Aufbau
und Stand der Dürener Tuchindustrie
Aachener Volkszeitung vom 8.1.1947
Unsere Heimat hat seit Jahrhunderten den Ruf einer bedeutenden Tuchmacherzunft und die Entwicklung des Tuchmachergewerbes ist eng verknüpft mit der Geschichte unserer Stadt. Straßennamen und Gebäudebezeichnungen sind beredte Zeugen davon. So die Kämergasse, die Weberstraße oder das Gewandhaus, das einzige Gebäude, das die erste Zerstörung Dürens im Jahre 1543 überdauerte. Hier brachten die alten Zunftmeister ihre Tuche zur Ausstellung und boten sie zum Verkauf an. Heute liegt auch das Gewandhaus in Trümmer.
In den letzten 150 Jahren industrialisierte das Tuchmachergewerbe seine Betriebe. Aus dem Rurtale der Eifel siedelten Tuchfabrikanten in Düren an und das zur Tuchbereitung vorzügliche, weiche Wasser der Rur wurde der Ankerpunkt für Dürens Weltruf. Erzeugnisse der Dürener Tuchindustrie wurden auf allen Weltausstellungen mit ersten Preisen bedacht und standen auf allen Weltmärkten in hohem Ansehen.
Die so in und um Düren heimisch gewordene Tuchindustrie war zu einem hohen Satz an der deutschen Ausfuhr beteiligt. Der Krieg brachte die Exportbeziehungen zum Erliegen und der November 1944, der Todesmonat unserer Stadt, die gesamte Tuchindustrie durch Zerstörung, Evakuierung und Plünderung zum Stillstand.
So standen bei der Neubesiedelung Dürens alle tuchherstellenden Betriebe vor einem Nichts. Die Firma Leopold Schoeller Söhne, welcher der Hauptanteil an der Dürener Produktion zukam, erlitt sehr starke Zerstörungen an Gebäuden und Maschinen. Sie sammelte ihren Facharbeiterstamm, der durch den Krieg stark gelichtet war und begann in großen Zügen mit dem Wiederaufbau des Werkes. Dieser war natürlich durch die allgemeinen Schwierigkeiten sehr gehemmt. Die Frage der Einrichtung mit neuen Maschinen bedeutet im Augenblick ein besonderes schwer zu lösendes problem, da die Neuherstellung ausnahmslos in der russischen Zone erfolgt.
Man hilft sich vorerst durch Montage von noch intakten Einzelteilen zu einem Ganzen. Trotz aller Widerwärtigkeiten konnte das Werk mit seinen Webereien und Spinnereien zum Teil wieder flottgemacht werden und beschäftigt wieder 190 Arbeiter und Angestellte. Lediglich die Färberei ist noch nicht in Betrieb. Spinnerei und Weberei haben wieder einen beträchtlichen Prozentsatz ihrer Vorkriegskapazität erreicht. Während Webstühle relativ genügend vorhanden sind, besteht der Engpaß in Spinnereierzeugnissen. Noch vorhandene kleinere Lagerbestände - der größte Teil der Lager war in die Russenzone evakuiert und kann nicht mehr zurückgeführt werden - sind zu 50 Prozent freigegeben und kommen nun in die produktion. Bisher arbeitete das Werk lediglich in Lohnarbeit für die Filztuchindustrie.
Seit einigen Wochen ist auch die Tuchherstellung angelaufen. Vorerst allerdings nur für Behördenaufträge. Uniformen für Polizei, Post, Bahn und Bekleidung für die Bergarbeiter. Die Rohstoffzuteilung erfolgt durch das Zentralwirtschaftsamt nur für diese erteilten Aufträge. Für den zivilen Sektor ist bis jetzt lediglich eine kleinere Fertigung von Stoffen für Schwertarbeiter genehmigt. Im übrigen ist in der nächsten zeit nur mit Arbeiten zur Befriedung des Inlandmarktes zu rechnen. Inwieweit Exportaufträge zu erwarten sind, müssen wir der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung überlassen.
In diesem Zusammenhang ist es sehr interessant zu erfahren, daß die seinerzeit angekündigten englischen Rohwollieferungen so schnell nicht in die Stoffproduktion eingebaut werden könne, da in der Wollbearbeitung, vor allem in der Wollwäscherei, ein empfindlicher Engpaß besteht. In der ganzen britischen Zone gibt es nur zwei Wollwäschereien. Dazu kommt der schon erwähnte Mangel an Spinnereien, so daß nur mit einem allmählichen Anlaufen der Produktion zu rechnen ist.
Trotzdem hoffen wir, daß bald wieder ein guter Prozentsatz der Vorkriegskapazität der Dürener Tuchherstellung erreicht sein wird und die Dürener Erzeugnisse, wie in den vergangenen Jahrzehnten, im friedlichen Wettbewerb mit den besten Erzeugnissen der Welt zu finden.