Unsere Heimat:
Beilage zur Dürener Zeitung 2. Jahrgang Nr 2, Februar 1950


Ein Gang durch den Bürgewald


Ein Kronzeuge für die St.-Arnold-Sache

Am Grabesort des Gründers dieser Waldgenossenschaft bewahrten die Bürgler bei den heute noch zum Teil erhaltenen Gebeinen ihres gemeinsamen Waldpatrones ein überaus wertvolles Kleinod, einen Siegelring Karls des Großen, den Arnold als Zeichen der Belohnung, wie es üblich war, erhalten hatte. Schon der alte Lebensbericht, nachweisbar im 12. Jahrhundert geschrieben, weist zweimal ausdrücklich auf diesen Ring hin: „... wo auch sein Ring, über den wir oben berichtet haben, sorgfältig verwahrt worden ist, den man dort heutzutage noch nachprüfen kann“! Er muß demnach als von Karl herstammend auch zu erkennen gewesen sein und stellt also den Kronzeugen, gleichsam die beigefügte Beurkundung der lebendigen Überlieferung dar. Dieses kostbare Kleinod ging erst im Dreißigjährigen Krieg verloren, wo es „von Söldnern mit Gewalt entwendet“ wurde. Christoph Mävus, der Jesuit und Bollandist, hat uns das 1637 mitgeteilt, nach eigener Untersuchung an Ort und Stelle. 1635 war Düren vom Grafen Piccolomini besetzt und umlagert worden, und damals lagen auch in Arnoldsweiler 20 Fähnlein, die fast unglaublichen Schaden anrichteten.

Einteilung des Waldes

Vor 350 Jahren hatte man den Wald eingeteilt in „Quartiere“, das Arnoldsweiler, Elsdorfer, Manheimer und Steinstraßer Quartier mit insgesamt 7975 alten Landmorgen. Die Quartiere waren unterteilt in „Schläge“ für die einzelnen Orte. Hier und da war ein sogenannter „Laag“, Eigentum des Landesherrn. In Arnoldsweiler und - zur leichteren Verwaltung seit 1557 auch an der Ostseite des Waldes - in Elsdorf, wurden in der Kirche in einer eisenbeschlagenen, „mit fünft Schlüssel“ verschlossenen Truhe die Schlag- und Brenneisen, aufbewahrt (noch um die Jahrhundertwende war eine solche in der alten Kirche zu Arnoldsweiler erhalten), und dort hielten die Erbsassen ihre zwei Holzgedinge, am 18. Januar und am 1. Oktober. „Steigt St. Peter auf seinen Katheder, streicht der Wiler die Katz von Leder, und zu Elsdorf am Remistag - „Remnißtagh“ - der Wirt sein Bäuchlein streichen mag“. Aber auch „Holzgeding - tolles Ding“. Oft mag es scharf hergegangen sein bei solchen Versammlungen der „Erven“, denn Gemeinnutz ging auch im Bürgerwald nicht immer vor (landesherrlichem) Eigennutz! „Um die Wildbahn zu salvieren mit den Reh'n und Borstentieren gibt's kein Recht, das Gras zu hauen; Gicht und Kötter, Ritter, Klauen (Holzeinheiten) stets genau und fein muß gemessen sein!“

Andere Versammlungen der Waldgenossen

Außer diesen beiden Holzgedingen, deren Termine man später natürlich nicht immer beibehielt, wurden auch außergewöhnliche Versammlungen einberufen, später auch nach anderen Orten. Das alte Walddorf Niederembt bewahrt in seinem Pfarrarchiv ein einzigartiges Weistum darüber und über die Waldverfassung aus der Zeit vor 240 Jahren, ergänzt von dem Pfarrer Bertrams von dort. (Vgl. auch Ann. Hist. V. Nrrh., 63 S. 22 f.). Welch ein wichtiger Vorgang war noch in der Zeit vor 1914 die Ausrufung des „Holzloses“! Das war ein Abend fürs ganze Dorf, und der Ausrufer war der Ortsvorsteher in eigener Person. Bester „Arnoldskorn“, zuletzt hergestellt in der Brennerei Heinrich Müller in Arnoldsweiler und dem weißen Luxemburger und „Sliwowitz“ nicht nachstehend, floß dann reichlich und bewies manchem „Der Arnoldskorn steigt in das Horn“. Nicht immer blieb es dabei geruhsam und „nachbarlich“.

Die Bürgewaldfeste

Die Bürgewaldfeste, besonders das sogenannte „Aufbrennfest“ - wenn die Schweine vor der Auftrift zur Eichelmast ihre Kennzeichen mit dem Brenneisen erhielten - „Wen der allmechtig Echer beschert“ - und ebenso auch ein „Eckernfest“ - zumal wenn die Bucheckern zur Ölgewinnung gut geraten waren - wurden ausgiebig gefeiert, wozu die Gemeinschaftskasse beitrug, die ihre - bis zu sechs - Reichstaler dazugab.

