Haben die Nibelungen ihre Heimat im Zülpicher Raum?
Von Dr. Heinz Ritter - Rinteln-Schaumburg


Aus dem Echo, das dem von mir in Zülpich am 5.6.1978 gehaltenen Vortrag über das obige Thema in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen folgte, ist bekannt geworden, daß auf Grund sehr langer und eingehender Studien die „Heimat der Nilflungen“ im Raum zwischen Zülpich - Mechernich - Euskirchen vermutet werden muß. So sagt es die Parallel-Quelle zum Nibelungenlied aus, die sogenannte THIDREKSSAGA. Sie erzählt die gleichen Begebenheiten wie jene berühmte Dichtung, aber sie stellt sie dar im norddeutschen Raum, in anderen Zusammenhängen, in noch nicht christlicher Umwelt und weist damit in sehr frühe Zeiten zurück.

Dies soll in einem Buch dargelegt werden, das im nächsten Jahr im Zusammenwirken mit dem Verein der Geschichts- und Heimatfreunde des kreises Euskirchen herausgegeben werden soll. Es bringt zunächst den - uns nur in den alten nordischen Sprachen erhaltenen - Text der Thidrekssaga in wörtlicher Übersetzung, danach mit ausführlicher Begründung die Deutung des Textes und seiner oft sehr rätselhaft erscheinenden geographischen Angaben, endlich die Darlegung, warum die Heimat der Niflungen in diesem Raume zu suchen ist, und mit welchen Methoden diese Rätsel sich lösen lassen.

Hier im Zülpicher Raum in einer noch heidnischen Umwelt hätten also alle jene Ereignisse sich zugetragen, welche das Nibelungenlied um 1200 nach Worms und in den süddeutsch-ungarischen raum und in eine christliche Umwelt versetzt hat. Hier wäre Hagen als Sohn der Königin Oda und eines „Alben“ zur Welt gekommen, hier wären die Königsbrüder Gunner (Gunter), Gernoz und Gislher als legitime Söhne des Königs Aldrian zusammen ihrer Schwester Grimhild aufgewachsen; hier hätte die berühmte Hochzeit stattgefunden, bei der Jung-Sigfrid Grimhild zur Gattin bekam und mit ihr das halbe Niflungenreich, und von hier aus hätten der starke Sigfrid und die Niflungenbrüder ihre Herrschaft ausgeübt.

Hierher hätte dann König Gunner die stolze Brynhild sich als Königin geholt, die er mit Sigfrids Hilfe auf nicht ganz übliche Weise gewonnen hatte. Bald danach wäre hier der Streit der beiden Königinnen ausgebrochen um den Vortritt im Saal und um den Vorzug ihrer Männer; und hierbei erfuhr Brynhild erstmals, daß nicht Gunner sie bezwungen hatte, sondern Sigfrid. „Sie wurde rot wie Blut“, heißt es „und ging hinaus; sie redete nicht ein Wort und verließ das Schloß. Draußen traf sie König Gunner Hagen und Gernoz. Sie ging weinend zu ihnen und zerriß ihre Kleider.“

Sie verlangt Sigfrids Tod. Nach sorgfältiger Vorbereitung wird Sigrid von Hagen auf der Jagd durch einen Speerschuß in den Rücken, wo er verwundbar war, getötet. Dies müßte geschehen sein in dem großen Waldgebiet, das früher südlich von Virnich begann und den namen „Osning“ trug, an einem Quellbach. Es kann der Rotbach gewesen sein, wenn dieser seinen Namen auch nicht von Menschenblut trug, sondern von dem roten Gestein, das ihn färbt. In dieser Gegend, nahe Virnich wird Sigfrid dann begraben, und zwar so kostbar wie nur irgend möglich. Wenn die Heimat der Niflungen im Zülpicher Raum war, muß Sigfrids Grab in diesem Umkreis zu suchen sein.

Auch die weiteren Ereignisse der Erzählung hätten von hier aus ihren Ausgang genommen. Die verwitwete Grimhild wurde von dem König des Hünenlandes (Westfalen), Attila-Attala-Atilius, umworben und als Gattin und Königin in eine Burgstadt Susat=Soest heimgeholt. Dieser König Attila war nicht der Hunnenkönig Etzel, sondern ein aus Friesland stammender Königssohn, der sich das Hünenland erobert hatte - ebenso wie der an seinem Hof lebende König Dietrich von Bern nicht der Gotenkönig Theoderich der Große war, sondern ein fränkischer König, der in Bonn residierte, das einst auch den Namen Verona oder Bern trug).

