Dürener Zeitung vom 3.6.1950
Ein Artikel über die Entwicklung Gemünds

Brückenort - Industriestadt - Luftkurort

Von Studienrat Wilhelm Günther

Nicht viele Orte der Nordeifel haben eine so bewegte Vergangenheit wie das Städtchen Gemünd. An seinem Anfang vor etwa 1800 Jahren steht eine Straße, die Römerstraße von Köln nach Reims, die im Bereich der Stadt die Urft überschritt. Das römische Gemünd lag freilich etwas urftabwärts im Gebiet des heutigen Gartenschwimmbades auf hochwasserfreiem Gelände, ähnlich wie das römische Malsbenden auf der Terrasse des Weierberges stand.

Als die Römerherrschaft zusammenbrach, bedeckte der Wald wieder den Boden der ältesten Siedlungen, nur die Straße blieb, wenn sie auch an Bedeutung hinter der Straße Köln - Trier weit zurückstand.

Die Anfänge unseres heutigen Gemünd knüpfen wieder an diese Straße und den Urftübergang an. Im Jahre 973 führt hier über die Urdefa, die Urft, der pons Wismanni, die Wichmannbrücke. Dieser Wichmanni aus dem Geschlecht der mächtigen Grafen des Heimatlandes, dessen Erben auch im Besitz der Burg Heimbach waren, ist also Erneuerer der alten Brücke und damit wohl auch Begründer des heutigen Ortes.

Industrie schon im 14. Jahrhundert

Gemünd war im 14. und 15. Jahrhundert bereits weit mehr als ein Brückenort. Im 14. Jahrhundert zeigen *) sich hier schon die Anfänge der Industrie. Bei Mauel (wie später auch bei Wolfgarten) gewinnt man Eisenstein und auch auf der dortigen Hofstatt Roiste wird das Material gewiß noch primitiv verarbeitet. In Gemünd gab es damals bereits einen kleinen Hochofen, den „Hitzerich“, der „Heynrich dem Smede“ gehörte.

Als dann im 15. Jahrhundert infolge der Hüttenreform der Manderscheider im Schleiden der erstaunliche Aufschwung der Eisenindustrie einsetzte, gibt der Herzog von Jülich am 13. 5. 1486 die Konzession für den Bau eines Rietwerks, einer Eisenhütte, die im 16. Jahrhundert mächtig emporblühte. Andere Anlagen, wie Lohmühlen, Walkmühle, Oelmühle treten hinzu.

Gemünds Eisenhütte ist im 17. Jahrhundert eine von den ganz wenigen Eifeler Hütten, die nicht zum Erliegen kommt, vor allem auch dank der Auswanderer, die die Gegenreformation aus dem Schleidener Lande trieb und die in Gemünd eine lutherische und eine reformierte Gemeinde gründeten.

Neuen industriellen Aufschwung bringt das 18. Jahrhundert, an dessen Ende Gemünd mit 1150 Einwohnern bereits alle benachbarten Orte übertrifft. Zur alten Eisenhütte treten eine Eisenschneidemühle, ein Eisenreckhammer (später Papiermühle) und eine Kupfermühle nebst Walzwerk.

Gemünds große Zeit

Die französische Zeit (1794 bis 1814), die das zum Munizip *) vereinte Gemünd zum Hauptort eines Kantons und Sitz eines Friedensgerichtes machte, sowie die erste preußische Zeit, in der Gemünd von 1816 bis 1829 Hauptort des Kreises Gemünd , seit 1829 Kreis Schleiden wurde, bringt den Höhepunkt der Gemünder Industrie.

1837 entstand das „Gemünder „Walzwerk“ des Reinhard Poensgen, das erste seiner Art in preußen. Es beschäftigte zeitweise bis zu 300 Arbeiter. Geradezu Monopolcharakter aber trug die 1842 zu Mauel gegründete Gasröhrenfabrik des Albert Poensgen, jahrelang einziges Unternehmen dieser Art in Deutschland. Daneben stellte man in Mauel Gußstahl, Zementstahl und Feilen, seit 1855 auch Siederöhren zu Lokomotiv- und Dampfschiffkesseln, doppelt geschweißte Manometer und Preßröhren, Röhren zu Dampf- und Warmwasserleitungen, Drahtstifte und gewalztes Tafelblei her. Die Maueler Poensgenwerke beschäftigten fast 200 Arbeiter.

Das waren die Zeiten des “Borissanten“ *) Gemünd, wie es in einem Artikel des 1848 gegründeten Gemünder Wochenblattes heißt. Diese Gewerbsamkeit veranlaßte die Kgl. Regierung, Gemünd als zunächst einzigem Ort im Kreise den Rang einer Stadt zuzuerkennen.



Gemünd vom Berg gesehen

Ein schwerer Schlag


Im Jahre 1860 erfolgte mit der Verlegung der Poensgenwerke nach Düsseldorf (was nötig wurde, weil ein Anschluß Gemünds an das Eisenbahnnetz nicht zu erreichen war) ein Schlag, von dem die Stadt sich für lange Zeit nicht zu erholen schien. Die Einwohnerzahl sank von 1623 im Jahre 1850 auf 1400 im Jahre 1867 und erreichte erst 1895 wieder die Zahl von 1850.