In der Waldordnung von 1557 ist der Hauptort der Bürge „St. Arnoldtswieler“ (in verschiedener Schreibung) siebenmal genannt. Elsdorf dagegen nur dreimal. Besonders bedeutungsvoll ist darin jene Verfügung, wovon von dem Strafgeld von den „verwürckten vercken ein theile zum baw der Kirchen zu St. Arnoldtswieler“ verwendet werden sollte!

Diese Waldordnung - es gibt auch für die Bürge noch andere, kleinere - stellt mit dem sonstigen Inhalt ihrer 46 „Artikel“ an sich keine Besonderheit gegenüber den Ordnungen anderer alter Waldungen dar. Sie konnte bei der damals noch großen wirtschaftlichen Bedeutung der Wälder in ihren Anordnungen und besonders auch in den Strafen nicht anders als streng sein, wenn auch manches, wie die Auftrift des Hornviehes zur Waldweide, sich nach den fürstlichen Belangen (Jagdbann) richten mußte.

Zur Geschichte der Waldlandschaft

Manches andere Belangreiche bietet noch ein Gang durch den Bürgewald. - Die Orte an der Westseite des Waldes (Merzenich, Ellen, Oberzier, Niederzier, Hambach) liegen auf dem östlichen Rande des sogenannten Rurtalgrabens. „Hier haben“, so schreibt der Dürener Erdgeschichtsforscher Professor Edmund Kurtz, „große Bewegungen von Erdschollen sich noch in diluvialer Zeit (Zeit der letzten großen Erdumwälzung durch Flut) vollzogen. In diesem Gebiet sind daher häufige, wenn auch schwache, tektonische Erdbeben zu spüren. - Merzenich, Ellen, Oberzier liegen an der ansteigenden Uferseite des Ellbaches; nur bei Niederzier und Hambach ist dieses Hochufer nicht mehr so ausgeprägt.“ Zu vergleichen ist hier „die verhältnismäßig hohe Lage von Gürzenich, Mariaweiler und Pier“ jenseits der Rur und weiter „an der Inde die Lage von Frenz, Inden, Altdorf und Kirchberg“.

Am Waldrande bei Ellen ist die schönste Stelle jenes Hochufers, ein wirklicher „Schauinsland“, da, wo heute ein Friedhof für Russen und Franzosen ist, am sogenannten Arnold-Pützchen - „ahn st. Arnoltzpütz“ -, wie es amtlich heißt in einer alten Aktensammlung des Stadtarchivs Düren. Von dort ist an klaren Tagen ein schöner Ausblick über die fruchtbare Lößlandschaft und die Rursenke bis nach Schloß Merode und in die Voreifelberge. „Da rauscht vom Zeitenstrome der Heimat Lied herauf, wie alles kam, vergangen und was da lebt nur Tröpflein sind in des Baches Lauf.“ (Ellener Liederkranz.)

Unter der Lößschicht haben wir östlich der Elle Rheinkies, westlich aber Rurkies. Weiter östlich gegen das alte Walddorf Morschenich wird das Erdreich zwar schlechter, wo „das Land zu wenig Gefälle hat und fast abflußloses Gebiet darstellt. Das ist der Merzenicher Erbwald mit seinem nassen und kalten Boden. Viele Strecken des früheren großen Bürgewaldes sind aber im Laufe der Zeit gerodet worden, und die Ackerscholle hat nach jahrhundertelanger Pflugarbeit und Entsumpfung (Morschenich = morisazan, Moorsassen, Moorsiedler) mehr und mehr die braune Farbe angenommen. Was wir heute noch östlich der Elle an Wald antreffen, sind nur Reste des vor vielen Jahrhunderten noch sehr ausgedehnten Bürgewaldes. Der Wald wich erst mit Zunahme der zahlreichen Siedlungen zurück und außerdem wohl deshalb, weil in diesem Waldteil - Merzenich, Ellen - die Entwässerung in ganz leichter Weise zu bewerkstelligen war, leichter, als in dem flacheren Gelände im Norden und Nordosten“ (Kurtz). - Hier haben wir also die Erklärung dafür, warum gerade hier der Bürgewald so weit von den Ortschaften fortgerodet wurde. (Vgl. auch Burg „Rath“).

Erdbrüche, Maare, Erderschütterungen

Professor Kurtz schrieb ferner über die in diesem Waldteil vorkommenden „Maare“: „Diese liegen nicht willkürlich in der Gegend umher, sondern immer auf oder nahe bei kleineren Bruchstellen des Untergrundes, zwischen den großen Brüchen, die die Kölner und niedrrheinische Bucht durchziehen. An diesen Bruchstellen machen sich bekanntlich unsere Erdbeben bemerkbar. Diese Erdbeben sind ein Nachsacken gerissener Teile der Erdrinde.“ Der Bürgewaldbach, die Elle, ist „die nachträglich entstandene Auswaschrinne der Bruchlinie Kelz - Frauwüllesheim - Girbelsrath - Merzenich - Ellen und weiter. Außer zehn Trichtern bei den zwei erstgenannten Orten finden sich bei Ellen vier solcher „Maare“, die geologisch zu deuten sind. In der weiteren Jülicher Gegend wurden diese Senktrichter benutzt, um aus der Tiefe den goldgelben Löß (oder auch Mergel) durch Schachtarbeit herauszuholen und zur Düngung zu verwenden. Somit könnten auch manche dieser Maare keine Bruchstellen der Erdrinde, sondern angelegte Gruben zur Mergelgewinnung sein. Bei den Trichtern am Waldrand bei Ellen, nördlich vom gerodeten Juffernforst, findet sich kein Löß, sondern toniger Sand.“ (Löß = kalkhaltige Lehmerde; mergel - keltisches Wort - ein Gemisch von Lehm, Kalk und Sand)

