Der Kampf um die Eifeleisenbahn im Kreise Schleiden
von Dr. Josef Janssen, Schleiden.

Der Kampf um und für die Wege und Eisenbahnen im Kreise Schleiden war einer der hartnäckigsten, den der Kreis seit seinem Bestehen auszufechten hatte. Mit Feuereifer ging man ans Werk, nichts ließ man unversucht, viele Abgeordnete wurden mobil gemacht, die preußische Regierung stand zunächst auf Seiten des Kreises, man entwarf Denkschriften, nichts fruchtete. Die Rheinische Eisenbahngesellschaft, die die Eisenbahnen baute, war eine Privatgesellschaft, der es mehr auf einen hohen Gewinn als auf die Erschließung der armen Eifel ankam. Fast brutal ging sie über die Interessen des Kreises hinweg, landeskulturelle Aufgaben kannte sie nicht. Als schließlich die gesamten preußischen Eisenbahnen in Staatsbesitz übergingen (1880), wurde es besser. Aber das größte Unglück war geschehen und nicht wieder gutzumachen. Die Haupteisenbahnlinie Köln - Trier führte nicht durch das Schleidener Tal, sondern über die Höhen von Kall-Nettersheim. Der gesamten Industrie des Schleidener Tales, die nur mühsam sich aufrecht erhalten konnte, wurde dadurch endgültig der Todesstoß versetzt, und von diesem Schlag hat sie sich nie erholen können, kam doch die Sekundärbahn Kall-Hellenthal, eine Sackbahn, erst 1884.

1845 tauchte zum erstenmale das Projekt einer Eifeleisenbahn auf. (Vergl. Kölnische Zeitung vom 14. November 1845 Nr. 318.) Damals hatte man sich in Trier versammelt, um die für Trier so wichtige Eisenbahnfrage zu erörtern. „Dem Vernehmen nach beabsichtigt man in Aachen durch das Schleidener und Kylltal eine Bahnlinie nach Trier zu legen, so wie in Köln das Projekt besteht, von Bonn über Trier Saarbrücken zu erreichen.“ Die Bahn von Bonn nach Trier lehnte man im Kreise Schleiden ab, da die berg- und hüttenmännische Industrie der ganzen Eifel von dieser Lage nicht berührt wurde. Das Schleidener Wochenblatt, das diese Mitteilung der Kölnischen zeitung abdruckte (Nr. 48 1845), brachte schon in der folgenden Nummer einen Artikel, in dem darauf hingewiesen wird, daß eine Eisenbahnanlage von Aachen nach Trier durch das Schleidener und Kylltal mit den größten Terrainschwierigkeiten zu tun hätte. Der Verfasser schlägt vor (1845!), die Bahn von Düren über Commern durch das Urfttal über Schmidtheim nach Trier zu bauen. Dies erfordere ein weit geringeres Anlage- und Betriebskapital. Diese Eisenbahn gestatte der berg- und hüttenmännischen Industrie der Eifelgegenden die größtmögliche Teilnahme und brächte auch die Verbindung der nächst anschließenden Niederungen (Schleidener Tal usw.) Seltsamerweise hat dieser Artikel, der das Schleidener Tal von der Bahn ausschloß, seinen Widerhall in dem Kreise Schleiden gefunden.

Um die Mitte der vierziger Jahre vereinigten sich die Industriellen des Schleidener Tals, des Bleiberges und die aus Düren zu einem Komitee zur Begründung einer Eifelbahn Düren - Commern - Schleiden - Trier. Die Staatsregierung versagte diesem Komitee jedwede materielle Unterstützung, namentlich eine Zinsgarantie. 1853 ließ die „Eifeler Eisenbahn-Gesellschaft“, wie sich die neue Aktiengesellschaft nannte, die Konzession zur Ausführung der Bahn erteilen. Im nächsten Jahre gelang es, einen geeigneten Unternehmer zu finden, den Engländer Georg Burge. Diesem wurde die Ausführung der Bahn für die Summe von 2 400 000 Talern übertragen. Die Feststellung und Bestätigung der Statuten und deren Aushändigung an den Unternehmer durch die preußische Gesandtschaft in London war erfolgt, da machte der Krimkrieg einen Strich durch die Rechnung. Der Unternehmer weigerte sich. Vergeblich machte man ihm den Prozeß.