Sieben Jahre später lädt Grimhild ihre Brüder nach Susat-Soest ein, ohne doch die Ermordung ihres ersten Gatten Jung-Sigfrid vergessen zu haben. Diese folgen der Einladung, obwohl Hagen warnte. Sie hätten den berühmten Niflungen also nicht von Worms, sondern von diesem Raume aus angetreten, mit tausend Rittern und wenigen Knappen, ein Zug, der sie in zwei Tagen zur Duna-Dhün-Mündung beim heutigen Leverkusen, weiter zur Burg Bakalar (bei Altenberg im Bergischen Land), an Burg Thorta=Dortmund vorbei nach Soest brachte, alles in allem ein Ritt von etwa sieben Tagen. In Susat-Soest waren sie zunächst gastlich aufgenommen worden, bald aber hatte Grimhild den Kampf entfacht, in dessen Verlauf sie endlich alle umkamen, die Niflungen, ihre Jungkönige und zuletzt auch Grimhild.

Dies wären die Ereignisse, die sich nach der Thidrekssaga hier abgespielt hätten oder hier ihren Ausgang genommen, die „alten Mären“, aus denen das Nibelungenlied geschöpft hat, die es aber mißverstand und umdeutete, in den süddeutschen Raum und in christliche Umwelt übertrug gestaltet zu einer ganz großen Dichtung, deren einzelne Stationen durch die berühmte „Nibelungenstraße“ verbunden werden. Nur ist auf dieser Straße nie der Huf eines Nibelungenrosses erklungen. Eine „Nibelungenliedstraße“ muß man sie daher nennen, dann trägt sie ihren berühmten Namen zu Recht.

Durch die überall verbreitete Darstellung des Nibelungenliedes ist nun aber die ursprüngliche und wirkliche Geschichte der Niflungen ganz in Nebel gehüllt worden, und es ist für alle, die diese Dichtung kennen und lieben, schwer, sich von deren - historisierender - Darstellung zu lösen und den eigentlichen Niflungenwegen und -schicksalen zu folgen. Diesen Nebel zu lichten bedurfte es ungewöhnlicher Anstrengungen und langer Zeit, wie in dem in Vorbereitung befindlichen Buch im einzelnen dargelegt werden soll.

II

Nun ist in jüngster Zeit eine Meinung vertreten worden, die sogenannten „Niblungen“ seien gar nichts anderes als die über Frankreich und das rheinfränkische Gebiet in ihre Heimat am Harz zurückkehrenden Sachsen gewesen. (Dr. Gerd Müller, Bergisch Gladbach). Wie verhält es sich damit?

Gregor von Tours (540-594) erzählt (im 4. Buch Kap. 41f. und im 5. Buch Kap. 15), daß die Langobarden aus ihrer Heimat an der Unterelbe im Jahre 568 mit dem ganzen Volk nach Italien zogen und dort das Langobardenreich in Oberitalien gründete. Mit ihnen sei ein Volksteil der Sachsen gezogen, die dann auf eigene Faust Eroberungen machten und auch ins Frankenreich einfielen. Sie seien dann nach manchen Zügen und nach Schlachten mit wechselndem Ausgang zu König Sigibert gezogen (573) und von ihm wieder in jener Gegend eingesetzt worden, aus der sie ursprünglich gekommen waren. Gregor fährt dann fort:

„Und da zu jener zeit, wo Alboin nach Italien gezogen war, Chlothar und Sigibert Schwaben und andere Völker in die Gegend versetzt hatten, welche die Sachsen vorher bewohnt hatten, die mit Alboin ausgezogen waren, so wollten diese, als die zur Zeit Sigiberts zurückkehrten, jene aus dem Lande treiben und sie vernichten. Die Schwaben boten ihnen den dritten Teil des Landes an und sprachen: „Wir können ja zusammenleben, ohne uns zu nahe zu treten.“ Jene waren jedoch damit nicht zufrieden, weil sie selbst dies alles zuvor gehabt hatten und wollten keinen Frieden. Danach boten die Schwaben ihnen die Hälfte, dann zwei Drittel des Landes an, nur ein Drittel wollten sie für sich behalten. Als jene auch dies nicht annehmen wollten, boten sie ihnen mit dem Lande auch noch alles Vieh an, nur möchten sie vom Kriege absehen. Aber jenen war auch dies noch nicht genug, und sie verlangten den Kampf. Und schon vor demselben machten sie miteinander ab, wie sie die Frauen der Schwaben unter sich teilen wollten, und welche nach dem tode ihrer Männer ein jeder erhalten solle; denn sie meinten, sie hätten diese schon alle erschlagen. Aber die Barmherzigkeit des Herrn, welche Gerechtigkeit übt, vereitelte ihre Absichten. Denn da es zum Kampfe kam, waren es 26.000 Sachsen, und von denen fielen 20.000; und 6.000 Schwaben, von denen fielen nur 480, und die anderen behaupteten den Sieg Die von den Sachsen am Leben geblieben waren schwuren, keiner wolle sich den Bart oder das Haupthaar scheren, ehe sie sich nicht an ihren Feinden gerächt hätten. Und da es abermals zum Kampfe kam, erlitten die Schwaben eine noch größere Niederlage. So standen sie endlich vom Kriege ab.“ So erzählt Gregor von Tours.

