Heimische Wohnkultur - geknüpft und gewebt
Dürener Teppichfabrik produziert wieder - Vorerst nur Exportaufträge



Aachener Volkszeitung vom 9. Juni 1948



Düren, im Juni 1948. Für den Menschen unserer Tage, gänzlich dem Luxus entwöhnt und auf nüchterne Improvisationen eingestellt, bedeutet es eine Überraschung, wenn er sich bei einem Gang durch die stark zerstörten Werkanlagen der Dürener Anker - Teppichfabrik plötzlich einer erdrückenden Fülle farbfroher Plüschteppiche und fabrikneuer prächtiger Dekorationsstoffe gegenübersieht. Eine märchenhafte Welt mannigfaltiger Formen und Farben aller Nuancen tut sich vor dem Besucher auf. Teppiche in zarter Tönung mit pastellfarbigen Blumenmustern oder Läufer in kräftig klarer Ornamentik gehalten, lassen den wunsch nach Ausgestaltung unserer kahlen Notwohnungen aufkommen. Vorläufig jedoch steht leider noch ein großes Verbotsschild vor der Anfertigung dieser begehrten Artikel für unseren einheimischen Bedarf und in die Freude über das entdeckte Märchenland mischt sich die leise Wehmut des Verzichtes. Nach achtjähriger Pause, die durch den Krieg bedingt war, haben die Anker - Teppichwerke in Düren - Birkesdorf wider mit ihrer weltberühmten Teppichproduktion begonnen, die allerdings vorerst nur auf reichhaltigen Auslandsaufträgen aufgebaut ist. Für deutsche Aufträge sind im Augenblick noch keine Rohmaterialien zu beschaffen.

Es ist um die Mittagszeit. Die Webstühle haben für eine Stunde ihre Arbeit unterbrochen, und die 450 Belegschaftsmitglieder der Fabrik finden sich in der Kantine ein, um ihr Essen aus der Werksküche zu empfangen. Ungestört läßt sich nun der ausgedehnte Raum betrachten, in dem die Webstühle aneinandergereiht stehen. Für den Uneingeweihten bieten sie ein verwirrendes Spiel bunter Garnfaden, und wie ein Wunderwerk erscheint die Stelle des Stuhls, an der diese Fäden durch den „Schußfaden“ des flink hin- und hersausenden Webschiffchens zu einem kunstvollen Teppichgewebe geknüpft werden.

Im Gegensatz zu den friedensmäßig arbeitenden Webanlagen des Werkes bedeuten die jetzt in Betrieb genommenen Webstühle nur einen Bruchteil der Zahl der früheren Maschinen. Verrostet, triefend und glänzend vom Regen, der ungehindert durch die eingestürzten Dächer Zutritt hat, liegen noch viele der wertvollen Teppichstühle zwischen Trümmern und unter dem Schutt. Nur den Aufräumungsarbeiten des tatkräftigen alten Belegschaftsstammes ist es zu danken, wenn das Werk wieder produzieren kann. Die Herstellung der sogenannten „kettgemusterten“ Teppiche, eine vor dem Kriege weltberühmte Spezialität der Fabrik, ist auf längere Zeit hinaus noch unmöglich. Die umfangreichen Einrichtungen dieses komplizierten Fabrikationszweiges der Teppichfabrik, wobei die vielen verwendeten Fäden einzeln mit den verschiedensten Farben bedruckt, im Webstuhl das gewünscht Muster ergaben, liegen zerstört und verwettert in den Ruinen und sind bereits von Unkraut überwuchert. Hergestellt werden vorerst die landläufigen „Jackquard“ - Teppiche, bei denen das den Flor bildende Garn nur in wenigen Farben verwebt werden kann. Der Teppich erhält daher nur beschränkte Musterung und Farbtönung.

In den wiederhergestellten Arbeitsräumen der Färberei haben sich die Arbeiter nach der Mittagspause wieder an ihre Plätze begeben und zwischen den zahlreichen Farbbottichen und Stellagen herrscht ein emsiges Treiben. Hier werden die Wollstränge, die von Lehrlingen mit kleinen Wagen aus dem Lager herangefahren werden, gefärbt. Die Fliesen des Raumes sind mit roten, blauen oder grünen Farbbächen bedeckt und bieten ein verwirrendes Bild. Die fertigdurchgefärbten Stücke werden anschließend zu den Spülanlagen und dann in die großen Trockenkammern transportiert. An einer anderen Seite wandern große Ballen unversponnener Wolle, nachdem sie einen Reinigungsprozeß durchgemacht haben, ebenfalls in die Färberei. Von hier aus gelangen dann die farbigen Wollflocken erst an die Spinnmaschinen. Diese Arbeitsmethode sichert dem gesponnenen Garn einen besonders ausgeglichenen Farbton, der zur Herstellung von einfarbigen Teppichen erste Voraussetzung ist.

Ehe die Wollfäden an den Webstuhl gelangen müssen sie vielartige Behandlungen durchlaufen. Die für das Untergewebe und den Flor des Teppichs benötigten Wollarten werden nach einem genau durchdachten Plan auf Spulen oder großen Trommeln gewickelt und für den Webprozeß geordnet. Ein Versehen beim Zusammenstellen der Farben würde den ganzen Teppich wertlos machen.

Mit der Produktionsaufnahme der Dürener Teppichfabrik hat sich ein weiteres Industriewerk wieder in die Reihe der industriellen Arbeit eingegliedert. Gleichzeitig läßt sie die Hoffnung aufkommen, daß das Dürener Wirtschaftsleben wieder die Position in Deutschland erobern wird, die den Namen der Stadt vor und zwischen den beiden Kriegen in die ganze Welt hinausgetragen hat.



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