Mittlerweile war es dem Komitee gelungen, mehrere hochgestellte Staatsbeamten, die sich durch persönlichen Augenschein über die örtlichen Verhältnisse informierten, von der unabweisbaren Notwendigkeit der Bahn für die Eifel zu überzeugen. Dieses hatte zur Folge, daß die rheinische Eisenbahngesellschaft, als sie 1856 die Konzession für die linksrheinischen Bahnen erhielt, gleichzeitig verpflichtet wurde, auch noch einige andere weniger rentable Stecken, u. a. auch die Düren-Schleiden zu bauen, die bis zum März 1860 in Angriff zu nehmen und innerhalb zwei Jahren fertigzustellen sei. Aus strategischen, volkswirtschaftlichen und kulturellen Gründen wurde dieser Bau der Bahn als Bedingung auferlegt, eine Bedingung, die amtlich den Eifelern mitgeteilt wurde.

Eine Denkschrift zur Begründung einer Eifeleisenbahn Düren-Schleiden erschien 1852 in Köln. Hierin führte die Eisenbahn Köln-Trier von Düren über Zülpich, Nemmenich, Commern, Scheven, am Bleiberg entlang über Wallenthal nach Kall, von hier über Gemünd, Schleiden, Blumenthal, Bruch, Reifferscheid, Wolfert, an Baasem, Kronenburg vorbei nach Stadtkyll - Trier. Die Kosten der Bahn Düren-Schleiden wurden auf 1 1/3 Millionen Taler geschätzt. Die haltung des damaligen Handelsministers von der Heidt war sehr schwankend. Der Minister hielt die Gesellschaft nicht zur Erfüllung an, als es Zeit dazu war, er machte vielmehr Miene, die Bedingungen ganz fallen zu lassen. Dieses änderte sich zwar infolge energischer Vorstellungen, ohne daß aber Ernst mit der Sache gemacht wurde. Jahre verstrichen, die Fabriken, die auf jenes Versprechen gerechnet hatten, fing an an, ihre Arbeiter zu entlassen und die Besitzer selbst in andere Gegenden zu ziehen. Die Rheinische Eisenbahngesellschaft war überaus mächtig, mächtiger als das Eifelbahnkomitee. So entstand ein ungleicher Kampf mit ungleichen Waffen. Die Erbauung der Bahn war zwar im Prinzip gesichert. Es kam nur auf den Zeitpunkt an und auf die Linienführung im einzelnen. Durch allerlei Winkelzüge verstand es die Gesellschaft, den Zeitpunkt hinauszuschieben, und das war für die Industrie des Schleidener Tales am verhängnisvollsten. Der Fabrikant Alb. Poensgen aus Mauel gab seinen Protest gegen die Verschleppung der Angelegenheit dadurch Ausdruck, daß er seine Fabrik nach Düsseldorf verlegte und unter anderm auch eine große in der Fassade seiner Maueler Fabrik angebrachte Uhr entfernte und die dadurch entstandene Öffnung mit einem lebensgroßen Porträt des Ministers von der Heidt ausfüllen ließ. (Düsseldorfer Journal, 29. Juni 1861.)

Der Kampf ging zunächst darum, ob die Bahn von Kall über Schleiden weitergeführt würde, oder von Kall über Nettersheim, Gerolstein. Diesen Streit suchte die Bahngesellschaft für sich auszunutzen, indem sie vorschlug, die Bahn zunächst von Düren nach Kall zu bauen. Der Regierungskommissar führte sogar im landtag die Bedeutungslosigkeit der Strecke Kall-Schleiden an, da ja die drei größten Werke von dort verlegt worden seien. Der Abgeordnete Gaul für Schleiden, Monschau und Malmedy stand mit seiner Ansicht allein. Er gab dem Minister seine schmerzliche Empfindung über dessen Argumentation zu verstehen und setzte ihm auseinander, wie gerade die Veranlassung jener Klage begründet sei, deren Abhülfe er verlange. Das machte Eindruck. Der Kommissar erklärte sogar, daß es nicht die Absicht der Regierung sei, die Gesellschaft von dem Bau der Strecke Kall-Schleiden zu entbinden, vorläufig solle nur bis Kall gebaut werden, das Weitere werde sich finden. Der Minister hatte sich auf den Bericht mehrerer Behörden gestützt, die die Bahn über die Höhe gebaut haben wollten (vermutlich Landrat und Regierungspräsident). Der Bau der Eisenbahn war für manchen Grundbesitzer sehr gewinnbringend, wenn die Eisenbahn durch seine Parzellen ging. Mußte doch der Kreis Schleiden 60 000 Taler Grundentschädigung an die Besitzer bezahlen. (Kreis Schleiden selbst hatte die Grundentschädigung auf 80 - 100 000 Taler geschätzt, da die Gemeinden ihre Parzellen umsonst zur Verfügung stellten.) Der Eisenbahnbau war also für die Gesellschaft kein Risiko, der Staat hat Zinsen zu garantieren und der Kreis das Gelände zu schenken, dabei brachte der Kreis damals nur 3204 Taler an Einkommensteuer und 21 500 Taler an Klassensteuer auf. Ein Antrag des Kreises, die Übernahme von 60 000 Talern auf Rechnung des Baufonds der Rheinischen Bahngesellschaft, wurde im Landtag abgelehnt.

