verlangt, daß die Fabrikanten der jungen Generation eine Meisterprüfung abzulegen hätten. Sie sollten sich damit wieder der handwerklichen Innung unterstellen, was nach Lage der Zeit eine durchaus reaktionäre und unhaltbare Forderung war (Stadtarchiv A. 243). So sehen wir denn auch, wie der Bürgermeister, auf dessen Bemühung hin 1852 die Innung überhaupt entstanden war, sich bereits 1860 in der zitierten vertraulichen Mittheilung gegen die Innung und zugunsten der Fabrikanten ausspricht. Am 2. Mai 1861 schriebt er dann an den Landrat einen grundlegenden und den Machtkampf zwischen Industrie und Handwerk auch wohl abschließenden Bericht, der mit großer Eindringlichkeit die neue Zeit begreift und darstellt (Stadtarchiv A. 243). Den alten Tuchmachern, den noch selbständigen der Innung, fiel es schwer, die jungen Unternehmer, die sich nur durch Kapital, aber noch nicht durch handwerkliches Können wie die alten Fabrikherrn qualifiziert hatten, anzuerkennen. So wird nun eine Einengung und dadurch Rettung des Handwerklichen versucht: Der Innungs-Vorstand hält vielmehr dafür, daß ... Tuchmacher nur diejenigen zu verstehen sein dürften, wleche ihre Waaren mit eigener Hand (von mir gesperrt) selbst verfertigen ... und nur das Geschäft handwerksmäßig betreiben oder solche, welche nur Weber sind, die in ihren Wohnungen 1 - 2 Stühle haben und für andere Fabrikanten weben. Es zeigt sich darin, wie der Tuchmacher bald zum Fabrikarbeiter werden wird, der aber sein Handwerk versteht und das in der Unterordnung unter den Arbeitgeber betont haben will. Dem widerspricht, daß bei der neuen und dritten begrifflichen Differenzierung innerhalb der Arbeitgeberschaft, die Bürgermeister Ruhr unternimmt, die Bezeichnung Tuchmacher noch einmal für die Arbeitgeber gebraucht wird. Hier unterscheidet Ruhr nun nach dem Vorhandensein einer eigenen Kraftmaschine sowie nach der möglichst großen Annäherung an die Volltuchfabrik, d.h. der Fabrik, die alle Phasen der Tuchherstellung in sich vereinigt. Völlig neu ist, daß in der Bezeichnung Tuchmacher noch einmal für die Arbeitgeber gebraucht wird. Hier unterscheidet Ruhr nun nach dem Vorhandensein einer eigenen Kraftmaschine sowie nach der möglichst großen Annäherung an die Volltuchfabrik, d.h. der Fabrik, die alle Phasen der Tuchherstellung in sich vereinigt. Völlig neu ist, daß in der Bezeichnung für die größeren Unternehmer ein Hinweis auf die Art ihres Gewerbes, auf Tuch, ganz fortfallen soll, sie sollen einfach Fabrikanten heißen im Gegensatz zu den kleineren Tuchfabrikanten. Hier wirken schon Vorstellungen von außen herein, die aber auf die Euskirchener Verhältnisse nicht zutreffen. Die Euskirchener Tuchfabrikanten waren weder damals noch jemals später dem Fachlichen ihres Gewerbes entfremdet. Aber unserem Bürgermeister kam es ja auch nur darauf an, das neuartige des Unternehmens gegenüber dem alten Tuchmacher zu betonen. Dieses Neuartige wird nun eindeutig als durch die Technik begründet gesehen. Überhaupt hat das Tuchmacherhandwerk durch die Vervollkommnung der Fabriken eine ganz andere Richtung angenommen. Früher wurde das Garn mit der Hand
gesponnen, hierzu war für den Tuchmacher Geschicklichkeit
nötig, was jetzt auf Spinnmaschinen geschieht, früher
... (Stadtarchiv A. 423), jetzt wird eine ganze Reihe von
ähnlichen Beispielen aufgezählt, bis schließlich
das Ergebnis folgt (wörtlich aus dem Entwurf zitiert):
Überhaupt, da alle Hauptzweigen der Tuchfabrikation
nur auf Dampf oder Waßer Mühlenwerke unter Aufsicht
des Fabrikherrn, aber noch mehr unter Aufsicht des Fabrikmeisters
durch Fabrikarbeiter und junge 14jährige Knaben und Mädchen
(zu ergänzen wohl: verrichtet werden), so erscheint es
wirklich, daß für die Zweige der Fabrikinhaber noch
der Fabrikarbeiter eine Meisterprüfung abzulegen
erforderlich ist. (Stadtarchiv A. 423). Dann wird noch
hinzugefügt, der Unternehmer habe sich bei der gegenwärtigen
Tuchfabrikation nur zu kümmern Wenn wir von den Übertreibungen
vorläufig absehen, so liefert dieser Bericht doch einen
klaren Grundriß zur Betriebsverfassung, wie sie in der
Euskirchener Tuchindustrie bis in das erste Jahrzehnt des 20.
Jahrhunderts bestand. Diese Betriebsverfassung wird von folgenden
Umständen bestimmt: Einige dieser Umstände bedürfen noch einiger Erläuterung. |
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Entnommen: Heimatkalender für den Kreis Euskirchen 1955 |