Beide, Schwaben wie Sachsen überleben diese Kämpfe. Und Widukind von Corvey, der 967 schrieb, berichtet, daß diese Schwaben noch zu seiner Zeit andere Gesetze gehabt hätten als die Sachsen. - Diese von Frankreich in die Gegend des Nordharzes durchziehenden Sachsen sollen nun - so ist die Meinung Müllers - gleichzusetzen sein mit den Niflungen, von denen die Thidrekssaga berichtet. Ist das möglich?

Von den Niblungen oder Niflungen wissen wir, wenn wir von den sehr unbestimmten Angaben anderer Dichtungen absehen, Wesentliches nur durch Nibelungenlied und die Thidrekssaga. Das Nibelungenlied nennt die Nibelungen nur zehnmal mit diesem Namen, setzt sie im übrigen mit den „Burgonden“ gleich oder verwechselt sie mit ihnen. Ihr Zug ging angeblich von Worms nach Ungarn, läßt sich also mit dem Zug der Sachsen gar nicht vergleichen. Die angeführte Meinung bezieht sich auch ausdrücklich auf die Thidrekssaga und auf den von mir 1966 dargelegten Zug der Niflungen von der Gegend westlich des Rheins übe die Duna-Dhün-Mündung nach Soest. Dieser Zug soll nun nach Gerd Müller, - der Zug jener Sachsen sein, von denen er annimmt, daß sie möglicherweise denselben Weg gezogen wären.

Diese Annahme wird zwar historisch nirgends bestätigt, aber sie ist theoretisch nicht unmöglich; denn der in der Thidrekssaga beschriebene Weg war ja kein privatweg der Niflungen, sondern ein sehr alter Heer- und „Reiterweg“. Selbst wenn Niflungen und Sachsen auf demselben Weg gezogen wären, brauchte es sich nicht um die gleichen Leute und nicht um die gleichen Geschehnisse noch um die gleiche Zeit zu handeln.

Alles ist vielmehr ganz anders:

Die Niflungen ziehen nicht wie die Sachsen flüchtig mit Weib und Kind in einem Volkszug von 30.000 Menschen durch die rheinfränkischen Gegenden hindurch, sondern sie leben in diesem Raum als in ihrer Heimat Generationen hindurch. Sie sind auch keine Sachsen, die ihre ursprünglichen Wohnsitze weit östlich des Rheins hatten, sondern sie sind Franken, Rheinfranken, wie sie ganz richtig im Waltharilied benannt werden. Und als sie ihren berühmten Zug antreten, nehmen sie nicht Frauen und Kinder mit sich, sondern ziehen als ein Ritterheer von tausend Mann aus. Ihr Volk bleibt auch weiterhin hier in ihrer linksrheinischen Heimat seßhaft und wird von der zurückbleibenden Königin Brynhild regiert. Die ausgezogenen Niflungen aber gehen alle in Soest zugrunde, nicht einer kehrt zurück - außer dem nachgeborenen Sohn Hagens,den dieser, schon todwund, mit einer Jarlstochter gezeugt hat, und der 14 Jahre nach dem Untergang der Niflungen an König Attila-Atilius im Hohlen Stein bei Soest die Rache vollzieht, nach Hause zurückkehrt und im Niflungenland König wird. Die Sachsen dagegen gingen nicht zugrunde, sondern überlebten, wenn auch unter schweren Verlusten.

Es stimmt also weder die Stammeszugehörigkeit (hie Franken, dort Sachsen), noch das Heimatgebiet (hie linksrheinisch, dort rechtsrheinisch), nicht die Umstände des Zuges (hie Ritterheer von 1000 Mann, dort durchziehender Volkshaufen von 30.000 Seelen) und nicht die Umstände des Endkampfes (hie völliger Untergang, dort Überleben trotz aufreibender Kämpfe), es stimmt nicht der Ort (hie Soest, dort Nordharz) und nicht die Zeit (hie Anfang des 6. Jahrhunderts = heidnische Zeit, dort Ende des 6. Jahrhunderts ? Christliche Zeit). Es sind zwei vollständig verschiedene Geschichten, andere Zusammenhänge, andere Motivationen. Nichts läßt sich miteinander in Einklang bringen.