Die Linienführung der Eisenbahnlinie Köln-Trier durch das Schleidener Tal war erledigt. Eine Reihe Gründe sprachen dagegen. Die Bahn über Hellenthal war viel kostspieliger als über die Höhen, sie war länger und verursachte sehr große Geländeschwierigkeiten. Der Grund und Boden im Tal war viel teurer als auf den Höhen. Diese Gründe der Rheinischen Bahngesellschaft waren für den Landtag maßgebend gewesen, zumal da nur der Schleidener Abgeordnete die eigenartigen Verhältnisse im Kreise Schleiden kannte.

Der Kreis Schleiden, besonders die Fabrikanten, gaben das Rennen noch nicht auf. Das Eisenbahnkomitee brachte in Erfahrung, daß eine englische Gesellschaft bei der Staatsbehörde die Erteilung vn Konzessionen für Eisenbahnanlagen nachgesucht hatte. Eine Schleidener Deputation wurde nach Brüssel und nach Berlin geschickt. Es gelang ihr, die englische Gesellschaft zu der Erklärung zu gewinnen, eine Bahn Kall, Schleiden, Hellenthal, St. Vith zu bauen. In Berlin erhielt die Deputation vom Minister die freudige Zustimmung. Er werde sich freuen, so sagte der damalige Handelsminister, wenn recht bald die projektierte Bahn durch das Schleidener Tal zur Ausführung kommen würde; er knüpfe nur die Bedingung daran, welche überhaupt bei Eisenbahnanlagen gemacht würden, nämlich: die Anfertigung der Baupläne und den Nachweis des Baukapitals seitens der Unternehmer. Voll froher Hoffnung kehrte die Kommission nach Hause zurück. Aber auch dieses Projekt zerschlug sich.

1862 begann man endlich mit dem Bau Düren-Kall, fünf Jahre dauerte die Fertigstellung. Am 8. August 1867 wurde der Eisenbahntunnel zwischen Kall und Mechernich feierlich eröffnet. Sein Erbauer war Geheimer Oberbaurat Hartwig. Die Kosten beliefen sich auf 300 000 Taler, 1 1/3 Millionen Ziegelsteine waren verbaut worden und 1400 Schachtruten Bruchsteine; 30 000 Taler hatte allein der Hülfseinbau von Holz gekostet. Der Tunnel wurde als „das goldene Tor bezeichnet, durch das ein goldenes Zeitalter für die Eifel einzog.“ Von weither eilten die Eifler herbei, um dieses technische Wunder anzustaunen. Als am 6. September desselben Jahres die erste Lokomotive von Köln in Kall ankam, kannte der Jubel keine Grenze mehr. Auch der Telegraph bis Kall war zu gleicher Zeit vollendet. Vier Züge gingen täglich von Kall ab und kamen daselbst an.