Nachdem 1884 endlich ein Bahnanschluß erreicht war, entwickelte sich die verbliebene Industrie zufriedenstellend. Wieder einmal besiegten der Fleiß und die Willenskraft der Gemünder die schweren Hindernisse, auch die verschiedenen Brandkatastrophen, von denen die vom 14./25. August 1851 42 Wohnhäuser vernichtete und 300 Menschen obdachlos machte.

Vom Industrie- zum Luftkurort

Mehr und mehr tritt nach 1860 an die Stelle des Industrieortes der Luftkurort. Die Romantik hatte die Schönheit unserer Heimat entdeckt. Von Alpen, der erste Bewunderer unserer Gemünder Landschaft, spricht im Jahre 1802 in fast überschwenglicher Weise von der wilden Pracht der schauerlichen Gebirge, von den trotzigen Bergen, die jahrhundertealte Eichen und Buchen und ungeheure Felsmassen tragen; von den engen Tälern, wo der Pfad zwischen jähen Felswänden und tosenden Wildwassern kaum Platz findet.

Einer der ersten Sommergäste in unserer Gegend, Pfarrer Jakob van Ernster, lobt 1835 den Gasthof Messerschmidt (jetzt Kurhotel), dessen Wert er mit dem Gastwirt zum Goldenen Löwen in Goethes „Hermann und Dorothea“ vergleicht. Auch er schwärmt von dem Buchenwald mit seinen glatten, schlanken, himmelansteigenden Stämmen und dem majestätischen Laubgewölbe. Auch er blickt in Tiefen, deren äußersten Grund das Forschende nicht zu erreichen vermag. Freilich erscheint ihm der Anstieg auf die Berge mühsam, und so mochte er, ein alter Sohn der verzärtelten Biedermeierzeit, den Namen Kermeter von kermen = stöhnen (wegen des mühsamen Anstiegs!) ableiten.

Auch der vortreffliche Kalkenbach, Verfasser des reichhaltigen Buches über den Regierungsbezirk Aachen (1850), verweilt bei einer Schilderung der Schönheiten des Urfttales unterhalb Gemünds. Seit dem Jahre 1880, also noch vor dem Bahnbau, hören wir von zunehmendem Fremdenverkehr. Eduard Rancillio, Maler an der Dresdener Akadamie, hat damals ein Bild Gemünds gemalt, das in einer Dronkeschen Eifelschrift erschien. *)

Seit 1885 hat Gemünd einen Verschönerungsverein. Im Jahre 1888 gab dieser den ersten „Führer für Gemünd und Umgebung“ heraus mit zwei zeichnungen von Hubert Schlemmer (Heistert) und einem Stimmungsbild, das ein weitgereister Naturfreund und regelmäßiger Besucher Gemünds, Hugo Schleicher aus Düren, verfaßte. Er spricht von der friedvollen Ruhe unserer Landschaft, wo an klaren Sommertagen bläuliche Morgennebel um die ragenden Kirchtürme weben und wo im Herbst der Landmann seine Furchen mühsam um die wildbesonnten Höhen der heranrückenden Berge zieht, wo aus Feld und Flur Herdengeläute und von den Mühlen der schrille Ton der Kreissägen, das Aechzen des Drahtzuges, das Rasseln und Klappern der Stiftmaschinen klingt.

„Und wenn man“, so schließt er, „den freundlichen Ort betritt und kostet in seinen sauberen Gaststuben Speise und Trank, dann wird man bald aussprechen: 'Hier ist gut sein, hier laßt uns Hütten bauen'.“

Weiser Rat für Fettleibige

Spätere Führer wissen auch von gesundheitlichen Vorzügen Gemünds zu berichten, wobei es einmal (5. Auflage 1905) schalkhaft heißt: „Insbesondere dürfte sich für solche, welche an allgemeiner Fettleibigkeit leiden, eine zweickmäßige Ausnutzung der verschiedenartigen Terrainverhältnisse nutz- und heilbringend erweisen.“

Eifelverein seit 1888

Als dann am 22. 5. 1888, einem Pfingstdienstag, im Kursaal zu Bertrich, der Eifelverein gegründet wurde, trat der Gemünder Vorschönerungsverein dem Eifelverein bei, der im ersten Jahre bereits 22 Ortsgruppen mit 1500 Mitgliedern zählte und der seine erste Hauptversammlung nicht ohne Grund am 12. 8. 1883 in das schöne Gemünd legte. In der Folgezeit haben wir den Eifelverein noch öfters bei uns gesehen, so zunächst wieder im September 1903. In dieser Zeit hat Gemünd als führender Luftkurort der Eifel, vor allem unter Bürgermeister Tochters, einen erheblichen Aufschwung genommen.

Dann aber kam die Katastrophe des Jahres 1944/45. Gemünd war eine gespenstische Ruinenstadt, als der Amerikaner es schließlich am 4.3.1945 besetzte. Unsere Besucher aber werden sich überzeugen, daß die Tatkraft, die den Gemünder seit je befähigte, Schicksalschläge zu überwinden, auch heute noch vorhanden ist. Großes ist im Wiederaufbau in den letzten Jahren geleistet worden.

Ein Scheidener, Dr. Janssen, hat einmal in einer seiner Schriften Gemünd „den Vorort der Eifel, den tätigsten und unermüdlichsten Vorkämpfer für die Erschließung unserer Heimat für den großen Naturpark des Westens“ genannt. Möge diese auch weiterhin Gültigkeit haben.

*) kursive Hervorhebung = Übertragungsfehler aufgrund schlechter Vorlage und Richtigkeit von Eigennamen vorbehalten

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