Bürgewaldsagen

Zeigen schon die zahlreichen Volkssprüche aus dem Bürgegebiet, wie sie kaum im Volke eines anderen Waldgebietes zu finden sind, die tiefe Beseelung der Waldgeschichte durch die Ehrung des gemeinsamen Patrones, so auch die Bürgewaldsagen. Das „Arnold-Pützchen“ haben wir schon erwähnt; es ist dieselbe Sage wie die nur noch mehr ausgeschmückte vom Alderich-Bronnen in Füssenich bei Zülpich. - Im Bürgewald sind keine Stechpalmen „Hüldern)“ zu finden, obschon sie überall in der nächsten Umgebung vorkommen. Als Arnold über ein Hüldergestrüpp setzen wollte, um den Weg abzukürzen, bäumte das Roß sich zurück, der Reiter mußte einen großen Umweg machen, und er habe darum die Stechpalme aus seinem Walde gebannt. - In der Bürge gibt es auch keine Elstern, wohl aber in der ganzen Umgegend. Wie ein Förster berichtete, ließ man vor Jahren Elstern aus der Eifel kommen, aber schon nach einem Jahr waren sie alle verschwunden. Die Sage will wissen, eine Elster habe ein Pferd des Reiters bei dessen eiligem Ritt um den Wald zur Erwerbung desselben so erschreckt, daß es eine weite Strecke zurückgejagt sei; darum habe Arnold auch die Elstern aus seinem Walde gebannt. - Außer diesen gibt es noch mehrere örtliche Sagen, die alle von dem Waldesheiligen handeln. Auch

der bekannte „Ritt um den Wald“

selber, die Erwerbung desselben durch Umreiten, sogar „während eines Mahles“, ist als Rechtsvorgang geschichtlich nicht nachzuweisen. Dies gibt schon der alte, sehr kritisch abgefaßte Lebensbericht deutlich genug zu verstehen; der Hagiograph weist allzu eindeutig darauf hin, das hier der spätere Volksmund erzählt. Jener Vorgang war darum ganz gewiß nicht Bedingung zur Erwerbung und Übertragung der Waldrechte, sondern Schlußakt einer Belehnung, die aus der Zeitgeschichte zu erklären ist, wo bei der fast ausschließlichen Naturalwirtschaft der Staat seine Beamten entlohnte, indem er ihnen Saatgut zur Nutznießung überließ, gleichsam als Beamtengehalt. - Ähnliche Gepflogenheiten wie dieser Umritt (Gebäude wie Liegenschaften) als äußere Zeichen (Symbole) in verschiedenster Art und alten Weistümern und Urkunden (Weistümer = Symbolik) bis ins 18. Jahrhundert, wie es in interessantester Weise eine Urkunde von 1784 aus dem Hause v. Bourscheidt zeigt, die im „Arnoldsweiler Heimatbuch“ abgedruckt ist. - Zu der Rittsage ist überdies die ähnliche Sage über Lüfthildis von Lüftelberg bei Rheinbach (noch einige Zeit vor Arnold) zu vergleichen, die zudem auch noch nicht einmal das einzige Vergleichsbild dieser Art darstellt.

Erwähnen wir noch die düstere Waldmär, wonach Kerpener Wildschützen und Holzdiebe einen Bürgeförster überfielen und erdolchten und ihr Ort seitdem aus dem Waldverband ausgeschlossen blieb. - Die Geschichte des Bürgewaldes und der arnoldinischen Dörfer erscheint als eine der schönsten, eigenartigsten und reichhaltigsten deutschen Dorf- und Waldgeschichten. Auch die wissenschaftliche Forschung hat sich in großangelegten und fleißigen Arbeiten bemüht, besonders die Urgeschichte dieses Waldgebietes und seiner alten Gaue zu erforschen. (Vgl. „Düsseldorfer Jahrbuch“, bd. 26, S. 65).

Längst abgelöst aber sind jene alten Lebensverhältnisse - der Wald ist dem Volk in seinem Alltagsleben fast fremd geworden -, und auch die uralte und einzigartige Sankt-Arnold-Tracht, von der das sogenannte „Kerzenfest von Arnoldsweiler“ nur noch ein sehr bescheidener Abglanz ist, ist seit der Franzosenzeit verschwunden und vergessen. In das stille Gebiet am Ostrande des Waldes - Morschenich, Etzweiler - aber ist heute lautes Leben eingekehrt, wo nun die Erschließung und der Abbau von Braunkohlelagern begonnen hat und eine neue Siedlung entsteht.

Vill.

© Copyright 2000 wisoveg.de

Zur Homepage