Legen wir diese Möglichkeit also beiseite! Die Unterlagen für eine vollständige Beurteilung dieser Fragen wird das in Entstehung begriffene Buch bringen.

Auch die Vermutung Gerd Müllers, bei der einen halben Tagesritt von der Dhün-Mündung entfernten Burg Bakalar, in der die Niflungen nach ihrem Rhein-Übergang bei Markgrafen Rodinger gastliche Aufnahme finden, würde es sich nicht, wie von mir erschlossen, um die alte Burg Berge (Altenberge) handeln, sondern um die Erberich-Burg, läßt sich nicht halten. Bei dem Namen Baka-lar deutet die Nachsilbe auf eine Lage an feuchten Wiesen und Weiden. Eine solche Lage hat die alte Burg Berge, die zwischen den feuchten Wiesen der Dhün liegt, nicht aber die auf der Berghöhe gelegene Burg Erberich, zu der mich im Anfang meiner Studien der Rektor Hinrichs führte.

Burg Berge liegt, ganz wie die Thidrekssage es angibt, abseits vom Heerweg: so nah, daß es sich für die schon lagernden Niflungen noch lohnt, dorthin aufzubrechen, so weit, daß es sich nicht lohnte den Wächter am Heerweg täglich abzulösen (er wachte schon drei Nächte), in einer Entfernung also von etwa 5 km. Durch das Tal der Dhün führte damals keine Heerstraße. Diese verlief auf der Wasserscheide südlich der Dhün. „Heerweg“ oder „Reuterweg“ genannt.

Der Erberich kann die Burg Bakalar nicht sein.

III

Zu meinen Ausführungen über „Das Königsgrab zu Enzen“ im vorigen Jahrbuch ist noch nachzutragen, was ich erst während des Druckes erfuhr:

Auf einem Fragebogen des Rheinischen Landesmuseums in Bonn aus den 20er Jahren dieses Jahrhunderts, den der Hauptlehrer Schick in Commern ausgefüllt hat, findet sich nach der Aufzählung der goldenen Gegenstände, die in dem Sarg gelegen haben sollen, die Bemerkung: „Die vorhin genannten Gegenstände sind in die Hände der französischen Könige geraten.“ Woher Schick diese Kunde hat, ist nicht mehr festzustellen. Da aber entscheidende Personen, die zur Familie der Finder gehörten oder zu ihr in engster Beziehung standen, in Commern wohnten und gewohnt hatten, ist diese Bemerkung ernst zu nehmen. Zur Zeit der sogenannten „Raubkriege“ Ludwig XIV. und auch später machten die Franzosen vielmals Einfälle in diese Gegenden, bei denen die Bevölkerung drangsaliert und ausgepreßt wurde. Bei einem dieser Einfälle wurde der Bürgermeister von Zülpich so lange in strenge Haft gesetzt, bis die verlangte gewaltige Geldsumme durch die Bürgerschaft aufgebracht worden war. Dem würde genau die Überlieferung in Enzen entsprechen, daß der Finder des Königsgrab-Schatzes samt seiner Ehefrau vier Monate lang in Nideggen inhaftiert worden sei, während welcher Zeit das Getreide auf dem Felde verfaulte.




Man müßte also nach den Resten des Schatzes in Frankreich suchen. Ob diese Schätze aber, wenn sie dort vorhanden waren, die turbulenten Zeiten und die Revolution überlebt haben, mag zweifelhaft bleiben. Wenn es sich um die französischen Besatzungsbehörden handelte, die den Enzener Grabschatz beschlagnahmen wollten, so waren die Landesgesetze über Schatzfunde für sie nicht maßgebend. Es ist daher nicht unmöglich, daß sie den Findern ein Prozent des Goldschatzes zubilligten, um ihn überhaupt ans Licht zu bringen. Doch läßt sich Sicheres auch mit dieser Nachricht zunächst nicht gewinnen. Sie muße aber nachgefügt werden, um die Überlieferung vollständig zu machen.



Entnommen: Heimatkalender Kreis Euskirchen Jahrbuch 1979

© Copyright 2001 *) Mit freundlicher Genehmigung Dr. phil. Heinz Ritter
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