Dürener
Zeitung vom 25.11.1950
Eine
Siedlung aus dem Lehmboden gestampft
Merzenicher
Siedler zeigten, wie man es macht - Durch Eigenarbeit schnell und
sicher zum Ziel
Merzenich. - Am Samstag besuchte der englische Unterhausabgeordnete Patrick Bartley die Merzenicher Siedlung. Mit ihm waren Bundestagsabgeordneter Günther (Köln) und der Leiter des Kulturausschusses von Nordrhein-Westfalen, Dr. Josef Hofmann (Aachen) zur Besichtigung der Neubauten am Ortsrand erschienen. Bei dieser Gelegenheit fand zum erstenmal ein Siedlungswerk seine verdiente Würdigung, das hinsichtlich der privaten Initiative, der es sein Entstehen verdankt, und der an ihm aufgewandten Arbeitsleistung der Beteiligten eine Sonderstellung unter allen ähnlichen Unternehmungen einnimmt.
Jawohl, die Merzenicher Siedlung ist tatsächlich aus dem Lehmboden, auf dem sie steht gestampft worden. Als der Gedanke an sie nämlich zum erstenmal aufkam, war nicht viel mehr da als das Baugrundstück, das die Kirchengemeinde in Form einer Erbpacht bereitzustellen versprach. Und dann war noch ein weiteres da - eine gehörige Portion Energie und Zivilcourage, mit der der geistige Vater der Siedlung Karl Pottmann damals seinen Plan den Merzenichern vortrug und so schmackhaft zu machen wußte, daß von den 24 geplanten Doppelhäusern heute bereits acht bewohnt sind, weitere acht noch zum neuen Jahr bezogen werden sollen und mit der Vollendung der restlichen acht bis Ostern zu rechnen ist. Und das alles, nachdem man Karl Pottmann zeitweilig eine Scharlatan und einen Phantasten genannt und ihm vorgeworfen hat, daß er leichtfertig die guten Groschen seiner Leute verschleudere. Manchmal waren es tatsächlich nur der Pfarrer und der Amtsdirektor, die dem kühnen Plan ihr Vertrauen bewahrten und dementsprechend nie gezögert haben, wenn sie den Siedlern in irgendeiner Form helfen konnten.
Instanzen, solche und solche
Während der ganzen Zeit aber haben die Siedler gearbeitet. Jeder bekam von vorneherein die Stelle zugewiesen, die er einmal bewohnen sollte; der Fleiß, mit dem der einzelne daraufhin zu Werke ging, war entsprechend. Freilich, hin und wieder ging der Eifer zu weit, wenn beispielsweise der eine oder andere glaubte, daß seine Baustelle die wichtigste sei und im Augenblick besonders viel Baumaterialien brauche ... Und dann gab es auch Schwierigkeiten bei den maßgebenden Instanzen. So zum Beispiel, als das Wasserwerk eines Tages feststellte, daß die fast fix und fertige Wasserleitung noch genehmigungspflichtig sei und augenblicklich zugeworfen werden müsse ... Bei allem soll aber nicht vergessen werden, daß es auch Behörden gab, die alles getan haben, das entstehende Werk zu fördern. Das war neben der Amtsverwaltung vor allem das Kreisbauamt und sein Leiter Oberbaurat Mattes, dem die neue Siedlung nicht zuletzt das rüstige Voranschreiten der Arbeiten verdankt.
Klein, aber oho
Heute steht ein Teil der Häuser, und die Leute, die sie bewohnen, sind zufrieden. Sie haben in den Jahren nach dem Kriege nicht in den komfortabelsten Wohnungen gelebt, und für sie ist ihr neues Haus ein kleines Paradies. Zwar wissen sie noch nicht genau, wie hoch ihr Häuschen später belastet sein wird, weil die ganaue Höhe der Unkosten noch nicht feststeht. Aber sie wissen, daß sie ein Drittel der Gesamtunkosten selbst abgearbeitet haben, und danach kann der Rest nicht mehr übertrieben hoch ausfallen. Zudem werden sie einen Mieter aufnehmen können, der einen nicht unerheblichen Teil der Belastung abtragen hilft. Die einzelnen Wohnungen - klein, aber oho - weisen im übrigen alles das auf, was zu einer Wohnung gehört: Eine Wohnküche, zwei Schlafzimmer und eine Wirtschaftsküche; zudem einen Stall und, wenn es erst einmal Frühjahr wird, einen Garten.
Das gibt es in England nicht
Das meiste Staunen zeigte bei den Besuchern der englische Gast. Das gibt es in England nicht, daß die Bauherren beim Bau ihres Hauses selbser mit Hand anlegen oder sogar ein Drittel der Baukosten auf diese Weise abtragen. Die Baukosten liegen darum drüben wesentlich höher, obgleich der Bauindex ein wenig unter dem deutschen liegt. Zudem ist aber das Bauen in England - auch das hob der Besucher hervor - durch die erfoderlichen Lizenzen und die immer noch bewirtschafteten Baumaterialien wesentlich schwieriger als bei uns. Andererseits gibt es in England, wenigstens bei den neuen Häusern auf dem Lande, keine Mietwohnungen und - kein Haus ohne Bad.
200 Wohnungssuchende weniger
In Merzenich wird inzwischen weitergearbeitet. Als wirdie Siedlung besuchten, war es Samstagabend, und immer noch konnte man hier und dort die Männer mit Hacke und Spaten bei der Arbeit sehn. Sie wollen so schnell wie möglich in ihr Häuschen einziehen und freuen sich jetzt schon darauf. Mi ihnen freut sichaber auch Karl Pottmann, dessen guter Gedanke erst dann endgültig seine Rechtfertigung findet, wenn das letzte Haus steht, und außerdem Amtsdirektor Bekcing, der dann wieder zweihundert Personen von der Liste der Wohnungssuchenden streichen kann. Zweihundert - zwar noch nicht alle, aber eine für Merzenich immerhin beachtenswerte Zahl.
[ohne Abbildung - Siedlungshäuser
- Baustelle]
So wie diese werden einmal alle 24 Siedlungshäuser
der Merzenicher Siedlung aussehen, wenn sie - was bis Ostern erreicht
werden soll - vollzählig bezogen werden können (Foto: Plum)
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