Für das Schleidener Tal war noch wenig erreicht. Es hieß weiterkämpfen. Noch war nicht alles verloren. Eine ganze Reihe neuer Pläne tauchten auf. Ein Projekt lautete Köln, Zülpich, Schleiden, St. Vith, ein anderes Düren, Heimbach, Schleiden. Ein sehr ernsthaftes Projekt stammte von einer internationalen Gesellschaft, in der in der Hauptsache französisches und belgisches Kapital beteiligt war. Diese Gesellschaft wollte sieben große Eisenbahnlinien bauen, die im Anschluß an die rheinischen den Verkehr mit Belgien und Frankreich vermitteln und den Durchangsverkehr begünstigen sollten. Eine solche Linie war u. a. vorgesehen Kall, Schleiden, Elsenborn, Weismes, St. Vith. Man erhoffte dadurch die Erschließung einer zweiten Kohlenquelle (über Stavelot aus dem Becken von Lüttich). Der Unternehmer jenes großen Bahnnetzes war ein Oberst von Kiß in Paris, der sehr vermögend war und der eine Aktiengesellschaft ohne Staatsunterstützung bilden wollte, um den Bau der sieben Linien zu finanzieren. Die Rheinische Bahngesellschaft verlangt für die Linie Kall-Hellenthal die unentgeltliche Ueberlassung des Grund und Bodens für den Bahnbau im Werte von 15-18000 Talern, den Morgen hatte man durchschnittlich zu 380 Talern angenommen. Der Landrat und die Kreisstandmitglieder verwarfen diesen Plan mit großer Entrüstung. Die Industriellen und die Gewerbetreibenden sollten diese Summe aufbringen, da sie den alleinigen Nutzen hätten, im anderen Falle würde der kleine Mann zu hart betroffen, wenn die Summe proportional auf die Klassensteuer verteilt würde. Man setzte seine Hoffnung schließlich auf den Eisenbahnkönig Dr. Strausberg. „Darum Eifelbewohner und in Sonderheit ihr Industrielle des herrlichen Schleidener Tals, wendet euch in euerer Bahnnot an den Eisenbahnkönig Dr. Straußberg, gebt ihm genügenden Aufschluß über die hiesigen Verhältnisse und ihr werdet ohne große Opfer und weitläufige Scherereien eure Wünsche in kürzester Zeit erfüllt sehen. Begnügt euch nicht mit einer Zweig= oder Sackbahn von Kall nach Hellenthal. Arbeitet deshalb auf die Linie Köln, Zülpich, Hellenthal, St. Vith hin, also auf eine direkte Verbindung zwischen Köln und der in Aussicht stehenden Moselbahn. Verlaßt euch nicht auf die Rheinische Eisenbahngesellschaft. Hat man denn im Kreise Schleiden so schnell die traurige Geschichte der Eifelbahn vergessen, welche über das Wesen und Treiben der Rheinischen Eisenbahn das klarste, wenn auch nicht gerade das schönste Licht verbreitet, der doch allein die ganze Eifel und in Sonderheit die Vordereifel ihr Unglück verdankt. Weshalb ist in Gemünd das industrielle Leben erstorben, welches noch vor wenigen Jahren so rege dort pulsierte? Weshalb hören wir nicht mehr in rheinischen Bergen den Widerhall des ehemals rastlos pochenden Eisenhammers? Wer trägt die Schuld daran, daß vorher blühende Orte und Gegenden jetzt nichts mehr sind als tote Zeugen einer schönen Vergangenheit? Fragt die Rheinische Eisenbahn! Sie mag wohl einsehen, daß sie sich an der Eifel schwer versündigt hat, ist damit aber gesagt, daß sie ihre Schuld jetzt sühnen will? Haltet euch nicht an Leute, welche Bahnen lediglich zum Ausbeuten bauen, sondern vielmehr an solche, welche dem amerikanischen Prinzip huldigend, durch ihre Bahn erst aufschließen!

Stausberg, der Mann der Tat, wird diesen Weg dem Dampfroß in kürzerer Zeit zugänglich machen, als die Rheinische Eisenbahn dazu gebraucht, um mit ihrem beliebten „Wenn“ und „Aber“ fertig zu werden!“ (Unterhaltungsblatt und Anzeiger für den Kreis Schleiden, 1869 Nr. 37).

Auf diese scharfen Angriffe ließ die Rheinische Bahngesellschaft in derselben Zeitung antworten (1869, Nr. 40-42). Die Unmöglichkeit der Geldbeschaffung zum Parikurse, der niedrige Stand der Effekten von 1856-61. Die Aktien der Rheinischen Eisenbahn, die zur Zeit der Konzessionserteilung 118-120 standen und die jetzt bis weit unter 100 gegangen waren, die schwierigen Terrainverhältnisse im Schleidener Obertal wurden von der Staatsregierung anerkannt und die Gesellschaft wurde von der Pflicht entbunden in aller Form durch einen besonderen Vertrag, die Bahn bis Schleiden zu bauen.

Die Techniker der Rheinischen Bahngesellschaft hatten begutachtet, daß die Bahnführung über Hellenthal hinaus auf fast unüberwindliche Schwierigkeiten stoße, dadurch, wenn nicht gerade unmöglich, so doch mit einem so enormen Kostenaufwand verbunden sei, daß an den Bau der Bahn in dieser Richtung nicht weiter gedacht werden könne. Im Schleidener Tale wollte man diese Befürchtungen nicht wahrhaben und suchte durch Wort und Schrift die Möglichkeit der Weiterführung der Bahn darzutun, indem man die Bahngesellschaft heftig angriff. Die Folge davon war, daß auch die Regierung eine Vermessung und Besichtigung des Terrains durch eigene Beamte vornehmen ließ. Diese gingen indes in ihrem Urteile noch weiter, da sie die Ausführung der Bahn in der projektierten Richtung als glatte Unmöglichkeit erklärten. Man kann sich vorstellen, daß die Stimmung im Schleidener Tal sehr gedrückt war, und heftige Angriffe gegen die Regierung und die Rheinische Bahngesellschaft drangen in die Oeffentlichkeit.

aus: Eifelvereinsblatt Nr. 3, Januar 1929, 30. Jahrgang, Selbstverlag des Eifelvereins, Rektor Zender Bonn Münsterschule

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