Mit dem Förderkorb 300 Meter unter der Erde

Aachener Volkszeitung vom 22. September 1949

(BS) Morschenich, 21. September

10 Milliarden cbm Braunkohle warten auf Abbau - Zwei Versuchsschächte in Morschenich

Unweit des kleinen Ortes Morschenich in der Mitte des Städtedreiecks Düren - Jülich und Bergheim, überragen zwei stählerne Fördertürme, von denen einer 30 Meter hoch, der andere in Kürze ebenfalls diese Höhe erreichen wird, die dichten Laubkronen des Bürgewaldes bei Morschenich. Nur einige flüchtige Augenblicke ist es dem Außenstehenden, der die Bahnstrecke Düren - Neuß benutzt, gestattet, einen Blick auf die bergmännischen Anlagen zu tun, die sich entlang des Bahnkörpers im Wald verlieren. Kaum jemand kommt der Gedanke, daß diese Versuchsanlage, vorläufig weitabgeschnitten von jedem zügigen Verkehr, der Ausgangspunkt einer strukturellen Änderung des Wirtschaftslebens nicht nur im Kreise Düren, sondern auch für die nächsten Jahrzehnte sowohl das landschaftliche, soziale und wirtschaftliche Gesicht des gesamten Gebietes bestimmen wird.

Für 100 Jahre Braunkohle unter Tage

„Versuchsschachtanlage Morschenich der Rheinischen Braunkohlen - Tiefbaugesellschaft“ steht in verwaschenen Lettern auf einem fast verwitterten Holzschild am Eingang des Werksgeländes, das man nur auf einem schmalen Waldweg erreichen kann. Mit seinen grauen Baracken, einstöckigen Ziegelbauten, Garagen und weit verstreuten Baumateriallagern, seinen Flaschenzügen und Krananlagen, die sich unter die Bäume des ehemaligen Waldes ducken, gleicht das Versuchsgelände einer werdenden Industriestadt in den unermeßlichen Weiten Rußlands. Während in den umliegenden Dörfern das Alltagsleben mit pflügen, säen und ernten ohne Unterbrechung weitergeht, sind hier seit Jahren Bergwerksingenieure mit 300 Arbeitern und Bergmännern dabei, die Voraussetzungen für einen Untertage - Braunkohlenabbau zu

[Ohne Abbildung] - Sechs schwere Eismaschinen laufen in dieser Halle Tag und Nacht


schaffen. Zwischen den beiden bekannten Braunkohlengebieten im rheinischen Raum, dem Eschweiler Tagebau und den zahlreichen Braunkohlengruben des Kölner Gebietes, wurde schon in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg durch Tausende von Mutungen ein gewaltiges Braunkohlenflöz festgestellt, das sich quer durch den Kreis Düren bis in die Kreise Jülich und Bergheim erstreckt. Etwa 90 Prozent der geschätzten 15 Milliarden cbm Braunkohlen im gesamten rheinischen Raum schlummern hier in etwa 300 Meter Tiefe dem Abbau entgegen.

Fünf Güterzüge Stahl für einen Schacht

Schon im Jahre 1942 hatten die Bohrungen zu einem Versuchsschacht begonnen, da bei der Tiefenlage der Braunkohle ein Tagebau zu große Erdbewegungen verursachen würde. Ein starkes Bombardement Englischer Flieger gegen Kriegsende setzte jedoch allen Arbeiten ein ziel und erst in den Jahren 1945/46 wurde das Projekt wieder aufgenommen. Große Bohranlagen schufen bis zum Ende des Jahres 1948 einen Schacht, der sich mit einem Durchmesser von etwa 6 Meter 300 Meter tief in die Erde hineinfraß. Eine ungeheure wissenschaftliche Pionierarbeit mußte geleistet werden, da für den Braunkohlentagebau der Untertagebau vollkommenes Neuland bedeutet. Ende April dieses Jahres war der Bohrschacht zur vollen Zufriedenheit der Bergingenieure fertiggestellt, und es konnten bereits bis zu 40 Meter lange Stollen in das 60 Meter dicke Braunkohlenflöz hineingetrieben werden.

Seit dem vergangenen Jahr ist nunmehr der zweite Versuchsschacht nach einem neuartigen Gefrierverfahren in Angriff genommen worden. Über 36 Frostkörper müssen mehrere hundert Meter tief in die Erde gelegt werden, um in dem gefrorenen Zwischenraum einen ebenfalls 6 Meter breiten Schacht voranzutreiben. In einer riesigen Fabrikhalle laufen Tag und Nacht 6 schwere Eismaschinen, die eine 23 Grad unter Null kalte Lauge fortlaufend in die Erde führen. Die Wandung des Gefrierschachtes wird aus einer Stahlkonstruktion, zu der 350 Eisenbahnwaggons Stahl notwendig sind, Stück für Stück in den Schacht gesenkt.


Ersatzbild: Der erste Förderturm im Kreise Düren


Fördergerüst Schacht II in der Endmontage, Verstrebung des unteren Teils, Strebe des Abstützgerüsts noch nicht entfernt - 15.8.53
Foto: Rheinbraun AG - Zentralarchiv - Schloß Paffendorf, 50126 Bergheim

In fünf bis acht Jahren erste Förderung

Heute schon fahren täglich die Arbeiter und Bergleute mit einem Förderkorb in die 300 Meter tiefen Schächte ein, und Jahre wird es noch dauern, bis die Vorbereitungen zum regelrechten Abbau der Braunkohle abgeschlossen sind. Die bis jetzt zu Versuchszwecken gebrochene verspricht eine außerordentlich gute Ausbeute, da sie in Kalorienwert und Aschegehalt wesentlich besser als die Tagebau - Braunkohle ist. Bei regelrechter Ausbeutung werden noch vier bis sechs Generationen in die Schächte des Kreises Düren einfahren können, ehe die Flöze erschöpft sein werden. An die eigentlichen Produktionsprojekte ist man noch nicht herangegangen. Sicherlich werden aber sowohl eine Anzahl Brikettswerke als auch ein großes Kraftwerk die Braunkohlenausbeute aufnehmen. Etwa 15.000 Tonnen täglich werden die beiden jetzt gebauten Schächte bei Anlauf der Förderung ans Tageslicht bringen. Mit der Anlage von einer Anzahl weiterer Schächte im Laufe der nächsten Jahrzehnte ist zu rechnen, so daß der Kreis Düren in Zukunft gerade in seiner nordöstlichen Kante im Laufe der nächsten Zeit neben seinem landwirtschaftlichen Charakter auch die Physiognomie eines Bergbaugebietes tragen wird

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